Zeit, Wissen und Karriere, diese drei - das Wichtigste aber ist die Karriere
„Ich habe den Gefahren der friedlichen Kerntechnik im letzten Jahr eine Studie gewidmet und bin zu der Ansicht gekommen, daß gegen die Gefahren eines technischen Versagens technische Abhilfen technisch möglich, wirtschaftlich vertretbar und hoffentlich auch politisch durchsetzbar sind. Nicht überwunden wären damit aber Gefahren, die dem menschlichen Willen entstammen, deren ich drei als Beispiele nenne: Terrorismus, Proliferation von Kernwaffen durch die weltweite Verbreitung der Reaktortechnik, Zerstörung von Reaktoren in einem nicht notwendigerweise nuklearen Krieg. Sollte diese Analyse richtig sein, so läge auch bei den möglichen Gefahren der Kernreaktoren der Kern des Problems im politischen, und zwar im weltpolitischen Feld.“
Carl Friedrich v. Weizsäcker, Der Garten des Menschlichen,
Beiträge zur geschichtlichen Anthropologie, Hanser 1977, S. 75
In der seitdem vergangenen Zeit hat sich die Kerntechnik mit
455 Reaktoren weltweit verbreitet. Der Terrorismus konnte bisher von den
Kernreaktoren ferngehalten werden, nicht jedoch von Hochhäusern und Zügen. Die
Proliferation konnte weitgehend, aber nicht ganz unterbunden werden. Indien,
Nordkorea und Pakistan, und wohl auch Südafrika und Israel verfügen über
Kernwaffen, der Iran bemüht sich darum. Einen engen Zusammenhang mit der
friedlichen Nutzung der Kernenergie gab es dabei mutmaßlich nicht. Diese wird inzwischen global angewendet und anerkannt, eine bestimmte Komikernation
einmal ausgenommen. Das Argument scheidet also inzwischen völlig aus. Eine
Kriegszerstörung erscheint immer möglich, doch hat sogar eine höchst
zweifelhafte Macht wie Pakistan in den Kriegen mit Indien darauf verzichtet.
Das Problem wurde bisher vom Klub der Atommächte beherrscht.
Carl Friedrich v. Weizsäckers Bedenken gegenüber der politischen
Beherrschbarkeit der zivilen Kernkraftnutzung bedürfen vielleicht auch einer
familiären Einbettung. Vater Ernst v. Weizsäcker, Jahrgang 1882, hatte sich dem Nationalismus
gegenüber als anfällig erwiesen. 1937 wurde er Leiter der Politischen
Abteilung im Außenamt der Nazis, 1938 Staatssekretär dortselbst.
Bei belasteten Eltern rückt die nächste Generation gern nach
links, vor allem nach dem Scheitern der Eltern. Sohn Carl Friedrich v.
Weizsäcker, Jahrgang 1912, führte der Weg dann an die Seite des Neomarxisten Habermas, mit dem
er in Starnberg als Max-Planck-Institutschef die „Lebensbedingungen der
wissenschaftlich-technischen Welt“ erforschen wollte.
Von Habermas ist der Schritt dann nicht weit zur
universitären Massenbasis der Antikernkraftbewegung. Habermas hatte sich
bereits Ende der fünfziger Jahre am Rande der Ostermarschbewegung, der Kampagne
für Demokratie und Abrüstung und der Antinotstandsbewegung engagiert. Den
organisatorischen harten Kern dieser Organisationen bildeten Funktionäre der
verbotenen KPD, die hauptberuflich wirkten (zB Manfred Kapluck, Dr. Hans
Brender) und von der Ostberliner Staatssicherheit bezahlt wurden. Die gaben die
Parole aus, daß die friedliche Nutzung der Kernenergie nur im Sozialismus
sicher sei, in den „Händen der Monopole“ aber zur Gefahr für den Weltfrieden
werde. Das war dann wenig später, um 1970, an den Universitäten allgemeiner
Glaubenssatz. Die Allgemeinen Studentenausschüsse und studentischen Gruppen,
mit Ausnahme des RCDS, organisierten Demonstrationen und Aktionen aller Art
gegen die zivile Kernkraftnutzung. Auch heute noch hängen vor den
Castor-Transporten Plakate in den Unis: „Kommt schottern“, d.h., untergrabt die
Bahngeleise.
In den siebziger und achtziger Jahren wurde auch Carl
Friedrich v. Weizsäcker als ‚bürgerlicher Atom-Wissenschaftler’ gern zitiert.
Man hat bei ihm den Eindruck, daß er gern nachlieferte,
hochgeehrt und hochbezahlt unter gemütlichen, gefahrlosen Bedingungen in der
Bundesrepublik, was Vater und Söhne Weizsäcker unter gefährlichen Bedingungen
nicht aufbrachten: politische Erkenntnis und mutiges Handeln.