Mittwoch, 5. Juni 2013

Um die Ecke der Prinz






Die Grimms haben Jubiläum, und Kassel hat dazu eine Ausstellung eingerichtet. Schön und gut. Mit Märchen und Wörterbuch. Letzteres benutze ich immer noch, die Märchen habe ich als Kind teilweise gelesen. Und mich gewundert. Die Erzählung zieht in die Handlung hinein, der Inhalt kam mir komisch vor. Ich konnte nichts Rechtes damit anfangen. Heute werden die Märchen im Kino vorgespielt. Aber diverse Märchenerzählerinnen schwören auf die Pädagogik der alten Märchen und auch Märchenonkel wie Freud und Iring Fetscher haben sich ihrer angenommen. Die Langlebigkeit der Märchen dürfte einfach mit der Form der Erzählung zusammenhängen, die in der Frühzeit bei Homer so bannend war wie in der Hollywood-Version. Es zog jedoch die Gescheiteren schon auch früh vom Mythos zum Logos. Aber das Primitive behauptet sich durch die Zeiten, “primitivus” bezeichnet das Frühe, zeitlich zuerst Auftretende. Die Dampfmaschine ist nicht primitiv, weil sie erst spät konstruiert werden konnte, während es das Messer schon sehr lange in der Steinform gab. So wie es das Messer noch gibt, existiert auch das Erzählen weiterhin. Dabei wird es bleiben, nur daß der Gebrauch des Messers in der Regel keine Probleme aufwirft und auch zu technisch komplexen Werkzeugen paßt. Das Erzählen jedoch gehört dem Denken an und zieht Denkgrenzen. Handlungen sind grundsätzlich einfache Konstruktionen und ihre Bilderwelt ebenso. Daher die große Eingängigkeit von Märchen und Filmen. Im Kopf des rezipierenden Individuums sammelt sich eine Welt von Versatzstücken und Bildern an, die es etwa Kindern erlaubt, Märchenanfänge für sich variierend nach Geschmack zu Ende zu erzählen. Das spinnt sich fort bis in die luftige Geisteswissenschaft:

“ Primitives Denken neigt dazu, für ein bestimmtes Individuum charakteristisch, schwer faßbar, unsystematisch (auf expliziter Ebene), unartikuliert zu sein, und es drückt sich oft in symbolischen Bildern und Metaphern aus. Gerade solche Eigenschaften durchziehen aber das Werk von Levi-Strauss selbst. … Die ganze Grundhaltung in seinen Schriften ist die eines Dichters oder eines Propheten, nicht so sehr die eines Wissenschaftlers. “
(Christopher R. Hallpike, Die Grundlagen primitiven Denkens, 1979/1990, S. 11f.)

Diese alte Mischung aus Erzählmaterial, alten Denkfiguren, Bildern und Metaphern sorgt aber dafür, daß halbe Märchenbücher wie “Traurige Tropen” (Levi-Strauss), “Emile” (Rousseau), “Die Lehren des Don Juan” etc. weite Verbreitung finden. Doch auch im einfachen Alltag kann der Prinz jederzeit um die Ecke kommen, um Dornröschen zu küssen, sei es als Schellnhuber mit Planetenrettungsmission, oder als Berggruen bei Karstadt. Jeder Kinobesucher weiß das.