Sonntag, 27. Dezember 2015

Urbi et orbi



"… und eine Alternative

Seit dem Jahre 201x beunruhigten die wachsenden Erfolge rechtspopulistischer Parteien die etablierten Parteien und Regierungen in ganz Europa.
Der Wiederaufschwung nach der Rezession 2008/09 war schwächlich geblieben und hatte sich über viele Jahre mühsam dahingeschleppt. Die Völker hatten Angst um ihren Lebensstandard. Es offenbarte sich zusehends, dass die Außengrenzen des Schengen-Raumes löcherig waren: Die Migration in die europäischen Sozialsysteme aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Afrika nach Europa nahm stetig zu.

Im Mai 201x, wenige Monate vor der Bundestagswahl, gelang einem unentdeckt gebliebenen Zweig der Sauerlandgruppe ein Sprengstoffattentat am Bahnhof Zoo in Berlin, das 73 Opfer forderte. Nach ähnlichen Anschlägen kurze Zeit später in Paris und Rom trat der Europäische Rat zu einer Sondersitzung zusammen und beschloss neben vielen anderen Maßnahmen grundlegende Änderungen bei der Überwachung der Außengranzen des Schengen-Raums sowie eine Europäische Richtlinie zum einheitlichen Umgang mit illegal Einreisenden. Alle Mitglieder verpflichteten sich, die neuen Bestimmungen innerhalb eines Jahres in Kraft azu setzten. Diese Maßnahmen, die mehrfach verschärft wurden, führten allmählich zu einem Rückgang der illegalen Zuwanderung auf unter 100 000 jährlich für die gesamte Union.
Die im September 201x neu gewählte Bundesregierung setzte in ihrer Koalitionsvereinbarung neue Akzente zur Weiterentwicklung in der Familien-, Integrations- und Bildungspolitik: 

Eine Kombination familienpolitischer Maßnahmen, bei denen immer wieder nachgesteuert wurde, führte dazu, dass im Lauf von zehn Jahren die Zahl der Geburten pro Frau wieder auf 2,1 stieg, ein Niveau, das zuletzt Mitte der 1960er Jahre erreicht worden war. Besonders erfreut zeigte man sich, dass der Anteil der Geburten von Frauen mit mittlerem und hohem Bildungsstand deutlich stieg. Die auf diese Gruppe zielenden Maßnahmen waren besonders umstritten gewesen und wurden immer wieder als sozial ungerecht kritisiert.
Die Regeln für den Familiennachzug wurden verschärft. Als besonders wirksam erwiesen sich die strengeren Anforderung in Bezug auf die Deutschkenntnisse und die Bestimmung, dass nachgereiste Familienangehörige zehn Jahre lang keinen Anspruch auf deutsche Sozialleistungen hatten. Zudem mussten die aufnehmenden Familien so ausreichende Einkünfte aus Arbeit und Vermögen vorweisen, dass der Lebensunterhalt der Eingereisten gesichert war. Der Familiennachzug ging daraufhin stark zurück. 

Ganztagsschulen und Ganztagskindergärten wurden flächendeckend eingeführt. Damit verbunden war die Ausgabe eines unentgeltlichen Mittagessens an jedes Kind. Für den Bezug von Kinderzuschlägen in der Grundsicherung und von Kindergeld war Voraussetzung, dass die Kinder diese Einrichtungen tatsächlich besuchten. Jedes unentschuldigte Fehlen, auch wenn es sich nur um weinig Stunden oder einen Tag handelte, führte zu scharfen Abzügen.
Für Migrantenkinder stand in Kita und Schule der Erwerb der deutschen Sprache im Mittelpunkt. Diese wurde verbindliche Verkehrssprache in allen staatlichen oder staatlich geförderten Bildungseinrichtungen. In allen Einrichtungen wurden alljährlich für jede Altersstufe bundeseinheitliche Sprachstandstests durchgeführt. Das Ranking floss ein in die Bemessung der staatlichen Mittelzuweisung. Einrichtungen, die die Anforderungen mehrfach nicht erfüllten, wurden aufgelöst oder verloren den Anspruch auf staatliche Förderung.
An den Grundschulen wurden die jahrgangsbezogenen Curricula für Deutsch und Mathematik bundesweit vereinheitlicht und dem Niveau des Jahres 1970 angepasst. Dies führte zu einem Aufschrei der Lehrerverbände vor allem in Berlin, Hamburg und Bremen. Auch die Erfüllung dieser Standards wurde jedes Jahr in einem bundesweiten Test überprüft und die daraufhin erstellte bundesweite Rankingtabelle veröffentlicht. Alle Kinder, die die Standards nicht erfüllten, erhielten eine verbindliche Sonderförderung.

Die Erfolge aller dieser Massnahmen zeigten sich nach einem Jahrzehnt. Die Zahl der Schüler in Deutschland wuchs, und offenbar wurden sie auch wieder klüger. Beim Pisa-Test war Deutschland gegenüber dem OECD-Durchschnitt jahrelang deutlich zurückgefallen. Dies änderte sich stufenweise von 2025 an. Deutschland holte wieder auf. (...)
(Sarrazin, Deutschland schafft sich ab, 2010, S. 391ff. )