Donnerstag, 20. August 2009

Geschichte und der Geist der Zeiten




Küßt nicht jeden: KLIO, die Geschichtsmuse (rechts bei Vermeer, Allegorie der Malerei)

- Röhls Wilhelm II. : " Als John C. G. Röhl 1993 den ersten Teil seiner Biografie über Wilhelm II. veröffentlicht, passte das so gar nicht zu dem Kaiserbild, das man sich hierzulande bei den Historikern gemacht hatte.
Anstelle des schwachen, womöglich erblich kranken und in politischen Fragen überforderten Monarchen setzt Röhl das beklemmende Bild eines Autokraten, der sich von keiner Instanz kontrollieren und rigoros starke Persönlichkeiten aus seiner Umgebung entfernen ließ. Mit einem überwältigenden Quellenstudium hat sich Röhl, Sohn eines deutschen Vaters und einer englischen Mutter, ganz der bizarren und widersprüchlichen Figur des letzten deutschen Kaisers gewidmet. ..." hr2-Doppelkopf 13.8.09. Und im Gespräch zog Röhl auf Nachfrage die Linie bis Hitler. Mit Wilhelm II. habe der Weg in den Abgrund begonnen.

- Clarks Wilhelm II. : " Hätte Deutschland einen anderen Weg eingeschlagen, wenn ein anderer Herrscher als Wilhelm II. das Land ins 20. Jahrhundert geführt hätte? Inwieweit prägte seine Persönlichkeit die deutschen Geschicke?
Mit dem Ersten Weltkrieg endete auch die Herrschaft Wilhelms II. Der Kaiser muss abdanken und den Rest seines Lebens im Exil verbringen. Nach dem verlorenen Krieg wurde er zu einem beliebten Hass-Objekt. Und noch heute ist das Image von Wilhelm II. weitgehend negativ. Der in Sydney geborene und in Cambridge lehrende Historiker Christopher Clark ist durch zahlreiche Veröffentlichungen als „Preußen-Archäologe“ bekannt geworden. Jetzt hat er ein Buch über den letzten deutschen Kaiser geschrieben.
Im Doppel-Kopf-Gespräch mit Norbert Schreiber fragt Clark, ob die Geschichtsschreibung nicht auch zu einer Dämonisierung des letzten deutschen Kaisers beigetragen hat. Die Geschichte Preußens muss heute neu erzählt werden, denn der Name „Preußen“ ist untrennbar verbunden mit Aufklärung und Toleranz, verkörpert etwa in Friedrich dem Großen, verbunden aber auch mit Militarismus, Maßlosigkeit und Selbstüberschätzung Wilhelms II. " hr2-Doppelkopf 17.8. /// Clark sieht zB das Interesse Wilhelms für die Wissenschaften, das in der Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gipfelt (heute Max-Planck-G.), aber auch seinen Einsatz für die Technik und die Realschulen.

- 1987 prophezeite der britische Historiker Paul Kennedy in „The Rise and Fall of the Great Powers“ den Niedergang der USA. Ganz vergessen hatte der Junge dabei, die Sowjetunion vor ihrem Zusammenbruch zu warnen, und irgendwie ging dem Al-Gore-Berater auch der Kollaps des Eisernen Vorhangs durch die Lappen, und den reihenweisen Fall der sozialistischen Diktaturen - auch den sah der Großhistoriker nicht. Unerschüttert plappert er aber weiter.

- "Was ihr den Geist der Zeiten heißt, // Das ist im Grund der Herren eigner Geist, // In dem die Zeiten sich bespiegeln." - Faust I, Vers 577 ff. / Faust

- Zakaria: Der Aufstieg der Anderen. Das postamerikanische Zeitalter : " ... Dialektische Wende
Elegant und kenntnisreich, zahlen- und faktengesättigt, prononciert und doch differenziert, bisweilen auch sprunghaft und repetitiv erzählt Zakaria die Geschichte des chinesischen und des indischen Aufstiegs, ohne dabei die Schattenseiten und Abgründe auszublenden. Weil aber die mit einem Rückfall oder Absturz verbundenen Unwägbarkeiten so gar nicht in seine grosse These passen, triumphiert am Ende der beiden Kapitel das ökonomische Argument über das politische, und Extrapolationen versperren der Erkenntnis, wonach geschichtliche Prozesse grundsätzlich offen sind, den Weg.
...
Damit aber nimmt die Analyse unvermittelt eine anscheinend ganz und gar unfreiwillig-dialektische Wende, die die These des Buches auf den Kopf stellt. Gewiss, man mag den Aufstieg der Anderen in Wirklichkeit als Triumph der von den USA geprägten liberalen Ordnung interpretieren, in der Marktwirtschaft, Demokratie und offene Gesellschaften unentwegt auf dem Vormarsch sind. Im Kontext der These wären die USA dann Opfer ihres eigenen Erfolges geworden. Dieser Gedanke wird in einem ebenso unfreiwilligen zweiten dialektischen Schritt aber sogleich verworfen. Zakaria präsentiert das so bezeichnete postamerikanische Zeitalter als eine Ära, in der die globale Führungsrolle der USA nicht nur weitgehend unangetastet bleibt, sondern von den meisten Ländern auch der Hegemonie einer regionalen Macht vorgezogen wird.

Um diese Führungsrolle zu bewahren, so mahnt Zakaria an, müssten die Vereinigten Staaten eine politische Kurskorrektur einleiten und verstärkt auf Konsultation, Kooperation, Kompromiss, Einbindung und Engagement setzen. Der Autor präsentiert – angesichts des fundamental anderen weltpolitischen Kontextes etwas verblüffend – Otto von Bismarck, den «ehrlichen Makler», als Vorbild. Um die wirtschaftliche Kraft macht er sich hingegen keine Sorgen, betont vielmehr auf der Basis eindrücklicher Zahlen den Erfindergeist, den unentwegten Innovationsschub und die demografische und kulturelle Vitalität der USA." V. Mauer NZZ 15.8.09
Fareed Zakaria: Der Aufstieg der Anderen. Das postamerikanische Zeitalter. Siedler-Verlag, München 2009.

/// Abgesehen davon, daß die Geschichte offen ist, eben kein gerichteter Prozeß, wie Hegel sich das vorgestellt hat und wie das sein Schüler Marx auf die Zukunft projiziert hat, sind Zakarias Überlegungen nicht ohne Boden. Der Aufstieg der Anderen verdankt sich ja der Kooperation vor allem mit den USA. Die chinesische und die amerikanische Wirtschaft sind in einer großen Arbeitsteilung verbunden, die IBM-Lenovo-Geschichte kann das gut symbolisieren: die Massencomputertechnik hat IBM nach China verkauft, die neueren Entwicklungen, insbesondere Dienstleistungen, bleiben amerikanisch. Solange es den US-Unternehmern gelingt, immer neue Produkte nicht nur zu erfinden, sondern auch erfolgreich zu vermarkten, solange wird die US-Wirtschaft die weltweit dominierende bleiben. Allerdings muß es gelingen, die Beschäftigung in den schrumpfenden alten Industrieen aufzufangen. Das ist schwierig, wie das Beispiel der Autoindustrie zeigt. Zwar sind die Amerikaner da flexibler als die Europäer, aber die Chinesen ohne blockierende Gewerkschaften sind da weitaus schneller, wie das Beispiel Hongkong gezeigt hat. Wenn IBM ganz nach China geht und Cisco und Microsoft und Amgen folgen, dann allerdings wird das Zeitalter wirklich ganz postamerikanisch sein.-

Ist das zu ökonomisch gedacht? Ich glaube nicht, denn der Wohlstand ermöglicht doch viele Dinge für viele, die andernfalls schwieriger würden: private Kindergärten, private Schulen, private Hochschulen, Einrichtungen, die für den sog. Hl. Antonius, für Benjamin Franklin, für Justus Liebig und Steve Jobs nicht so wichtig wären, aber für die Müllers und Millers schon. Die Griechen und Römer schufen sich ihren Wohlstand für kluge Köpfe durch Sklavenarbeit, heute geht das durch unternehmerische Produktivität (ein Fortschritt! scheint mir). Und private Einrichtungen, die die Begabten nicht diskriminieren, schikanieren und blockieren, tragen erheblich zum Wohlstand eines Landes, einer Nation bei. Apropos Nation. Ein problematisches Thema. Goethe fühlte sich schon vor geraumer Zeit als Weltbürger. Aber Müllers, Millers und vor allem die Duponts brauchen offenbar die Nation. (Die Iwanows und Kowalskis brauchen sie wegen mangelnder Produktivität doppelt.) Und auch da haben die Amerikaner kein nationales Defizit wie die Deutschen. Die Abstrahlung des US-Wohlstands und der globalen ökonomischen und ökologischen US-Wohltaten wie des Internets, der größten technisch-kulturellen Schöpfung ad saeculum saeculorum, bewirken einen beträchtlichen allgemeinen Einfluß (Firefox 3.5 ist jetzt auch da, kostenlos!).

- Ganz schön warm heute: 19-32°C !