Freitag, 7. Juni 2013

Her mit den Bildern








Von vorne ganz nach hinten ins Dunkle - die Sehbahn von den Augen kreuzweise zur Sehrinde in Hinterkopf. 
"Innerhalb von 200 Millisekunden können wir emotional abschätzen, ob das Porträt einer Person interessant oder uninteressant, sympathisch oder unsympathisch ist. Verantwortlich für dieses Urteil ist unser limbisches System, das unsere Gefühle steuert. Das limbische System erkennt ein bedrohliches Gesicht innerhalb von nur 14 Millisekunden – eine Zeit, in der wir das Gesicht noch nicht bewusst wahrgenommen haben. Attraktivität kann es in 13 Millisekunden wahrnehmen, so das Ergebnis aus Studien. Erst nach 200 bis 500 Millisekunden beginnt unser Gehirn, das Bild zu verarbeiten und zu erkennen, was es da überhaupt sieht. Die eine Erkentnis lautet also: Bevor wir wissen, was wir sehen, wissen wir, was es emotional bedeutet. Die andere Erkenntnis lautet: Wenden wir uns einem Porträt bewusst zu, hat dies unser Gehirn bereits entschieden." (Dieter Georg Herbst, Mensch als Porträt, im Netz)
(Bild: medizininfo.de)

Alle Sinne tragen zur Wahrnehmung, zum Bewußtsein und zum Denken bei. Das war beim Frühmenschen so, wie es auch für den Zeitgenossen gilt. In dieser Hinsicht sind die Sinne “primitivus”, primitiv, schon in der frühesten Zeit vorhanden, wie dies auch für andere Primaten gilt. Eine besondere Rolle als Zulieferer für die anderen Hirnteile und von dort aus für das Verhalten im Raum spielt das Sehen. Das Auge selbst zählt zum Gehirn. Die anderen Sinne spielen zwar schon vor der Geburt eine Rolle, doch erst mit der Augenöffnung öffnet sich auch die Tür zur äußeren Welt. Angefangen vom Erkennen der Mutter bis zum Denken der Quantenphysik beginnt eine immense Datenaufnahme, die jedoch ihren Schwerpunkt in der einfachen Gestaltwahrnehmung besitzt. Es beginnt mit dem unscharfen Gesamtgesicht der Mutter, und das menschliche Gesicht bleibt im Zentrum des Sehens und der Wahrnehmung. In Sekundenbruchteilen mustern eine Vielzahl von Augen-Blicken (Augenzielbewegungen, Sakkaden, vgl. Niels Galley) ein dargebotenes Gesicht, erst danach kommen andere Körperteile und andere Gegenstände. Von diesen Daten erfolgen Wahrnehmungen, die mehrstufige hirnliche Konstruktionen darstellen, was zwar dem Betrachter nicht bewußt ist, aber sein Verhalten gegenüber einer Person beeinflußt. Ein als “ehrlich” wahrgenommenes Gesicht macht den Betrüger, erst recht den Heiratsbetrüger, richtig erfolgreich. Darüberhinaus ‘klebt’ der Blick an Handlungen, was zur Darbietungsform des Theaters bis hin zum Fernsehen führte. Alle Handlungs- und Bildmedien sind in diesem Sinne “primitive” Medien, sie können auf gesteigerte Aufmerksamkeit und ein Druckbild (“Bleiwüste”) auf verminderte zählen. Ein Text kann als Erzählung Bilder und Handlungen in der Vorstellung des Lesers aufrufen, bei Sachtexten scheiden jedoch die meisten Leser aus, weil ihre individuelle Entwicklung nicht bis zur Abstraktionsfähigkeit gediehen ist. Bei Themen wie der Quantenmechanik fällt zudem auch jeder anschauliche Vergleich weg.

Das Anschauen der großen Dinge und Handlungen ist hirnlich vorgebildet und bleibt lebenslang leistungsfähig und wirkungsmächtig. Zwischen den Makrophänomenen versucht der Mensch, kausale Bänder zu knüpfen. Mit beschränktem Erfolg, wenn es nicht um dem Experiment zugängliche Bereiche geht. In der Geschichtsschreibung lassen Historiker nichts unversucht, kausale Zusammenhänge zu finden. Selten ernennt ein Historiker den Zufall zum Faktor, wie dies jetzt Michael Sommer in seiner “Römischen Geschichte” I tut. Ein seltenes Zeichen von Klugheit. Ansonsten werden Religion, Aberglauben, Romane und Klima-Angst daher ewig Freunde besitzen. Das Primitive bleibt. Auch in der Form des Rohen. In der Musik der Moderne setzt Strawinsky mit dem Rückgrif auf Rohbrutales in Musik und Inhalt des “Sacre du printemps” ein Signal. Man hört das noch, wenn auch wenig raffiniert, bei “Metallica”. Gleiches und ähnlich bedeutsam macht  Picasso das in der Malerei mit den “Demoiselles d’Avignon”.
Insofern hat der Alte recht:

Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,
Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag. ...
Er scheint mir, mit Verlaub von euer Gnaden,
Wie eine der langbeinigen Zikaden,
Die immer fliegt und fliegend springt
Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;
Und läg er nur noch immer in dem Grase!
In jeden Quark begräbt er seine Nase.
FAUST I, Prolog