Sonntag, 19. April 2009

Illusion zentralen Verstehens, Wirtschaftslektüre


Das Schleierkraut hat wenig Schleierhaftes an sich. Erste Schwalben.

- Illusion zentralen Verstehens: Die Informations- und Wirkungsketten sind lang und unüberschaubar geworden und stecken voller Überraschungen. Wer kann in Frankfurt wissen, daß in Kalifornien und Florida Häuserkredite vergeben werden wie der Weihnachtsmann Geschenke verteilt? Und daß sich viele Hypothekennehmer auch verhalten haben wie kleine Kinder? Und die staatsnahen, riesigen Hypothekenfinanzierer Freddie und Fannie Mac gerechnet haben wie Freddie und Fannie um die Ecke? Die Unübersichtlichkeit ist global geworden, Zentralen und Regierungen haben weiter an Wissen und Bedeutung verloren, posieren aber als Retter, obwohl ihre künstliche Niedrigzinspolitik den Banken einen Teil ihrer traditionellen Betätigungsfelder verdarb. Ideologen wie Krugman ficht so etwas nicht an. Man müßte dem verschwätzten Nobelpreisträger mal den Erhard-Klassiker "Wohlstand für alle" schenken.- Krisen sind nicht zu vermeiden. Aber je mehr der Staat herumfummelt mit Steuern, Zinsen und Subventionen, desto schlimmer fallen sie aus.

- "Kaum irgendwo Wirtschaftslektüre in den Regalen.
Nahezu immer gut gemacht sind die Montags-Rezensionen im Wirtschaftsteil; solch spezielle Lektüre wird selten genug öffentlich behandelt. Ein Buch über die Österreichische Schule und der Rückblick auf Ludwig Erhards "Wohlstand für alle" wurden passend eingebettet in einen auch in Ihrer Zeitung geführten Streit zwischen ordnungspolitisch und mathematisch orientierten Ökonomen (F.A.Z.-Wirtschaftsteil vom 30. März).
Dies alles hat viel mit dem Vermitteln von Wirtschaftswissen zu tun. Ich vermute, dass die zum Beispiel auch bei Schülern zu beobachtenden Wissensdefizite in Sachen Wirtschaft über das Medium Buch kaum zu beheben sind. Mein Versuch, den Erhard-Klassiker über Buchhandel und Großhandel kurzfristig zu beschaffen, schlug fehl, während sich das verfügbare Standard-Sortiment des Händlers auf dem Boulevard zwischen "Was eine Chefsekretärin alles im Aufzug erfährt", "Mein Chef ist ein Arschloch" und "Reich werden in 30 Tagen" bewegt. Aktuelle Beimengungen unter den Stichworten "Crash", "Krise" und "Abzocke" runden das Angebot zwischen Lexika und Rechts- und Casting-Ratgebern ab. Ein Einzelhändler wird weder Keynes noch Marx in sein Regal stellen, aber mit Dale-Carnegie-Variationen, Heldensagen und Räubermärchen aus der Wirtschaft anzutreten, wirft doch Fragen auf, was das Agieren und das Interesse von Verlagen und Lesern anbelangt.
Wirtschaftslektüre findet sich im Übrigen auch kaum in den Regalen von Studenten, die an einer mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät das Fach Wirtschaftsmathematik studieren, auch hier dominiert die mathematische Methode das Fach. Als in den neunziger Jahren der erste deutsche Ökonomie-Nobelpreisträger, der Mathematiker und Volkswirt Reinhard Selten aus Bonn, den politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern der Republik sein Instrumentarium erklären wollte, gingen die erschöpft und ohne Erkenntnisgewinn nach Hause."
Hans-Peter Büttgenbach, Langenfeld, LB F.A.Z., 18.04.09, S. 38

- Pop-Blüten und Luhmann: "Terror-Mädchen drohen "Tokio Hotel". Eine Gruppe Stalkerinnen verfolgt die Band wohl seit sechs Monaten. "
// Kann man Warhol und Kaulitz anders als systemtheoretisch begreifen? Es handelt von marginalen, aber nicht schwächlichen Bewußtseinszuständen, die recht unbeeinflußt von vitalen Systemen walten. Mit wechselseitigen Anschlußpunkten.

- Auch Selbsttötung macht Spaß: Wenn es den Buben zu langweilig wird: "Absichtliche HIV-Infektionen. Eine Art von Todessehnsucht.
Homosexualität, Leichtsinn und mehr - ein schwer erklärbares Phänomen. Doch es existiert.
18. April 2009 „Endlich!“, dachte Richard, als er im Sommer 2006 erfuhr, dass er sich mit HIV angesteckt hatte. „Ich war froh, erleichtert, glücklich, euphorisch“, erinnert er sich an den Moment nach der Diagnose. Jahrelang hatte er russisches Roulett gespielt, bewusst versucht, sich anzustecken. Er schlief ohne Kondom mit Männern, die er flüchtig über das Internet kannte. Von denen er wusste, dass sie positiv waren. Von denen er hoffte, dass sie ihm das Virus geben würden. Er tat es erst aus Fatalismus und weil die Todesgefahr reizte. Und schließlich aus unendlicher Liebe.
„Bug chaser“ nennen sich Suchende wie Richard (Name geändert), die sich absichtlich mit HIV infizieren wollen. „The gift“, das Geschenk, heißt das Virus in der Szene zynisch – und wer es absichtlich weitergibt, adelt sich zum „gift giver“. In Deutschland nennen sich diese Leute auch „Pozzer“ von „pozzen“ – jemanden „positiv machen“. Eine bizarre Sprache hat sich da in einer Nische innerhalb der Schwulenszene entwickelt, von der umstritten ist, ob sie groß genug ist, um überhaupt als Szene zu gelten: Es gibt kaum belastbare Statistiken, obwohl sich Sexualforscher und Soziologen damit beschäftigen. Nur in einem sind sie sich einig: Das Phänomen existiert – und mit dem Internet breitete es sich aus. ..." FAZ