Donnerstag, 29. Dezember 2016

Man nimmt sich als Person war, nicht als Standesangehöriger


Ein legitimes Kind der Kirchen sei der Liberalismus nicht gewesen, räumt der Historiker Larry Siedentop ein, aber doch ein natürliches. (S. 333) 

Wem fiele da nicht Luther ein:
„Erstens, dass man ihre Synagogen oder Schulen mit Feuer anstecke und was nicht brennen will, mit Erde überhäufe und beschütte, dass kein Mensch einen Stein oder Schlacken davon sehe ewiglich. Und solches soll man tun unserem Herrn und der Christenheit zu Ehren, damit Gott sehe, dass wir Christen sind ...“


„Zweitens, dass man auch ihre Häuser zerbreche und zerstöre ... Dafür mag man sie etwa unter ein Dach oder einen Stall tun wie die Zigeuner ...“


„Drittens, man soll ihnen alle ihre Gebetsbüchlein nehmen ...“


„Viertens, dass man ihren Rabbinern bei Todesstrafe verbiete weiter zu lehren.“


„Fünftens, dass man den Juden verbietet, sich frei auf den Straßen zu bewegen (das Geleit und Straße ganz und gar aufhebe). Denn sie haben nichts auf dem Land zu schaffen ... Sie sollen daheim bleiben.“ (Luther, Von den Juden und ihren Lügen)
Luthers Aufbegehren gegen die Papst-Kirche zog viele Menschen an, die die katholische Herrschaft drückte. Aber Liberalismus entstand aus dem Protestantismus nicht. Er veknöcherte bald, und Luther selbst wurde ein verfolgerischer christlicher Religiot. Das Buch Siedentops zeigt denn auch auf dem Umschlag nicht Stefan Lochners schönes Bild „Maria im Rosenhag“, sondern ein Renaissancebild Jan van Eycks, ein Porträt des Goldschmieds Jan de Leeuw. Keinen Gott, noch Engel, noch Pfaffen, sondern einen arrivierten, wohlhabenden Bürger und Handwerker, dem van Eyck eine Widmung auf den Rahmen setzte:
„Jan de (ein Löwe) am St.-Ursula-Tag.
Der die Welt erblickte 1401.
Gekonterfeit hat mich jetzt IAN
VAN EYCK es scheint, daß er begann 1436.“

Man war sich offenbar verbunden, auch allgemein in der Zunft der Maler und Handwerker, der Bürger also. Im städtischen Bürgertum entstand wohl allmählich das Individuum. Nicht bei Pfaffen und im Adel. Der Bürger ging einer gelernten Berufstätigkeit nach, er übte sich nicht im Waffendienst und ließ sich im Turnier nicht ehrenhalber den Arm abreißen. Und er übte sich nicht in Liturgie und Predigt. Er schuf und verkaufte. Dafür wurde er von Adel und Klerus als minderwertig erachtet. Aber der Bürger produzierte, was die anderen begehrten, Bilder und Goldschmuck, im Beispiel van Eyck/van Leeuw. Das machte sie selbst-bewußt, sie sahen sich selbst an und bezogen sich mehr aufeinander als auf Götter und Pfaffen. Wobei sie allen, die Geld besaßen, ihre Produkte verkauften. Eine individuelle Sache mit Zukunft. Je mehr die individuelle Perspektive gewann, desto mehr wuchs der Wunsch nach individueller Freiheit, auch Liberalismus genannt in der politischen Form.