Samstag, 3. Oktober 2009

Drei deutsche Staaten unter dem EU-Dach wären vorzuziehen gewesen nach einer so langen Sonderentwicklung




- ' "Nationalismus, n'est-ce pas?" Akten zur Wiedervereinigung
Von Gina Thomas, London, FAZ
02. Oktober 2009 In der Regel unterliegen britische Regierungsdokumente der sogenannten Dreißigjahresregel, so dass sich der Staub legen kann, bevor sie zur Einsicht freigegeben werden. Das macht die Veröffentlichung des aufschlussreichen Schriftverkehrs der britischen Diplomatie zur deutschen Vereinigung umso bemerkenswerter. Im Regierungsapparat wird zwar mit beamtenhafter Logik differenziert zwischen Veröffentlichung und Freigabe. Aber das sind semantische Feinheiten. Der dicke, bei Routledge erschienene Band „German Unification 1989-90“ macht das Material allgemein zugänglich. Er ist ein Ableger der sehr viel umfangreicheren Akten zu Berlin im Kalten Krieg, die im Rahmen der von Historikern des Foreign Office nach und nach herausgegebenen Dokumentensammlungen erschienen sind.
Angesichts der immer noch frischen Erinnerungen an Margaret Thatchers Widerstände gegen den deutschen Einheitsprozess kommt dem Sonderband besondere Aufmerksamkeit zu, zumal sich im Anhang das berühmt gewordene Resümee jenes Seminars zur deutschen Geschichte vom März 1990 findet, zu dem die Premierministerin Historiker auf ihren Landsitz Chequers gebeten hatte. Dieses Dokument rief mit seiner als klischeehaft empfundenen Charakterisierung des deutschen Wesens Wogen der Empörung hervor, als sein Inhalt wenig später an die Öffentlichkeit durchsickerte. Strenggenommen gehört diese Begebenheit nicht in eine Sammlung von Foreign-Office-Dokumenten, da sie in Downing Street initiiert wurde von Margaret Thatchers außenpolitischem Sekretär Charles Powell, der die Premierministerin umstimmen wollte. Aber sie trug zu der allgemeinen, im britischen Außenministerium und anderswo vielfach beklagten Wahrnehmung bei, dass Großbritannien die deutsche Vereinigung wenn nicht zu verhindern, so doch zu verzögern suchte.
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Dieser Missstand wird durch den jetzt vorliegenden Band korrigiert, früher, als Mallaby und alle anderen Beteiligten es wohl je gedacht hätten. Sonst wären ihre Ausführungen womöglich auch anders ausgefallen. Die Schriftwechsel dokumentieren nicht nur die gravierenden Bedenken der Premierministerin, die daraus folgende Kluft zwischen Downing Street und dem Foreign Office und die Ärgernisse über Alleingänge Kohls, der, wie die Premierministerin dem französischen Präsidenten Mitterrand erläuterte, keine Vorstellungen habe von den Empfindlichkeiten anderer in Europa. „Er scheint vergessen zu haben, dass die Teilung Deutschlands die Folge eines Krieges ist, den Deutschland angefangen hatte.“
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Die resoluten Aktennotizen von Margaret Thatchers außenpolitischem Privatsekretär Charles Powell zeichnen ein lebendiges Bild der Gespräche mit Präsident Mitterrand, der die Bedenken der britischen Premierministerin gegen die deutsche Einheit schmeichlerisch bekräftigt, sich aber dann mit den Deutschen arrangiert, sobald er merkt, dass der Zug abgefahren ist. Bei einem Mittagessen im Elysée-Palast am 20. Januar 1990 stellt der französische Präsident fest, die plötzliche Aussicht auf die Vereinigung habe den Deutschen „eine Art mentalen Schock“ versetzt und sie wieder in jene „bösen“ Deutschen verwandelt, die sie einmal gewesen seien. Europa sei noch nicht reif für die deutsche Wiedervereinigung, erklärte Mitterrand. Wegen ihrer engen Freundschaft und der Tradition des gemeinsamen Vorgehens der beiden Länder, brüstete sich der Präsident gegenüber der Premierministerin, werde er ihr anvertrauen, wie unverblümt er sich Kohl und Genscher gegenüber geäußert habe.
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„Die deutsche Stunde hat geschlagen: Sie werden ihr Schicksal bestimmen.“ Dazu Margaret Thatcher am Rand: „Nationalismus, n'est-ce pas?“ Einige Zeilen tiefer geht Powell auf Kohls Ärger über die britische Vorgehensweise ein. Sie wirke auf ihn wie der Versuch, die Flutwelle aufzuhalten, die ihn zum ersten Kanzler eines frisch vereinten Deutschland emportragen werde, einer künftigen Weltmacht. Diesmal merkt Frau Thatcher an: „Gewaltiger Nationalismus“. Und am Schluss, wenn Powell berichtet, dass die Briten wissen müssten, wie Deutschland zur Nato, zu den Helsinki-Abkommen, den Viermächterechten und der Europäischen Gemeinschaft stehe, bevor sie die Vereinigung geschehen lassen dürften, kommentiert die Premierministerin: „Wir haben wieder einmal recht, und Kohl nimmt uns übel, dass seine Taktiken durchschaut worden sind.“
Margaret Thatchers Abneigung gegen die deutsche Einheit war atavistisch, hatte aber auch sachliche Gründe: ihre Sorge um die prekäre Position Gorbatschows, auf den sie persönlich so viel gesetzt hatte, Befürchtungen wegen der Auswirkungen auf die Sicherheits- und Europa-Politik und wegen der Oder-Neiße-Grenze. Die meisten britischen Politiker und Beamten frustrierte diese Haltung. Sie erkannten, dass „wir das Problem beträchtlich erschweren, wenn wir es mit einer antagonistischen Einstellung angehen“, wie Nigel Broomfield, britischer Botschafter in Ost-Berlin, warnte.
Im Nachhinein allerdings wirkt das Chequers-Seminar längst nicht so anstößig, wie es damals empfunden wurde. Vielmehr zeugt es von einer Bereitschaft Margaret Thatchers, sich mit den tieferen Zusammenhängen auseinanderzusetzen, wie sie unter anderem durch ihre in Charles Powells Gesprächsgrundlage für die geladenen Historiker eingeflossene Bemerkung belegt wird: „Während die Geschichte früher weitgehend bestimmt wurde von Persönlichkeiten und dem Ehrgeiz der Herrschenden, scheint mir, dass sie in Zukunft eher durch den Charakter der Menschen entschieden werden wird. Nichtsdestoweniger ist die Lehre der letzten zwei Jahre, dass weder Charakter noch Stolz durch Unterdrückung erstickt wurden.“ ...'

/// Drei Nationalisten- einer als Treuhänder
Es überrascht, daß nur Bush souverän genug war, nicht in den alten Kladderadatsch zurückzufallen. Die Teilung Deutschlands war eine Perversion, das konnte man offenbar von Amerika aus besser sehen (schon Woodrow Wilson sah den Charakter des Schikanefriedens von Versailles klar). Mitterand, Thatcher und Kohl verfallen dagegen in das alte Schema jeder Straßengang: Was ist unser Revier? Wer bedroht es oder könnte es bedrohen? Wie kann man die anderen Straßenbanden in Schach halten? Kohl wollte die Wiedervereinigung, wie die Verfassung sie befahl - und die Wiedervereinigung war nach der kommunistischen Totaldiktatur und der völligen Ruinierung der sowjetisch besetzten Zone durch die Honecker, Bisky und Gysi zweifellos eine große Wohltat für die darbende Bevölkerung. Als Bürger der "DDR" wäre das meine erstrebte Lösung gewesen. Und niemand wußte ja, was von den im Lande zwischen Rostock und Erfurt stationierten Panzern der Roten Armee zu erwarten war - wie lange sich Gorbatschow würde halten können, wußte niemand. Kohl handelte sozusagen als Treuhänder für die Ossis, und es gelang ihm, die perverse nationale Teilung zu überwinden. Mitterand und Thatcher dagegen handelten nicht national, sondern nationalistisch motiviert. Die Ossis waren ihnen gleichgültig, sie befürchteten eine Minderung ihrer jeweiligen nationalen Macht, gespeist aus der tausendjährigen europäischen Kriegsgeschichte. Das Geschehen in der SBZ überrollte alle; die Diktatur, die Mauer fielen, man fiel sich in die Arme, die Wiedervereinigung nahm ihren Lauf. Am Schreibtisch hätte man auf andere, für die Wessis finanziell sehr, sehr viel günstigere Lösungen setzen können, auf konföderale vielleicht. Es hätte dann drei deutsche Nationalstaaten gegeben: Österreich, die Bundesrepublik Deutschland und noch eine deutsche Republik. Man hätte später einen Dreierbund gründen können nach dem Schweizer Vorbild, aber im Rahmen der EU sollte und braucht auch nicht zuviel deutsche Einheit zu herrschen. Engländer und Franzosen sind auch ganz nett. Die Namensgebung "Tag der dt. Einheit" halte ich für völlig verfehlt, den Hauptstadt-Umzug für national vorgestrig und verschwenderisch.