Mittwoch, 31. März 2021

Descartes 31.3.1596-1650

Er hat sich bemüht, aber weit ist er nicht gekommen. Sich als Soldat bei einem calvinistischen niederländischen General gegen die katholischen spanischen Besatzer zu verdingen, mag noch verständlich sein, verrät allerdings keinen Forschergeist. Der spätere Wechsel im 30jährigen Gemetzel auf die katholische Seite verwundert dann doch sehr, ebenso seine Pilgerfahrt zur sog. Madonna von Loreto als Dank für deren phantasierte geistige Unterstützung. Er hat sich bemüht, aber weit ist er nicht gekommen.

Von Descartes stammt der Satz “Ich denke, also bin ich”; er war ein tumber Tor in Sachen Psychologie und Anthropologie, wie es die meisten Philosophen sind.

Der Neurologe Antonio Damasio benannte daher eines seiner Bücher “Descartes Irrtum” (1994). Sein Buch von 1999 trägt den Titel “Ich fühle, also bin ich”, darin findet sich:

“Mehr noch, ich denke, daß die Mechanismen, die der Emotion zugrunde liegen, kein Bewußtsein verlangen, selbst wenn sie sich manchmal seiner doch bedienen: Sie können die Kaskade von Prozessen, die zum emotionalen Ausdruck führen, in Gang setzen, ohne sich des emotionalen Auslösers bewußt zu sein, von den Zwischenschritten ganz zu schweigen. Tatsächlich kann ein Gefühl im begrenzten Zeitausschnitt des Hier und Jetzt auftreten, ohne daß der Organismus tatsächlich etwas von seinem Vorkommen weiß.” (A.a.O., S. 58)

Dienstag, 30. März 2021

Kaspar und der WDR



“Schon mit meinem ersten Satz bin ich in die Falle gegangen.”


So Handkes Kaspar am Ende des Stücks. Es bezieht sich auf das zunächst sprachlose Findelkind Kaspar Hauser (1812-1833).

Handke blendet die Bereicherung durch den Spracherwerb völlig aus und zeigt an seinem Kaspar, wie der Mensch durch Sprache zum willenlosen Untertanen gemacht wird.

Richtig daran ist, daß mit der Sprache auch Traditionen und Weltbilder vermittelt werden. Die politische Einflußnahme durch die politische Sprache und die Bewußtseinsindustrie der Massenmedien stellt ein Grundproblem der Gesellschaft dar, das heute so gigantisch ist wie die umgeschlagenen Milliardensummen. 

Der Fürstbischof von Köln war vor 500 Jahren eine mächtige Figur in Stadt und Reich, aber gegen den Kölner WDR heute nimmt er sich vergleichsweise schwach und unbedeutend aus. Der WDR und die hundert anderen Massenmedien und Vormünder senden von morgens bis abends eine endlose Kette von Einreden und Einflüsterungen. Eine gewaltige Macht mit ständigem Zugang zu den Köpfen der Bürger. Und wahrlich wahlentscheidend, weswegen die Politiker meist nur noch Mitspieler sind im massenmedialpolitischen Komplex.  

Wir sehen heute das Stück “Die Bewußtseinsindustrie wäscht das Gehirn so sauber und auf so unterhaltsame Weise wie nie”.





Montag, 29. März 2021

Ein Kuß in Ehren

 “Die aus der Sphäre des Hauses stammende Bindung zwischen Herr und Vasall war eine Verpflichtung auf Gegenseitigkeit. Deutlich kommt das in den Ritualen zum Ausdruck, durch die eine solche Beziehung begründet wurde. In einer klassischen Formulierung hat sie Marc Bloch in seiner ‘Feudalgesellschaft’ nachgezeichnet. ‘Zwei Männer stehen sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber; der eine, der dienen will, der andere, der willens ist oder hofft, als Herr anerkannt zu werden. Der erste faltet seine Hände zusammen und legt sie so verbunden in die Hände des zweiten: ein klares Symbol der Unterwerfung, dessen Sinn manchmal noch durch Niederknien hervorgehoben worden ist. Gleichzeitig spricht die Person mit den dargebotenen Händen einige kurze Worte, mit denen sie anerkennt, der >Mann< ihres Gegenüber zu sein. Dann küssen sich der Herr und der Untergebene auf den Mund - als Symbol der Übereinstimmung und der Freundschaft. So sahen die Gesten aus, die dazu dienten, eines der stärksten Bande zu knüpfen, die das Feudalzeitalter kannte.’ Es ist der Akt der vasallitischen Kommendation, den Bloch hier schildert.”*

Andere Zeiten, andere Rituale. Was heute recht fremd anmutet, stand damals in einem anderen Kontext. Verglichen mit den orientalischen Ritualen wie der Proskynese, dem mehrmaligen Niederwerfen, mutet es jedoch fast kollegial an.  

*(Mitterauer, Warum Europa? S. 136f.)


Sonntag, 28. März 2021

Klimaschau (Ausgabe 23): Das Ende der Maya, schwindende Ozeanwärme und e...

Schnee macht Gletscher - ändert sich der Niederschlag, hat das Auswirkung auf den Gletscher.

Von Steigbügeln und richtigen Sätteln

 Die Vergetreidung im Frankenreich - der Anbau von Roggen, Hafer und Weizen - fand in Irland nicht statt. Damit auch nicht die zweigeteilte Grundherrschaft des Lehenswesens. Die Weidewirtschaft mit den “Cattle-Lords” dominierte, “auch die irischen Klöster haben unter den agrarischen Rahmenbedingungen der ‘Grünen Insel’ nicht jene grundherrschaftsbildende Kraft entwickelt wie jene des Frankenreichs.”*

Dabei fällt auf, daß irische Missionare seit dem Frühmittelalter ihre Heimat verließen und auf dem Kontinent missionierten. Scherzfrage: Gab es deswegen keine Steigbügel und richtigen Sättel in Irland, obwohl auch dort die “Verreiterung” des Militärs stattfand? Besonders der Karolinger Karl trieb die Panzerreiterei voran, die schwere Kavallerie, während die Iren nur berittene Lanzenträger und Speerwerfer als Kavallerie einsetzten. Die Ausrüstung eines Panzerreiters war teuer und handwerklich durchaus aufwendig. Ebenso die Ausbildung eines Jungkriegers durch Ältere. Diese besorgten die Vasallen im Rahmen der Hausgemeinschaft der Villifikation. Man kann annehmen, daß etwa die irischen Mönche nicht zu dumm waren für Steigbügel und echte Sättel, legten sie ihre weiten Wege bis nach Bayern und in den Schwarzwald auch auf Pferderücken zurück, aber ihr Interesse galt anderen Dingen.  

*(Mitterauer, Warum Europa? S. 122)


Samstag, 27. März 2021

Hans Albert: Alle Menschen sind fehlbar

"Alle Menschen sind fehlbar". 

Ja, das stimmt. Hans Albert wurde 1921 in Köln geboren und lebt immer noch. Im Februar wurde er 100 Jahre alt. Das spricht jedenfalls nicht gegen den Kritischen Rationalismus, aber für Alberts Genetik.
Ja, alle Menschen sind fehlbar. Das gilt natürlich auch für Albert selbst. Wem fiele da nicht sein Engagement für die verbiesterte linke Giordano-Bruno-Stiftung ein?  

Freitag, 26. März 2021

Evolution neuen Wissens

 Evolution neuen Wissens

Selbstreferenzunterbrechung

“Wenn das nicht mehr überzeugt, kann man den Zirkel zulassen, indem man Negation einbezieht und ihn auf seine schärfste Form bringt: den Widerspruch. Dies heißt seit Kant und Hegel in einem neuen Sinne Dialektik. Hier geht es darum, das die Erkenntnis das Härteste, was ihr an Ablehnung zur Verfügung steht, den Widerspruch, herausfordert - und aufhebt. Man denkt ja: Schlimmeres als ihr genaues Gegenteil kann der Wahrheit nicht passieren; und wenn sie dann noch eine Lösung findet, zeigt eben das, daß die Erkenntnis sich selbst mit der Wirklichkeit, die keine Widersprüche kennt, versöhnt hat (oder, wie man auch meinen könnte: daß es gar kein Widerspruch war). … 

Anders als im großen Roman der Philosophie, anders als in der Phänomenologie des Geistes, gibt es deshalb kein Ende, in dem die Erkenntnis mit ihrem Gegenstand, die Vernunft mit der Wirklichkeit eins wird. Auch wird die alte Differenz von Erkenntnis und Gegenstand, die alte ontologische Negativität der Erkenntnis als Operation außerhalb des zu Erkennenden, nicht vorgeführt, um zu zeigen, wie die Erkenntnis in der Geschichte dialektisch zu sich selbst kommt. Es gibt keine Einheit als Ende. Was sich als Erkenntnis beobachten läßt, ist und bleibt die Erzeugung einer Differenz im Ausgang von einer Differenz.” 

Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 498 u. 547)


Mittwoch, 24. März 2021

Vergnügungen von Bertolt Brecht gel.v.Jürgen Westphal

Auf die Dialektik verzichten wir, und bei der Zeitung sind wir wählerisch. Der Blick aus dem Fenster öffnet den Tag und ist unverzichtbar, und ein altes Buch kann schon beglücken.

Karolingisches Lehenswesen und Panzerreiter

“Der Aufbau der schweren Reiterei im Karolingerreich, der der Entstehung des europäischen Lehenswesens zugrunde liegt, stellt sich in dem von den Steppenvölkern Eurasiens ausgehenden Prozeß der ‘Verreiterung’ als eine sehr späte Entwicklungsstufe dar. Einige große Militärmächte hatten schon Jahrhunderte zuvor ihre Heeresorganisation auf Panzerreiter aufgebaut bzw. diese einbezogen. Bei keiner ist es dadurch zu völlig analogen Formen feudaler Strukturen gekommen. Im Gegenteil: Das Lehenswesen in seiner Verbindung von ‘feudum’ als dinglicher und Vasallität als personaler Komponente ist ein Spezifikum der Entwicklung im Karolingerreich. Es erklärt sich aus den Rahmenbedingungen, unter denen die karolingischen Heeresreformen erfolgten. Die auf der Agrarrevolution basierenden neuen Formen der Grundherrschaft ermöglichten - anders als in Byzanz - eine hinreichende materielle Fundierung der neuen Panzerreitertruppe.” *


Byzanz (Konstantinopel, Ostrom, später Istanbul) allerdings brauchte als städtische Zentrale auch weniger eine Offensivtruppe wie die Panzerreiter, weil es stärker defensiv ausgerichtet war; es mußte vor allem die Angreifer aus dem Süden und Osten abwehren, denen es schließlich 1453 unterlag. (Mehmed d. Eroberer) 

*(Mitterauer, Warum Europa? S. 121)

Montag, 22. März 2021

Mensch und Tod


 

Das Umschlagbild von Dali ist recht neckisch gewählt, aber dieser Topos ist eben beliebt und kommt immer wieder vor in der umfangreichen Graphiksammlung der Uni Düsseldorf. Der Medizinhistoriker Hans Schadewaldt begründete sie 1976, als die Uni noch jung war. Den Grundstock bildete die Sammlung von über 800 Graphiken des Berliner Chirurgen Werner Block (1893-1976); der Düsseldorfer Pathologe Meessen machte Schadewaldt darauf aufmerksam und der sorgte listenreich für den Ankauf. Es war also ein Projekt der Mediziner, und welche Zunft hätte nicht mehr Bezug zum Thema als eben diese. 

Der Katalog der seinerzeitigen Ausstellung in der Uni-Bibliothek ist sicher ein schönes Geschenk für Senioren mit Geschmack. 

Sonntag, 21. März 2021

Alte Klage


Der “griechische Philosoph klagte nicht ganz ohne Grund: es ist Schade, daß man alsdann sterben muß, wenn man eben angefangen hat einzusehen, wie man eigentlich hätte leben sollen.”*

Das ändere mal jemand. Manchmal gelingt es ja, selbst bei unklugen Eltern. Aber einfach ist es nicht. 

Und das gilt auch für Gesellschaften. Zuvor heißt es bei Kant:

“Denn wenn der glücklichste Kopf am Rande der größten Entdeckungen steht, die er von seiner Geschicklichkeit und Erfahrenheit hoffen darf, so tritt das Alter ein; er wird stumpf und muß es einer zweiten Generation (die wieder vom A B C anfängt und die ganze Strecke, die schon zurückgelegt war, nochmals durchwandern muß) überlassen, noch eine Spanne im Fortschritte der Cultur hinzuzuthun.”

Das tut die nächste Generation unter Umständen nicht. Kant lebte zur Zeit der industriellen Revolution, in der zahlreiche Erfindungen und Umwälzungen das Leben enorm erleichterten. So verbesserte Andrew Meikle (1719-1811) im calvinistischen Schottland wahrscheinlich einen früheren Dreschmaschinenentwurf Michael Menzies und wurde so der Begründer einer neuen Agrarmaschinen-sparte. 

Aber in reifen Industriegesellschaften können Medien und der Unterhaltungssektor soviel Verwirrung stiften, daß große Entdeckungen und großartige Erfindungen der Altvorderen auf den Müll geworfen werden. So geschehen mit der fortgeschrittensten und sichersten Energieerzeugungstechnik in Deutschland.  

 

*Kant, Immanuel. Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte. Musaicum Books. Kindle-Version.


Samstag, 20. März 2021

Ach, so


Das Leben wird nach vorne gelebt und von hinten verstanden. So lautet ein beliebter Weisheitssatz. An dem gewisse Zweifel angebracht sind, was das spätere Verstehen betrifft. Was nachträgliche Konstruktionen sind, und was tatsächlich Einsicht in eine - oft lang - zurückliegende Handlungssituation darstellt, ist sehr schwer einzuschätzen. Vielleicht sogar unmöglich. Immerhin hat man manchmal das Gefühl, es ginge. Aber auf Gefühle ist kein Verlaß. Wolfgang Marx kann man insofern gut folgen:

Auf neuronaler Ebene nämlich entspricht einer Entscheidung die Vektorsumme aller Determinanten, die zum Zeitpunkt des Prozesses wirksam waren. Daraus folgt, dass unter gleichen Bedingungen immer das Gleiche geschieht. Es gibt daher keine Plausibilität für den Glauben, man hätte sich in einer gegebenen Situation auch anders verhalten können, als man es getan hat.

Aber er scheint doch zu wenig zu differenzieren, was die verschiedenen Handlungstypen betrifft. Sind elementare Ebenen einbezogen - wie Sexualität - ist eine rational Kontrolle weniger gegeben als bei Entscheidungen zur Nachmittagsgestaltung. Immerhin, bei Kahneman trifft man auf Möglichkeiten, wie Entscheidungssituationen mit mehr kaltem Kalkül zu unterfüttern sind. Die in verschiedenen Kulturen mehr oder weniger beachtet werden.

Ins Reich der unhaltbaren Spekulation führen Marxens Folgerungen, die er auf wackelige Experimentalbefunde sattelt. Die Moral bzw. das moralische Verhalten speist sich aus Tradition, Regeln und persönlicher Veranlagung. Auch da gilt die Vektorsumme, und sie besitzt einen starken individuellen Einschlag. Ebenso das Bedürfnis nach einem chinesischen Ameisenleben.  

 


Haushaltsgemeinschaften oder Abstammungsverband? Das ist die Frage!

 “Die Grundform europäischer Familienverfassung ist nicht der Abstammungsverband, sondern die Hausgemeinschaft. Die Mitglieder dieser Hausgemeinschaft müssen untereinander nicht notwendig durch Abstammung oder Heirat verwandt sein. Das macht dieses System so flexibel und an veränderte Verhältnisse anpassungsfähig. Es waren vor allem Bedürfnisse der Arbeitsorganisation, die in der europäischen Geschichte zu spezialisierten Formen von Haus- und Haushaltsgemeinschaften geführt haben - in der Landwirtschaft, im gewerblich-industriellen Bereich. … Und auch über den Rahmen der Hausgemeinschaft hinaus haben die gelockerten Abstammungsbeziehungen es möglich gemacht, starke Sozialbeziehungen zu nicht verwandten Personen aufzubauen.” (Mitterauer, Warum Europa? S. 107)

Das ist ein Punkt, der sonst kaum angesprochen wird, aber bis heute eine große Rolle spielt. Kann man die römischen Mit-Kaiser hier einordnen? Nur teilweise, soweit sie nicht Söhne waren wie bei Marc Aurel, mit dem Beinamen “Philosoph auf dem Kaiserthron”. Marc Aurel erkannte die Nichtsnutzigkeit seines Sohnes Commodus, machte ihn aber trotzdem zum Mit-Kaiser und Nachfolger. Außerhalb des Abstammungsprinzips konnte er nicht denken. Später, im west- und im ostfränkischen Bereich - beide christianisiert, beide mit der gleichen Agrarverfassung und mit Lehnswesen - entwickelte sich die politische Herrschaft und die politische Landesgliederung sehr unterschiedlich. In Frankreich entstand eine zentralistische absolute Monarchie, in Deutschland ein tausendgliedriges dezentrales Wahlkönigtum. Einzelne Elemente wie das Lehnswesen und die damit verbundene Hausgemeinschaft haben ihre Wirkungsgrenzen. 


Mittwoch, 17. März 2021

Die alte Unübersichtlichkeit mit neuen Frisuren

 Ja, von Zeit zu Zeit wird der alte C.P. Snow präsentiert, der Physiker der 2 Kulturen und zuletzt Wissenschaftsberater von Labourpremier Harold Wilson, der England fast völlig ruinierte. Da könnte man süffisant anmerken: kein Wunder bei diesem Berater. 

Aber seine Fragestellung existiert natürlich weiterhin. Die Physiker und anderen Naturwissenschaftler sind Hilfskräfte der Ingenieure, die den Wohlstand der Dinge schaffen, die aber natürlich keinen Sinn mit den Dingen und Gütern mitliefern können. Den können nur die Geistes- und Sozialwissenschaftler beisteuern, die jedoch überwiegend Unsinn produzieren. Wir haben das erlebt mit Chauvinismus und Imperialismus, mit Marxismus und Psychoanalyse, wir erleben das gerade mit Dekonstruktion und Genderfeminismus, mit esoterischen Weltbeglückungs-, Weltrettungs und Identitätstheorien. Die Lage ist so verworren wie verfahren. Da hilft kein Luhmann und kein Stichweh.


Sonntag, 14. März 2021

Ehe so oder so?

Man erinnert sich an Odysseus und Penelope, Helena und Paris, Daphnis und Chloe - deswegen sieht Mitterauer immer auch zurecht die antiken Grundlagen für die europäische Entwicklung der gattenzentrierten Ehe. Die nordischen Verhältnisse beachtet er weniger, aber es ist durchaus bemerkenswert, was Tacitus in der GERMANIA schreibt:

“Die Morgengabe bringt nicht das Weib dem Manne, sondern dem Weibe der Mann. Bei der Ueberreichung finden sich Eltern und Verwandte ein und mustern die Geschenke. Geschenke – aber nicht weibliche Luxusdinge oder Schmucksachen für die Neuvermählte, sondern Rinder und ein gezäumtes Roß und ein Schild mit Schwert und Speer. Gegen diese Gaben wird die Frau dem Manne zutheil, dem sie selbst ihrerseits einige Waffen zubringt. Diese Dinge gelten als das festeste Band, als das heilige Geheimniß, als die Schirmgötter der Ehe. Das Weib soll nicht wähnen, daß sie außerhalb der männlichen Gedankenwelt, außerhalb der kriegerischen Ereignisse stehe. Darum wird sie schon auf der Schwelle des Ehestands belehrt, daß sie eintritt als Genossin von Mühsal und Gefahr, im Frieden und im Kriege mit dem Manne zu dulden und zu wagen. Also verkünden ihr die gejochten Rinder, das gezäumte Roß, die dargebrachten Wagen; so muß sie leben, so muß sie sterben; was sie heut empfängt, das soll sie unentweiht und in Ehren dereinst ihren Söhnen übergeben, von diesen sollen es ihre Schwiegertöchter entgegennehmen, ihre Enkel es erben.”

(Tacitus, Die Germania.)


Tacitus war jedoch selbst nicht in Germania, sondern schöpft aus Quellen wie Caesar und Titus Livius. 

Dennoch kann diese Darstellung mit erklären, warum zwar das orientalische Christentum mit Paulus und Thomas die asiatische Vorstellung von dem Weib als “verfehltem Mann” (Thomas von Aquin) transportiert, aber diese nicht umfänglich dem Norden überstülpen kann. Mit Tacitus lassen sich viele okzidentale Erscheinungen gut vereinbaren, seien es die Kaiserinnen wie Theophanu oder die Witwe Loretta von Salm, die den aggressiven Erzbischof von Trier gefangensetzt. (Fischer-Fabian, Die Deutschen im späten Mittelalter, S. 219ff.) Auch das merkwürdige Phänomen des Minnesangs sei erwähnt.  

Mitterauer betont die große Bedeutung der christlichen Konsensehe und die Parallelisierung der Verwandschaftsbedeutung beider Ehepartner, sieht aber auch, daß im Osten “trotz Christianisierung patrilineare Traditionen der vorchristlichen Zeit vielfach weiterhin wirksam” blieben.* Das dürfte auch für die Vergleichsräume China und islamische Länder gelten, sie “erweisen sich im historischen Rückblick  als stark abstammungsorientierte Kulturen - den jeweiligen Wurzeln nach wohl aus sehr unterschiedlichen Gründen. Der Effekt ist aber weitgehend derselbe. Patrilineare Strukturen bedeuten für die Ordnung der Familie starke Bindungen - insbesondere die Notwendigkeit, die männliche Linie fortzusetzen.”*   (Mitterauer, Warum Europa? S. 103)

Freitag, 12. März 2021

Die westliche Kernfamilie schon bei den Karolingern


Peter Laslett, Characteristics of the Western Family considered over Time, 1977

“Alle vier der von Laslett genannten Characteristika der ‘westlichen Familie’ reichen historisch sehr weit zurück. Alle vier deuten auf grundherrlichen Einfluß. Alle vier lassen sich mit der Hufenverfassung in Verbindung bringen. Alle vier verweisen auf verschiedene Facetten der gattenzentrierten Familie: Im ‘simple family household’ bildet das Gattenpaar das Kernstück der Familie. Das einmalig hohe Heiratsalter hängt damit zusammen, daß man mit der Heirat die Selbständigkeit als Hausherr bzw. Hausfrau erreicht. Die Bedeutung der Wiederverehelichung erklärt sich aus der Notwendigkeit, die beiden zentralen Rollen von Hausherr und Hausfrau immer wieder zu besetzen. Der Gesindedienst ist das Korrelat zur späten Heirat. So lange man nicht heiraten kann, verbleibt man in abhängiger und im wesentlichen kindesgleicher Stellung - wenn nicht bei den Eltern, so als Knecht oder Magd unter Nichtverwandten in fremdem Haus.”       

(Mitterauer, Warum Europa? S. 76) 


Die Propagierung der Einehe durch das Christentum dürfte hier unterstützend gewirkt haben. Dies ist in allen anderen Religionen auch heute noch anders.

 

Mittwoch, 10. März 2021

Konservatismus

 


Geschichtsschreibung ist der Zeit unterworfen. Die Politik mischt dabei auf vielen Wegen mit. Besonders brutal sind Diktaturen darauf aus, die Historiker zu lenken. In der Honecker-und-Gysi-Diktatur flüchteten viele Historiker in die frühe Geschichte, deswegen bekamen sie von der SED einen politischen Kommissar und Stasi-Agenten vorgesetzt, hier Joachim Streisand, der alles auf SED-Konformität kontrollierte.


Keine Theorie, keine Ideologie kann alle Bereiche des Lebens abdecken. Insbesondere gilt das für politische Theorien.

Der Mensch selbst ist ein von der Evolution zusammengewürfeltes System. 

Sein Körper bestimmt grundlegend sein Leben. Egal, ob es sich um den Blutdruck oder das endokrinologische System handelt.

Fünf Grundbedürfnisse hängen mit der Physis eng zusammen: existenzielle Sicherheit, körperliche Integrität, Selbstentfaltung und Leistung.

Hier ist der eigentliche Urgrund des Konservatismus. Da sollten Experimente eher vermieden werden.  

Im politischen und sozialen Raum kommen und gehen die Theorien (Religionen inbegriffen) und Verrücktheiten. Die Geschichte bietet dafür reiches Anschauungsmaterial, sie gibt aber keine Lehren, da die Zeitumstände ständig wechseln und Gesellschaften nicht zu steuern sind wie etwa ein Schiff. Das “Staatsschiff” als Vergleichsbild ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. 

Das Ordnungsbedürfnis der Bürger dominiert hier alles andere. Daher spielen Nation, Staat,  Wohlstand und politisch-soziale Freiheiten eine gewisse Rolle; diese Bestandteile stehen im Verbund miteinander und bedürfen der ständigen Aufmerksamkeit und Austarierung. Wird ein Bestandteil zu dominant, so geraten die anderen Bestandteile in Gefahr bis hin zur Auslöschung. Auch hier empfiehlt sich stets, von einem konservativen Standpunkt auszugehen, aber bei allem Handeln stets die Unsicherheit allen menschlichen und politischen Urteilens zu veranschlagen.






Dienstag, 9. März 2021

Aus Sklaven werden Bauern

 “Die auflösende Wirkung grundherrschaftlicher Ordnungen auf Stammesgesellschaften liegt nicht zuletzt darin begründet, daß sie Unfreie einbeziehen. Die fränkische Villikationsverfassung hat aus Sklaven ‘servi casati’ mit eigener Bauernwirtschaft gemacht. Sklaven und Unfreie stehen in einer starken personalen Beziehung zu ihren Herren, nicht zu ihrer Verwandtschaft. Die grundherrliche ‘familia’ des Frühmittelalters schließt vielfältige Gruppen von Unfreien, Leibeigenen, Hörigen, Schollengebundenen zu einem neuen Personenverband zusammen. Für eine sachenrechtliche Konzeption des Sklaven wie in der Antike ist hier kein Platz mehr. Die fundamentale Unterscheidung zwischen Freien und Sklaven verschwimmt bei diesen neuen Formen personaler Abhängigkeit. In der europäischen Landwirtschaft spielt Sklavenarbeit seither  keine Rolle mehr.” (Mitterauer, Warum Europa? S. 67)  

Diese Organisationsform entwickelt eine größere Flexibilität des Arbeitseinsatzes mit größerer Eigenverantwortung des Individuums. 

Es bedeutet aber auch mehr Dezentralisierung und ländliche Fokussierung. Die großen Städte verloren an Bedeutung und die zentralen Einrichtungen der Römer wie Brücken, Aquädukte, Straßen und Bewässerungskanäle verfielen und verschwanden größtenteils. 


Montag, 8. März 2021

Byzanz, Kern- und Randeuropa

 “Zwar setzt Byzanz bruchlos die spätantike Tradition der Sklaverei fort, zu einer Ansiedlung als “servi casati” mit selbständiger Bauernwirtschaft kommt es hier aber auf dieser Grundlage nicht.”

Das ist bedeutsam, erstens, weil sich daraus ergibt, daß das Christentum, hier die orthodoxe Kirche, nicht automatisch die Sklaverei abschafft; und zweitens, daß dieser Sklavenstatus des Sklaven ohne eigenes Haus und eigener Versorgung auch den Status stabilisiert. Der Weg in die Lockerung, wie er sich in der fränkischen zweigeteilten Grundherrschaft ergibt, unterbleibt. Pflugdienste werden in der traditionellen byzantinischen Landwirtschaft nicht gebraucht, eine Vergetreidung findet nicht statt.  

Dergestalt bildet sich ein fränkisches bzw. fränkisch beeinflußtes Kerneuropa und ein Randeuropa, das Irland, Wales, Schottland, Osteuropa östlich der Linie Petersburg/Triest, den ganzen Balkan, das ehemalige byzantinische Süditalien sowie das ehemalig maurische Südspanien beinhaltet. “Im Anschluß an abweichende Traditionen der Agrarverfassung hat sich in vielen Regionen ‘Randeuropas’ die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung anders gestaltet.”

(Mitterauer, Warum Europa? S. 63-66)


Freitag, 5. März 2021

Klimaschau (Ausgabe 19)

Wieder sehr informativ.- Allerdings nimmt das Grün des Waldes auch mehr Wärme auf, während das Grasland stärker reflektiert.

Donnerstag, 4. März 2021

Texas hebt die Zwangsmaßnahmen auf

 Kalifornien mit einer sehr jungen Bevölkerung verzeichnet nach Johns Hop. 53.083 an Co19 Verstorbene, das sind 0,13% der Gesamtbev. von 39.500.000. Bei Zwangschließungen und Hausarrest. 


Florida mit einer sehr alten Bevölkerung - davon sehr viele im natürlichen Sterbealter - verzeichnet nach Johns Hop. 31.267 an Co19 Verstorbene, das sind 0,15% der Gesamtbev. von 20.984.400. Ohne Zwangschließungen und Hausarrest. 


Texas mit einem Durchschnittsalter von 34,3 Jahren verzeichnet nach Johns Hop. 44.463 an Co19 Verstorbene, das sind 0,16% der Gesamtbev. von 28.304.596 Personen. Bei Zwangschließungen und Hausarrest. Jetzt ist damit Schluß.


Ob diktatorische Maßnahmen oder nicht - die Verstorbenenzahlen an Co19 liegen mit 0,16% (Texas), 0,15% (Florida) und Kalifornien 0,13% in fast der gleichen, niedrigen Höhe.


Karl und die schweren Panzerreiter

 Max Weber, Vorbemerkung zu den »Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie« 1905 

“Universalgeschichtliche Probleme wird der Sohn der modernen europäischen Kulturwelt unvermeidlicher-und berechtigterweise unter der Fragestellung behandeln: welche Verkettung von Umständen hat dazu geführt, daß gerade auf dem Boden des Okzidents, und nur hier, Kulturerscheinungen auftraten, welche doch – wie wenigstens wir uns gern vorstellen – in einer Entwicklungsrichtung von universeller Bedeutung und Gültigkeit lagen? …”


Weber, Max. Gesammelte Schriften zur Religionssoziologie - Vollständige Ausgabe: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus + Die Wirtschaftsethik der ... der Geist des Kapitalismus. e-artnow. Kindle-Version. 


Zu dieser “ Verkettung von Umständen“ gehörten auch die schweren Panzerreiter, so Mitterauer. Großviehintegration in die Landwirtschaft, Haferanbau im Rahmen der Dreifelderwirtschaft und die zweigeteilte Agrarverfassung in Bauernland und Herrenland bildeten eine dynamische Einheit. Und ohne die schweren Panzerreiter wäre der Karolinger Karl (748-814) nicht so groß geworden - bzw. sein Reich - wie der Beiname behauptet.  


https://www.welt.de/print/die_welt/wissen/article197897069/Wie-der-Panzerreiter-nach-Europa-kam.html#Comments

Dienstag, 2. März 2021

Wer paßt sich an?



Links und rechts kann man hier nicht verwechseln. Links die Ziegelhäuser der Römer, rechts die Lehmhütten/-häuser der Germanen. Die Strohdächer besaßen keine Holzunterfütterung, bei schwerem Regen durchdrang das Wasser durch das Stroh. Durch das Rauchabzugsloch regnete es ohnehin herein. Der römische Standard wurde bewundert, konnte aber erst später, nach Aneignung der handwerklichen Fähigkeiten, übernommen werden. Noch im 18. Jahrhundert war ein Steinhaus etwas Besonderes. Die Vermittlung der überlegenen römischen Kultur erfolgte über den germanischen Hochadel, zum Beispiel die Königspfalzen. Da gab es dann auch Fenster und nicht nur das “Windauge” (window). Nachdem die Römer keine Lust mehr hatten, Offizier in der Armee zu werden, drangen die  jungen Germanen in diese Laufbahn, wie der bekannte Arminius (Hermann der Cherusker) bzw. verdingten sich als römische Hilfstruppen. Das Ende des weströmischen Reiches war da nicht mehr weit, der letzte römische Kaiser Romulus Augustulus wurde 475 von dem Halbthüringer und weströmischen Offizier Odoaker abgesetzt, der sich selbst zum “Patrizius” von Rom ernannte. Das Reich zerfiel und der Franke Chlodwig - die Franken kamen vom Niederrhein - nutzte diese Schwäche zur Eroberung Galliens. Die Kulturübernahme geriet dadurch ins Stocken, aber Rom blieb das große Vorbild. Aus den Franken wurden Romanen.

 

Schluß mit dem Brei!

“Die Wassermühle als zentrale Einrichtung lokaler ländlicher Regionen verweist auf eine soziale Rahmenbedingung der frühmittelalterlichen Agrarrevolution, nämlich die Villikation, die in Herrenland und Bauernland zweigeteilte Grundherrschaft. Die Verbreitung der Wassermühle im Frankenreich erfolgte primär durch weltliche und geistliche Grundherren - vor allem den König und seine Amtsträger auf den einzelnen Königshöfen sowie den Klöstern in den Mittelpunkten ihrer Grundherrschaften.” (Mitterauer, Warum Europa? S. 23)

Das helle Weizenbrot aus dem Mittelmeerraum genoß bei den gehobenen Herrschaften großes Ansehen, das dunkle Roggenbrot war den Unedlen vorgehalten. Beide Nacktgetreide verlangten aber das Mahlen, dann das Backen. Mühle und Backofen waren teure Investitionen und insofern vorwiegend nur vom Adel finanzierbar. Um die Standorte herum siedelten alle, die ihren Getreidebrei satt hatten, der natürlich sehr einfach zu bereiten war. Im Wort ‘Villikation’ steckt das französische Wort ‘village’, das ins Englische übernommen wurde.