Dienstag, 11. Mai 2021

Natus und Nation

Regino von Prüm (840-915, Abt des benediktinischen Königsklosters Prüm/Eifel):


“Die verschiedenen Nationen”, schreibt Regino, “unterscheiden sich nach Abstammung, Gebräuchen, Sprache und Recht.”*

Das ist im Mittelalter noch kein nationaler Begriff, sondern verweist auf die geographische Herkunft. So war Regino kein Deutscher, sondern Franke; erst später, als aus dem ostfränkischen Reich deutsche Herrschaften wurden, hieß dann ein Einwohner “natus Teutonicus”, geboren in deutschen Landen, von lat. ‘natus’ - geboren. Aus den Franken waren im Mittelalter noch keine Franzosen, Deutsche, Italiener oder Spanier geworden. Die regionalen Dialekte wandelten sich erst langsam zu Hochsprachen, die dann auch eine großräumliche nationale Identität entwickeln halfen. Das aber war das Werk von Jahrhunderten. Dort, wo verschiedensprachige Volksgruppen zusammentrafen, wurden zwei oder mehr Sprachen verwendet. Der Gebietsherr war entscheidend, und wenn die Herrschaft verschiedene Sprachgebiete umfaßte, dann führte der auch mehrsprachige Namen wie Ritter Heinrich Zolunta, der böhmische König Premysl Ottokar; gemischte Doppelnamen gab es auch in Spanien (arabisch/romanisch). Der Begriff der Nation umfaßte noch nichts Trennendes, Nationalistisches.  


*Bartlett, “Die Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt”, S. 239, 244