L.L. Thurstones Primärfähigkeiten und die Korrelationen untereinander und mit der generellen Intelligenz g
Tabelle aus: Hans Jürgen Eysenck, Die Ungleichheit der Menschen, Ist Intelligenz erlernbar?, dt. 1989,
S. 75
Ich bin nicht so sicher, ob die Ökonomen rechnen können, sagte der Flugzeugbauer nach einem ökonomischen Vortrag. Ich weiß nicht, ob die Ingenieure noch etwas anderes können, außer Rechnen, hätte der Ökonom vielleicht erwidert. Und käme noch ein Künstler dazu, so wären Ingenieur, Ökonom und Jurist sich wahrscheinlich einig, daß sich die Kunst auf einem ganz anderen Kontinent befände.
Alle drei und andere Fach-Vertreter mehr könnten sich aber im IQ-Test in der Nachfolge C. Spearmans in der gleichen Punktklasse wiederfinden, ihr genereller Intelligenzfaktor "g" wäre möglicherweise ähnlich. Das hat seine Richtigkeit, doch ist der Aussagewert von "g" nicht sehr groß. Der Flugzeugbauer wird den Ökonomen weiterhin für etwas "doof" halten, der Ökonom den Ingenieur für "engstirnig". Bei Kindern allerdings dürfte "g" als Hilfsmittel am interessantesten sein, um eine Beurteilung abzurunden.
Vielleicht war es das Zusammentreffen mit anderen Fachvertretern, die L.L. Thurstone zur Ausfaltung des Generalfaktors in "Primärfähigkeiten" anregte. Er unterschied Rechengewandtheit, Wortflüssigkeit, Sprachbeherrschung, Raumvorstellung, Mechanisches Gedächtnis und Schlußfolgerndes Denken und untersuchte den Zusammenhang mit "g". Der war am höchsten beim Schlußfolgernden Denken (0,84 von max. 1), am geringsten beim räumlichen Vorstellungsvermögen (0,34) und dem Mechanischen Gedächtnis (0,47). Insgesamt gab es einen positiven Zusammenhang mit dem Generalfaktor.
Eine weitere Differenzierung kam mit der Annahme einer multimodularen Intelligenz ins Spiel. In dem Buch ABSCHIED VOM IQ (1985/91) postulierte der Harvard-Psychologe Howard Gardner, daß jeder Mensch mehrere ‚Intelligenzen’ entwickeln könne, die von Tests gar nicht erfaßt werden könnten. So unterscheidet er:
Sprachliche Intelligenz, logisch-mathematische, musikalische, körperlich-kinästhetische, räumliche, interpersonale und intrapersonale, naturkundliche Intelligenz und Lebensintelligenz.
Der deutsche Intelligenzforscher Detlev Rost findet das feulletonistisch. Daran ist soviel richtig, daß sich diese Dimensionen schwer in einem handlichen Testapparat messen lassen. Aber lehrt nicht die Lebenserfahrung, daß es hier erst richtig interessant wird? Das entwertet allerdings die "Generalintelligenz" nicht. Die behält ihre Bedeutung. Aber sinnvoll ist es, früh die Vielfalt der Intelligenzen und die große Ungleichheit der Menschen kennenzulernen. Daß jemand körperlich-kinästhetisch begabt ist, fällt leicht festzustellen. Wo die speziellen Begabungen aber liegen, bedürfte schon einer eingehenderen Untersuchung. Die kann man sich in diesem Bereich sparen, weil das Ergebnis nur dem Stumpfsinn des Leistungssports dient. Aber in den anderen Bereichen läge schon daran, um Begabungsdefiziten entgegenzuarbeiten und die passende Berufsrolle zu finden und konstruktiv zu begleiten. Es bedarf der Arbeit, aus einem intelligenten Verkäufer einen guten Verkäufer, aus einem intelligenten Abteilungsleiter einen guten Abteilungsleiter zu machen. Dazu gehört immer die intrapersonale Intelligenz. Das ist ein alter Hut, aber der Grad der Selbsterkenntnis ist nicht einfach zu messen. Ob meßbar oder nicht, die Arbeit daran ist unabweisbar. Schon, um eine hohe Lebenszufriedenheit zu erreichen und Schaden zu vermeiden. Das gilt für alle Dimensionen Gardners, wobei ich innerhalb der Lebensintelligenz noch die Abteilung "Prioritätenintelligenz" einrichten würde. Denn nicht nur gibt es Zeitfenster für verschiedene Lernziele, die Zeit insgesamt läuft ab. Wer Jahre mit Leistungssport vertut, kann sie nicht für seine mentale Gesamtentwicklung nutzbar machen. Auch im situativen Handeln ist es wichtig, das Wichtige schnell zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten.
Ein Abschied vom Spearman-IQ ist dafür aber weder nötig noch wünschbar.