Wie’s so geht
"Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen,
Die Sonne stand zum Gruße der Planeten,
Bist alsobald und fort und fort gediehen
Nach dem Gesetz, wonach du angetreten.
So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen,
So sagten schon Sibyllen, so Propheten;
Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt
Geprägte Form, die lebend sich entwickelt."
Goethe, Urworte orphisch, Dämon
Das ist nicht astrologisch gemeint, die Planeten kann man heute genetisch deuten. Dem Einfluß deines Genoms, dem Bündel deiner Veranlagungen kannst du nicht entfliehen, wäre die moderne Version dieses Textes. Das gilt im Positiven wie im Negativen, ob im Sport, in der Malerei, in der Sprachbegabung, bei der Mathematik und überall sonst. Gleichwohl gibt es Beeinflussungen von innen wie von außen, wenn es auch nicht den freien Willen gibt, der ohne Vorbedingungen frei wählen könnte. Wie weit ungünstige Anlagen zu kanalisieren sind, wird von Fall zu Fall unterschiedlich sein, aber wünschbar ist es jedenfalls. Dem eigenen Affen stets Zucker zu geben, empfiehlt sich nicht. Die Pflege der immer gleichen Gedanken und Empfindungen wird mit einem Verlust an Offenheit bezahlt, an Einengung der Wahrnehmungen.
Das zeigt sich vielfach. Bei Gottfried Benn in besonderer Weise. Wo sich bei Goethe ein weites Panorama entfaltet, schrumpft bei Benn alles zu seinem Lebenstopos Verfall und Tod. Jedes Gedicht endet sehr ähnlich, wie etwa in “Gladiolen”:
“Hier ist kein Ausweg:
Da sein - fallen -”
Hat man eines gelesen, kennt man alle, auch wenn sie eine große - und in kleinen Dosen - sehr reizvolle Variationenkette ergeben.
Erstaunlich ist, daß sich der familiäre Ausgangspunkt bei Benn so überaus positiv darstellt: eine behütete und naturnahe Kindheit auf dem Land, geistige und sprachliche Anregung in der angesehenen Pastorenfamilie, das Ausbleiben von persönlichen Katastrophen in Jugend und Studium. Trotzdem entwickelt er eine negative Sicht von Mensch und Welt, die er zeitlebens hingebungsvoll ausbaut. Er entfloh sich nicht und seiner depressiven Lebensstimmung. Man kann sich wundern, daß er es mit sich aushielt.