Sarrazin äußerte sich gestern in einem FAZ-Leserbrief ablehnend zum Interventionismus. Der sei "leider nur selten eine Lösung". Namentlich erwähnt er Irak, Afghanistan, Libyen und Syrien. Man ist geneigt, dem pauschal zuzustimmen, doch ist eine "Lösung" für menschliche Verhältnisse ohnehin ein bißchen viel verlangt. Die Geschichte bewegt sich fort, mit längeren und kürzeren Friedenszeiten. Längerer Frieden stellt sich ein, wenn ein brutaler Augustus seine Konkurrenten umgebracht hat samt ihren Unterstützern. Wenn die Städte verbrannt sind und die Atombomben fielen. Nachdem das massenweise Verbrennen von Zivilisten im letzten Weltkrieg als normal galt, ist inzwischen ein völliger Paradigmenwechsel eingetreten. Militärisches Eingreifen wird dadurch langwierig, die Kriege werden nicht mehr ausgekämpft, sie dauern viele Jahre. Darauf müssen sich Interventen einstellen, sonst droht, was in Afghanistan nach 1988 passierte, als sich Rußland aus Afghanistan zurückzog. Die islamistischen Guerillagruppen fielen übereinander her und überzogen das Land mit Mord, Totschlag und Zerstörung. Das ist auch das, was Syrien droht. Daher ist es sinnvoller, nicht zu intervenieren, noch sinnvoller, Assad zu stützen. Nur Diktatoren können halbwegs friedliche Verhältnisse garantieren, besonders in Ländern, in denen das einzelne Menschenleben traditionell nichts gilt. Das ist überall außerhalb des Westens so. Selbst auf dem ehemals türkisch besetzten Balkan wird es noch lange Zeit dauern, bis eine eigenständige, friedliche Zivilgesellschaft in allen Landesteilen des ehemaligen Jugoslawiens errichtet und gesichert ist. Die Nato-Intervention liegt immerhin schon fast zwanzig Jahre zurück, 1995 endete der Bosnienkrieg. Hätte man auf dieses Eingreifen verzichten sollen? Handke vertritt diesen Standpunkt. Milosewic hätte wiederholt, was Tito vor ihm praktiziert hatte, die brutale Einigung unter serbischer Diktatur. Und was die Kosovo-Albaner für im Amselfeld täten, stünden da nicht Nato-Soldaten. Ohnehin zünden sie zwischendurch ein serbisches Kloster an.
Wenn man also heute interveniert, dann muß man eher in Jahrzehnten denken, als in Jahren. Entsprechend schwer fällt die Abwägung. Nach der Machtübernahme der Islamisten in Ägypten, Tunesien und Libyen fällt sie noch schwerer. Immerhin kann sie bei Gefahr im Verzug nötig sein, wie das Geschehen im Norden Malis zeigt. Allerdings erfolgte die Eroberung des malischen Nordens durch Islamisten erst nach dem Sturz Gaddafis, der durch westliche Intervention möglich wurde. Die jetzige islamistische Herrschft ist zudem noch schlimmer als die widerliche Gaddafi-Diktatur; wer weiß, ob der Gaddafi-Sohn Saif al-Islam für die individuellen Freiheitrechte nicht die vielversprechendere Option gewesen wäre. Die Frauenrechte jedenfalls waren schon bei Gaddafi viel besser aufgehoben, während sie jetzt praktisch aufgehoben sind. Interventionen sollten nicht erfolgen unter der Leitvorstellung, daß die Einführung demokratischer Verfahren wie Wahlen automatisch auch zur Einführung und Sicherung freiheitlicher Individualrechte führen würde. Die sind aber die Hauptsache. Sie lassen sich nicht einfach durch Intervention einpflanzen.