Montag, 19. Juli 2010
Volksbegehren zur Grundschule in Hamburg
Ob er ein guter Didaktiker war? Lehrer Lämpel von Wilhelm Busch (Bild Wiki.)
- Volksbegehren zur Grundschule in Hamburg: Die Verlängerung der Grundschulzeit auf 6 Jahre wurde mit einer klaren Mehrheit abgelehnt (276T zu 218T).
Das ist gut so, auch wenn sich Erziehungswissenschaftler wie Micha Brumlik darüber beschweren.
Für meine beiden Staatsexamen habe ich auch Scheine in Erziehungswissenschaft erwerben müssen. Mit Texten von Rousseaus EMILE bis Klafkis "Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung."
Während Rousseau für den größten Blödsinn steht, läßt sich mit Klafki sicher etwas Konkreteres anfangen. Allerdings kranken alle diese geisteswissenschaftlichen Texte an einem großen Mangel an Empirie, obwohl aus der empirischen Psychologie (Hans Jürgen Eysenck) und inzwischen auch aus der Neurowissenschaft (Henning Scheich, Niels-Peter Birbaumer) konstruktive und belastbare Hinweise vorliegen, wie das Gehirn lernt. Extrovertierte und Introvertierte zB lernen unterschiedlich, davon hat Klafki noch nie etwas gehört, wie überhaupt die Erziehungswissenschaftler von Hellmuth Becker über Heinrich Roth bis zum Sexkriminellen Gerold Becker sich durch Ignoranz hinsichtlich empirischer Psychologie auszeichnen.
Natürlich kommt auch Luhmann bei ihnen nicht vor, der vor seiner Soziologenkarriere in der Schulverwaltung arbeitete und daher immer einen Blick auf die Paradoxien der Schule behielt und der das Dilemma des schulischen Lernens für unauflösbar hielt. So sollen etwa alle Schüler in der Klasse das Gleiche lernen, obwohl jeder Schüler unterschiedlich ist in Bezug auf genetische Begabung, Vorwissen, Lerntyp, Disziplin, Aufmerksamkeitsvermögen, akute Empfänglichkeit, Seh- und Hörvermögen, Schreibfähigkeiten, Parallelverarbeitung, Interessenlage etc.
Ich erinnere mich an einen mathematisch besonders begabten Mitschüler, der im Mathematikunterricht nur wach wurde, wenn ihm andere Lösungsmöglichkeiten als die von dem Lehrer angebotenen einfielen. Dieser arme Mensch mußte viele Jahre mit mathematischen Schnecken zubringen, während er den Stoff in der hundertfachen Geschwindigkeit und wahrscheinlich auch ohne Lehrer und ohne Qualen der Langeweile hätte absolvieren können. Und sollen. Tüchtige Leute sollen schnell an ihren Platz kommen und der Gesellschaft ihre Fähigkeiten zur Verfügung stellen. Das gilt für alternde Gesellschaften besonders, da der Anteil der aktiv Beschäftigten sinkt.
Daher sollten die Schulzeiten ganz allgemein sinken, noch wichtiger aber ist, das Lernen individuell zu flexibilisieren. Die Schüler sind unterschiedlich begabt und können nicht nur in den verschiedenen Fächern verschieden schnell lernen, sie lernen auch in machen Fächern trotz jahrelangen Unterrichts fast nichts. Sie versitzen ihre Lebenszeit in der Schule, während sie mit ihrem Begabungsprofil draußen im Leben etwas Sinnvolles leisten und die entsprechenden Erfolgserlebnisse erzielen könnten.
Das dreigliedrige Schulsystem ist ein Kompromiß, die in ihrem Lernverhalten ähnlichen Schüler besser ansprechen zu können in didaktischer Analyse und in angepaßten Unterrichtsformen. Darüberhinaus muß zusätzlich eine Binnendifferenzierung erfolgen, denn auch die Lerngruppen innerhalb eines Schultyps differieren stark, auch in der Hauptschule, auch im Gymnasium unterscheiden sich die einzelnen Schüler. Jede Auflösung dieser Schulformen schadet allen, den schwachen Schülern wie den starken, während das Unterrichten für den Lehrer schwieriger wird. Das Lehren wurde bereits sehr viel schwieriger durch mangelnde Erziehung im Elternhaus.
Die willkürliche Verlängerung einer Schultypetappe wie die Verlängerung der Grundschulzeit muß in diesem Licht als völlig absurd erscheinen. Der Hamburger Ideologenangriff auf das individuelle Schülerlernen fand die richtige Elternantwort.
- Helfen unter Schülern: Oft wird angegeben, daß eine stark unterschiedlich zusammengesetzte Lerngruppe den schwachen Schülern den Vorteil biete, daß ihnen von stärkeren Schülern geholfen werden könne, während die stärkeren Schüler von der Wiederholung und Formulierung profitierten. Das kommt im Einzelfall vor, insbesondere bei einfachen Sachverhalten. Doch sind Schüler zu einer didaktischen Analyse des Lehrstoffes nicht in der Lage und ebensowenig zu einer Zerlegung desselben in didaktische Schritte. Ein Eindenken in das spezifische Problem eines Schülers, die Analyse seiner Fehler sind Anforderungen, die auch für einen Lehrer schwierig zu erfüllen sind, Schüler aber werden damit völlig überfordert.
Für die Lehr-Erfahrung gilt zudem, was auch für die Lebenserfahrung insgesamt zutrifft: nach einer guten Ausbildung muß man die Hauptsache in einer Reihe von Jahren in der Praxis lernen.
Und manche lernen es nie. Es fällt immer wieder auf, daß hervorragende Forscher sehr schlechte Lehrer sind, daß mancher Nobelpreisträger keinen didaktisch strukturierten Vortrag erstellen kann. Nicht, weil sie keine Lust dazu hätten, sondern weil es ihnen ganz einfach an der didaktischen Begabung fehlt. So wie einem didaktisch guten Lehrer eine starke Fachbegabung fehlen kann und oft tatsächlich fehlt.
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