Sonntag, 21. Juli 2019

Die Einheit gibt's nicht








Es berührt seltsam, daß bei Keller früh die Neigung zu Krawall aufscheint und sich lebenslang durchhält. So ist bei Kellers Biograph Bernd Breitenbruch zu lesen: “Übrigens ging bei dem jähen Temperament Kellers das heilige Donnerwetter oft auch bei anscheinend klarem Himmel los. Dann ließ er sich zur Gewalttätigkeit, die ihm sonst fremd war, hinreißen. Der kleine Mann fuhr mit verblüffender Behendigkeit auf, stieß die Gläser um, wies einen Harmlosen vom Tische weg oder wurde gern handgemein.” (Breitenbruch, Keller, S. 148)

Aus seinen Schriften läßt sich dieser Hang zu Streit und Handgreiflichkeit nicht herauslesen, den “Grünen Heinrich” ausgenommen. In den Erzählungen regiert eher die Besonnenheit, wie auch seinem abgewogenen, nicht zu Aufgeregtheiten neigendem Stil. Was bei Keller verwundert, findet sich aber im Alltag allzu oft: verminderte Impulskontrolle. Den moderaten, einheitlichen Charakter gibt es nicht und ist eine Erfindung von Literaten und Philosophen, zuletzt der deutschen Klassik. Da weben sich allzuviele irreal idealistische Fäden in die Protagonisten. Das Format der Erzählung als solcher trägt bereits den Kern der Verfälschung in sich. Die Erzählung soll sich ‘runden’, ‘runde’ Charaktere sind gefragt; all das gibt es im realen Leben in der Regel nicht.
Im harmlosen Fall wundert sich der Physiker Lichtenberg darüber, daß er so abergläubisch ist (Sudelbücher, Heft J 715), im extremen Fall zieht der Literat Keller allabendlich zur Prügelei los (a.a.O., S. 83). 1886 hat Stevenson dem Problem der widersprüchlichen Hirnmodule die phantastische Erzählung “The strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde” gewidmet. Goethe hat in der FAUST-Figur mit seinen “zwei Seelen” den literarischen Anfang gemacht, den die Romantik (E.T.A. Hoffmann, Kleist u.a.) aufnahm, aber ins Phantastische verbog.

Der Psychologe H.J. Eysenck hat dem Problem in seiner Persönlichkeitspsychologie ein Fundament gegeben, das die Freud’schen Phantasien überwand.








Stimmungsvolle Meditation. /// When It's Time - Attila Zoller