Das ist ein weites Feld! Auf dem begegnet einem zuerst Fontane, von dem der Ausdruck stammt: ›Ach, Luise, laß ... das ist ein zu weites Feld.‹ (Effi Briest)
Weit oder zu weit? Das Feld ist schwer zu überschauen, und viele Parzellen gibt es da. Wir setzen mutig einen Fuß darauf und sagen: alles Geschaffene, alles Geformte ist Kultur; Kultur bezeichnet das Menschliche schlechthin, denn wo der Mensch aufscheint, dort hat er auch geformt und geschaffen. Denken wir an den Laokoon der griechischen Antike. Ein trojanischer Legendenstoff läßt den Bildhauer - es waren wohl drei - zu Fäustel (geformt) und Meißel (geformt) greifen und einen großen Marmorblock zu einer mit Bedeutung aufgeladenen Figurengruppe formen, die ihre Wirkung durch die Jahrhunderte entfaltet und zu vielen Sinngebungen anregt. In einem kulturellen Umfeld jedenfalls, das den Menschen ansieht und Abbilder formt, die symbolische Wirkung entfalten. Diese Wirkung hat Rilke in Sprache geformt, angeregt ebenfalls von einem geformten Marmorblock:
Archaïscher Torso Apollos
Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
darin die Augenäpfel reiften. Aber
sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,
sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug,
der Brust dich blenden, und im leisen Drehen
der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
zu jener Mitte, die die Zeugung trug.
Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
unter der Schultern durchsichtigem Sturz
und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle
und bräche nicht aus allen seinen Rändern
aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.
Rainer Maria Rilke