Sonntag, 7. Oktober 2018

Eine gefährliche Entwicklung des Sexualstrafrechts


Das neue Sexualstrafrecht – Zum Einfluss der Medien auf die Strafgesetzgebung
Jun.-Prof'in Dr. Elisa Hoven, Köln; awk nrw 11.4.18

Die Bedeutung der Medien für die Gestaltung der Strafrechtspolitik ist kaum zu überschätzen. Immer häufiger werden mehr oder weniger spektakuläre Einzelfälle zum Anlass für mediale Kampagnen gegen das geltende Recht. Die Berichterstattung suggeriert dringenden staatlichen Handlungsbedarf und schafft eine gesellschaftliche Stimmung, die von politischen Parteien oft bereitwillig aufgegriffen wird. Eine Reform des Strafrechts bietet dem Gesetzgeber eine entschlossen wirkende und zugleich kostengünstige Lösung, um auf die öffentlichen Forderungen zu reagieren und seine Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.
Im Bereich des Sexualstrafrechts ist der Einfluss der Medien besonders erheblich. Medienberichte über Sexualstraftaten prägen die Wahrnehmung sexueller Gewalt als soziales Problem, formulieren Schuldzuschreibungen und identifizieren praktische und politische Defizite bei der Prävention und Bekämpfung sexueller Gewalt. Damit geben sie Maßstäbe für die (richtige) Reaktion auf Sexualdelinquenz vor und tragen als „Vierte Gewalt des Staates“ zur Konstitution gesellschaftlicher Bilder und der Entstehung einer „öffentlichen Meinung“ bei.
Die „Kölner Silvesternacht“ und der „Fall Gina Lisa Lohfink“ waren Anstoß für intensive mediale Diskussionen über das geltende Sexualstrafrecht und die Notwendigkeit seiner Verschärfung. Mit der im November 2016 in Kraft getretenen Neuregelung hat der Gesetzgeber die zentrale Vorschrift des § 177 StGB weitgehend umgestaltet und die populäre Forderung „Nein heißt Nein“ zur Grundlage des Sexualstrafrechts gemacht. Zugleich wurden zwei neue Strafvorschriften (§§ 184i und 184j StGB) eingeführt, durch die weniger schwere sexuelle Übergriffe pönalisiert worden sind.
In meinem Vortrag werfe ich einen Blick auf die Rolle der Medien im Vorfeld der Reform des Sexualstrafrechts. Im Rahmen einer Analyse digitaler Medienberichte wird untersucht, welche Positionen zur Einführung eines „Nein heißt Nein“-Modells kommuniziert und welche Bilder von der damals geltenden Rechtslage sowie ihrer praktischen Anwendung gezeichnet wurden. Anschließend werden einige Aspekte der Neuregelung betrachtet und die Schwächen einer durch medialen Druck forcierten Gesetzgebung erörtert.










Ribbeck



Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: »Junge, wiste 'ne Beer?«
Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn.«
So ging es viel Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit;
Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab.«
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
Sangen »Jesus meine Zuversicht«,
Und die Kinder klagten, das Herze schwer:
»He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?«
So klagten die Kinder. Das war nicht recht -
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was damals er tat,
Als um eine Birn' ins Grab er bat,
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.
Und die Jahre gingen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet's wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,
So flüstert's im Baume: »Wiste 'ne Beer?«
Und kommt ein Mädel, so flüstert's: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick gew' di 'ne Birn.«
So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

Fontane war kein Rebell und kein Revolutionär, er sympathisierte mit der alten Ordnung, mit dem ostelbischen Adel. Auf dem Adelssitz und Rittergut herrschte die Tradition mit ihrer Fürsorglichkeit, wie sie Fontane sowohl in dem einfachen Gedicht wie auch noch in dem letzten Roman “Der Stechlin” porträtiert hat. Die “rote Gräfin” Dönhoff beglaubigte diese Seite des Landadels 1988 in ihren Erinnerungen “Kindheit in Ostpreußen”. Während Gräfin Dönhoff aber der Sozialdemokratie huldigte, war Fontane ihr abgeneigt. Er traute ihr kein Ordnungspotential zu. Der SPD-Kandidat für die Stechliner Gegend ist für ihn ein von den Berlinern geschickter Landfremder, der die einfältigen Arbeiter durch hohle Versprechungen besticht.

Die Nachfahren Ribbecks wurden später von der SED (heute DIE LINKE) enteignet und aus Ribbeck ausgewiesen, sind aber inzwischen zurückgekehrt.  (https://www.vonribbeck.de/der-birnbaum/)
















Vom Auge zur Geschichte


Kann man glauben, was man sieht?
Meistens.
Aber nicht immer.
Es gibt viele Störmöglichkeiten.
Das Sehen fängt rein physikalisch vorn beim Auge an.
Und hört im Hinterkopf mit der Bedeutungsgebung in der Sehrinde zunächst auf.
Daher sehen Zeugen eines Unfalls oft recht verschiedene Sachen.
Auf Zeugen allein ist deswegen wenig Verlaß.

https://www.dasgehirn.info/wahrnehmen/sehen/sehen-kein-selbstverstaendliches-wunder

Ganz schwierig wird es in der Geschichte.
“Die Erforschung der Vergangenheit … hat, soweit das Wissen um diese Epochen sich mündlichen Informationen und Erinnerungen verdankt … in weitem Umfang mit ausgedehnten, noch nicht durchschauten, vielleicht nie zu durchschauenden wirklichkeitsfernen episodischen Datensätzen des Gedächtnisses und entsprechenden und entsprechend fehlerhaften Geschichten zu rechnen …”

Johannes Fried, Der Schleier der Erinnerung, Grundzüge einer historischen Memorik, 2004, S. 47

Johannes Fried resümiert seinen Abschnitt 9.2 “Wer war Benedikt von Nursia?”:

“Auch der Blick auf Benedikts Leben läßt durch erinnerungskritische Textanalyse anderes hervortreten, als bisher gesehen wurde: Wie nämlich eine ideale Mönchs- und Abtsgestalt entstand, … wie sie dann von Fremden literarisch aufgenommen wurde und dabei historisch zu wirken begann, indem ihre Fiktionalität nicht mehr erkannt und für Wirklichkeit gehalten wurde, und wie diese irreale Realität endlich an ihren Ursprungsort zurückkehrte, um dort verspätet ins Leben zu treten. Auch dieser Weg läßt - nicht anders als Chlodwigs Taufe - das kulturschöpferische Zusammenspiel von Vergangenheitsbildern und Gegenwartsgestaltung, von individuellem und kulturellem Gedächtnis in seiner nimmer endenden Modulationsfreude erkennen und nicht zuletzt, daß der Historiker in dieses Spiel hineinleuchten kann, auch wenn er dessen Regeln (noch) nicht kennt.










Gnossienne No. 5