Montag, 12. März 2018

Abklärung der Aufklärung




“Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.” So heißt es bei Kant in seinem legendären Aufsatz zur Aufklärung. Dabei sieht er auf Religion, Wissenschaft, Herrschaft und Gesellschaft, was notgedrungen - das liegt an der Distanz der Makroskopie - etwas unscharf ausfällt. Er denkt leider gar nicht an die Mechanik der Wissenschaft, an die Technik, an das Experiment. Gerade hier leistet aber die aufklärerische Perspektive am meisten. Im Großen und Ganzen bleibt es in der Philosophie und der politischen Philosophie bei Marxens Diktum: Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert. Nichts anderes ist für die Zukunft zu erwarten. Es kommt aber drauf an, etwas Nützliches zu erfinden. Zum Beispiel die Röntgenröhre.
Aber so einfach ist das nicht mit dem “Mut” und dem “eigenen Verstand”. Da kann nur das Publikum selbst helfen:
“Daß aber ein Publikum sich selbst aufkläre,
ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit läßt, beinahe unausbleiblich. Denn da werden sich immer einige Selbstdenkende, sogar unter den eingesetzten Vormündern des großen Haufens finden, welche, nachdem sie das Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben, den Geist einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werts und des Berufs jedes Menschen, selbst zu denken, um sich verbreiten werden.”
Kant, Immanuel. Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (German Edition) (S.8-9). Kindle-Version.
Aber auch dort lauern an allen Ecken und Enden Tücken, denn Lug und Betrug werden stets eingesetzt, um eigene Positionen zu behaupten und auszubauen. Und auch ohne unlautere Kampfmittel wird es entgegengesetzte Standpunkte geben, die nicht durch das Mehrheitsprinzip - die Mehrheit liegt meistens falsch - entschieden werden können.
Da ist zum Beispiel Dawkins mit seinem “egoistischen Gen”, und dagegen steht Joachim Bauer mit seinem “kooperativen Gen” und dem “Abschied vom Darwinismus”; beides sind wissenschaftlich ausgewiesene Autoren, aber für die allermeisten Menschen ist unentscheidbar, wer da recht haben könnte.
Das Erkenntnisvermögen ist beschränkt, schrankenlos dagegen die Möglichkeit des Irrtums, wo nicht Experimente Klarheit schaffen können.
Wissenschaft ist und bleibt wertvoll, aber die Hälfte ist invalide. Das Beispiel des Großmeisters der Volkswirtschaft im letzten Jahrhundert, Samuelson, der vermehrt mathematische Methoden einführte, glaubte noch 1960 in aller Einfalt, daß die Sowjetunion ökonomisch die USA überholen könne:
„Und ein von Nobelpreisträger Paul Samuelson verfaßtes ökonomisches Lehrbuch, das an den Universitäten mit Eifer gelesen wurde, prognostizierte mehrfach die ökonomische Vormachtstellung der Sowjetunion. In der Ausgabe von 1961 sagte Paul Samuelson voraus, das sowjetische Volkseinkommen werde jenes der Vereinigten Staaten möglicherweise schon vor 1984, mit großer Wahrscheinlichkeit jedoch bis 1997 übertreffen. In der Ausgabe von 1980 blieb die Analyse so gut wie unverändert, doch die beiden Daten waren durch 2002 und 2012 ersetzt worden.“
(Acemoglu/Robinson, Warum Nationen scheitern, 2012, S. 167)
Ja, Herr Pinker, nicht so einfach mit der Wissenschaft und der Aufklärung.

















Gut gerufen



„Enlightenment now“ ruft Steven Pinker in seinem neuen Buch der Welt zu. Bravo. Der Mann ist rührig und hat etwas zu sagen. Aber welche Aufklärung meint er?

Die Liste ist ziemlich lang und reicht von dem Theologen Karl Friedrich Bahrdt bis zu Voltaire, von Kant bis Hume, von Adam Smith bis Friedrich II., von Diderot bis Rousseau. Und gerade so eine präfaschistische Type wie Rousseau mit seinem Volonte generale hat leider in einem Punkt recht. An diesem Punkt arbeitet Damasio seit langem, sein neuestes Buch komplettiert seine Untersuchungen: „Am Anfang war das Gefühl“. Eine Distanzierung vom Gefühlsapparat mit seinem stammesgeschichtlichen Erbe ist den wenigsten Menschen auch nur teilweise möglich.