Freitag, 27. Februar 2015

In dieser Welt wuchs Putin auf






Ohne die Pariser Verträge Adenauers wäre möglicherweise ganz Deutschland von Stalin geschluckt worden.

Eine Erinnerung an Stalins Herrschaft, die Putin im Nachgang geprägt hat:
"Lisas Mann wurde als Anhänger Sinowjews verhaftet. ("Wenn ich gewusst hätte, dass er Lenin verraten hat, hätte ich ihn eigenhändig erwürgt", sagte Lisa.) Dann wurde sie ebenfalls inhaftiert. Einmal erhielt Lisa einen Brief von Soja. Er traf am späten Samstag ein, dem Tag, an dem Häftlinge ihrerseits schreiben durften. Lisa saß gerade über einem Brief. "Liebe Mama, ich bin nun fünfzehn Jahre alt und möchte dem Komsomol beitreten. Deshalb muss ich wissen, ob Du schuldig bist oder nicht. Immer wieder denke ich: Wie konntest Du unsere Sowjetmacht verraten? Schließlich ging es uns so gut, und Du und Papa wart Arbeiter. Ich erinnere mich, wie schön unser Leben war. Du hast Seidenkleider für uns geschneidert und uns Süßigkeiten gekauft. Hast Du das Geld wirklich von ,ihnen'" - gemeint sind die "Volksfeinde" - "bekommen? Es wäre besser gewesen, wenn Du uns in Wollkleidern hättest herumlaufen lassen. Aber vielleicht bist Du gar nicht schuldig? Dann werde ich dem Komsomol nicht beitreten und ihnen Deinetwegen niemals verzeihen. Wenn Du doch schuldig bist, dann werde ich Dir nicht mehr schreiben, denn ich liebe unsere Sowjetregierung und hasse ihre Feinde. Und ich werde Dich hassen, wenn Du zu ihnen gehörst. Mama, sag mir die Wahrheit. Am liebsten wäre es mir, wenn Du unschuldig bist, obwohl ich dann dem Komsomol nicht beitreten kann. Deine unglückliche Tochter Soja."


Lisa hatte bereits drei der vier erlaubten Seiten für den Brief verbraucht, den sie an Soja schrieb. Sie überlegte einen Moment lang und bedeckte die letzte Seite mit mächtigen Großbuchstaben: "Soja, Du hast recht, ich bin schuldig. Tritt dem Komsomol bei. Dies ist das letzte Mal, dass ich Dir schreibe. Seid glücklich, Du und Ljalja. Mutter."


Lisa zeigte Olga die beiden Briefe und schlug dann mit der Stirn auf die Tischplatte. Tränenerstickt sagte sie: "Es ist besser, wenn sie mich hasst. Wie soll sie ohne den Komsomol leben - als Fremde? Sie würde die Sowjetmacht hassen. Es ist besser, wenn sie mich hasst." Von diesem Tag an, erinnert sich Olga, "ließ Lisa nie mehr ein Wort über ihre Töchter fallen und erhielt keine Briefe mehr".

Aus Orlando Figes, Die Flüsterer, 2012

Die zwei Spielarten des Totalitarismus, Faschismus und Kommunismus, unterscheiden sich nicht in ihrem hohen Aggressionspotential, sondern in der Hauptrichtung ihrer Aggressivität. Der Faschismus richtet sie vor allem nach außen, der Kommunismus zuvörderst nach innen. Doch so, wie der Faschismus auch nach innen verfolgte und mordete, so wandte sich auch der Kommunismus nach außen und schuf sich Kolonien nach ideologischem Muster. Putin verfolgt eine variierte Breschnew-Doktrin. 

Auch auf der Krim müssen inzwischen manche flüstern:

"Krimtataren wurden bedroht, gefoltert und entführt"
Beim Thema Menschenrechte fällt die Bestandsaufnahme allerdings weniger hoffnungsvoll aus. Amnesty International (AI) zeichnet seit der Annexion der Krim durch Russland ein düsteres Bild, vor allem was den Umgang der russischen Behörden mit der turksprachigen Minderheit der Krimtataren anbelangt. Auf Anfrage von FOCUS Online lässt die Fachreferentin für Europa und Zentralasien, Marie Lucas, wissen: "Besonders die Krimtataren erleiden Verfolgung und Diskriminierung durch die de-facto Behörden der Krim. Wir haben zahlreiche Fälle recherchiert, in denen Krimtataren bedroht, entführt und gefoltert wurden. Von mindestens sieben Männern fehlt noch immer jede Spur und die de-facto-Behörden unternehmen nichts, um ihr Schicksal und andere Menschenrechtsverletzungen aufzuklären." Außerdem seien auch pro-ukrainische Aktivisten immer wieder Verfolgung und gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt.

"Zudem gelten die repressiven russischen Gesetze, mit denen die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit eingeschränkt werden, nun auch auf der Krim", so Lucas weiter. "So sind beispielsweise kritische Demonstrationen nur noch sehr eingeschränkt möglich und Teilnehmer ungenehmigter Protestveranstaltungen müssen bei wiederholten Verstößen mit hohen Geldstrafen oder mehrjährigen Haftstrafen rechnen."
"Ukrainer und Russen waren Brüder"
Und während in der Schwarzmeerstadt Sewastopol mittlerweile Putin-Shirts verkauft werden und der russische Präsident von vielen Neu-Russen als Held gefeiert wird, können manche Krim-Bewohner auch gut ein Jahr nach der Rede Putins im Georgssaal des Kremls noch nicht so recht begreifen, was damals passiert ist. Der österreichische Radiosender "Ö1" berichtet etwa von der ukrainischen Händlerin Svetlana aus Sewastopol. Auch sie verkauft Putin-Shirts. Svetlana sagt der Reporterin unter Tränen: "Ukrainer und Russen waren Brüder, jetzt vernichten sie einander. Das zerreist mein Herz. Auch, dass man uns den Mund verbietet. Wenn hier ukrainische Volkslieder gesungen werden, rückt sofort die Polizei an."