Donnerstag, 6. Oktober 2011

Schubladendenken

“ Adieu, Kameraden, ich bin Gutmensch. Nicht mehr unter Rechten: Der Konservativismus hat sich selbst verraten. Er ist zu einer Ideologie der Großindustrie und der Kriegsverkäufer …” 5.9.11
Lorenz Jäger verabschiedet sich hier von einem Phänomen, dem er sich zurechnete, weil er einer der wenigen Nichtlinken im FAZ-Feuilleton ist oder war.

Das Phänomen nennt er KONSERVATIVISMUS, aber das war nie ein scharfer Begriff. So wenig scharf wie alle anderen abstrakten politischen Begriffe es sind. Von ihnen hält man besser Abstand. Das gilt besonders für Begriffssysteme aller Art, Theorien und Ideologien. Alle taugen nur für einen bestimmten Bereich, wenn sie nicht geradezu destruktiv sind wie der Marxismus. Alle Einsichten und Betrachtungen unterliegen einem Zeitverständnis. Nur fundamentale, genetisch eingeschriebene Sachverhalte dürften für lange Zeiträume gelten:
Wettbewerb macht Säugetiere munter, die meisten jedenfalls.
Die Achtung des Individuums jenseits aller Zugehörigkeiten zu Gruppen schafft begabten Individuen den Spielraum zur Mehrung von Wissen (Wissenschaftler) und Wohlstand (Unternehmer).
Politiker neigen, in geschichtlicher Perspektive betrachtet, immer wieder zur Zerstörung des Wohlstands der Bürger, weswegen eine konstruktive Führerauswahl ebenfalls grundlegend für das Gedeihen von Gesellschaften ist.
“Konstruktiv” soll hier heißen, daß sie versprechen, sich von ihrer Häuptlingsrolle nicht verleiten zu lassen, auch nicht auf Drängen unterwerfungsbereiter Stammes- und Großgruppenmitglieder, die Zivilgesellschaft zu gängeln oder sogar als Besitzstand zu regieren.
Das Subventionswesen kann als politischer Mißbrauch in diesem Sinne gelten, ebenso die dominant staatliche Verfassung des Wissenschaftsbetriebs.

Menschliches Verhalten ändert sich über die Jahrtausende wenig, hier könnte man von “konservativer” Genetik sprechen, dazu gehört auch die Fixierung vieler Menschen auf Häuptlinge und politische Führer.
Individualismus und Wissenschaft bergen dagegen ein hohes Neuerungspotential. Daraus entstanden im Erfolgsmodell der europäischen Geschichte Wohlstand und Wissenszuwachs. Die Neuerungsneigung in Technik und Wirtschaft kann man also nur grundsätzlich begrüßen, eine allgemeine Neuerungssucht (“Reformeifer”, “Modernisierung”) oder eine allgemeine Neuerungsablehnung (“Konservativismus”) erscheinen nicht sinnvoll.

Die ‘Expedition Mensch’ zieht schon länger durch die Zeit. Der alte Adam trägt neue Kleider, lebt besser und länger, bleibt aber überwiegend der alte. Jenseits aller Theorien und Ideologien.