Montag, 28. September 2015

"Hilfskultur"


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Mit dem Slogan Hilfskultur statt Willkommenskultur wirbt ALFA für eine gleichermaßen humane und realistische Flüchtlingspolitik. Wir wollen Menschen in Not helfen, aber es ist offenkundig, dass wir nicht alle Willkommen heißen können, die zum Teil aus ganz anderen Gründen zu uns kommen.

ALFA hat unter der Federführung unseres Europaabgeordneten Bernd Kölmel einen umfangreichen Maßnahmenkatalog erarbeitet, den Siehier finden. Einige dieser Maßnahmen sind inzwischen auch von der Bundesregierung aufgegriffen oder zumindest ins Gespräch gebracht worden. Überhaupt überschlagen sich jetzt viele Politiker und Parteien mit Einzelforderungen, was man tun und machen solle. Aber anders als bei ALFA ist dies nie ein geschlossenes Konzept, sondern eher hektischer Aktionismus angesichts einer Situation, die außer Kontrolle geraten ist.

Europa sollte ein Raum des Rechts sein. In der Asyl-und Flüchtlingspolitik wird dieser derzeit in seinen Grundfesten erschüttert. Während die Regierungsparteien dies durch einen erratischen Zickzack-Kurs sogar noch befördern, will die AfD den Raum des Rechts einfach verkleinern, indem ein Kernbestand unserer Verfassung beseitigt wird: Das Recht, in Deutschland politisches Asyl zu beantragen. Beide Reaktionen sind unüberlegt und Zeichen mangelnder politischer Souveränität.

Um dies zu erkennen, hilft ein Blick auf die Rechtsgrundlagen. Für die Asyl- und Flüchtlingspolitik sind dies vor allem

1. Artikel 16a des Grundgesetzes  und
2. Die Genfer Flüchtlingskonvention.

Absatz 1 von Artikel 16a GG ist die Grundlage des Asylrechts: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht". Absatz 2 aber schränkt dies ein: "Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften ... einreist". Damit ist ein unkontrollierbarer Zustrom von Asylberechtigten nach Deutschland faktisch unmöglich. Wer vor seiner Einreise nach Deutschland das Gebiet eines anderen EU-Staates durchquert, hat keinen Anspruch auf Asyl.

In der Tat ist Artikel 16a GG auch nicht das Problem. Nur 1% der Asylbewerber werden in Deutschland anerkannt. Aber 34% aller Asylbewerber erhalten statt dessen Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention zugesprochen.

Der Unterschied zwischen "Politisch Verfolgten" und "Flüchtlingen" besteht darin, dass "politische Verfolgung" eine Verfolgung durch den eigenen Staat voraussetzt, während Flüchtlinge nicht von ihrer eigenen Regierung verfolgt werden sondern z. B. vor Krieg oder Bürgerkrieg fliehen.

Bundesregierung und Medien erwecken nun den Eindruck, dass Deutschland sich als Signatarstaat der Genfer Flüchtlingskonvention zum Prinzip der sog. "Nicht-Zurückweisung" verpflichtet habe und deshalb alle Flüchtlinge aufnehmen müsse, die in Deutschland oder an seinen Grenzen um Schutz nachsuchen. Dies jedenfalls dann, wenn andere EU-Staaten, die nach den sog. Dublin-Kriterien eigentlich für diese Flüchtlinge zuständig wären, deren Weiterreise nach Deutschland nicht unterbinden.

Ein Blick in die Genfer Flüchtlingskonvention zeigt aber, dass dies falsch ist. Das in Artikel 33 Absatz 1 der Genfer Flüchtlingskonvention formulierte Prinzip der Nicht-Zurückweisung besagt,

"Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit ... bedrohtsein würde."

Diese Verpflichtung ist natürlich eine humanitäre Selbstverständlichkeit. Deutschland wird syrische Flüchtlinge nicht in das Herrschaftsgebiet Assads oder in die Gebiete des Islamischen Staates zurückschicken. Aber Deutschland hat jedes Recht, Flüchtlinge zurückzuweisen, die aus Österreich oder Tschechien kommend die Grenze überqueren wollen, weil sie in diesen Ländern sicher sind.

Die Genfer Flüchtlingskonvention und Artikel 16a des Grundgesetzes sind sich in diesem Punkt also recht ähnlich: Wer bereits in einem sicheren Staat ist, hat keinen Anspruch darauf, in Deutschland Schutz und Aufnahme zu finden. Deutschland ist keineswegs einem mengenmäßig unbegrenztem Zustrom von Flüchtlingen ausgesetzt, sondern es hat das Recht, selbst zu bestimmen, welche und wieviele Flüchtlinge es aufnimmt.

Dass dem so ist, sieht man ja auch an unseren Partnern in der EU. Alle EU-Länder, auch Staaten mit einer restriktiven Flüchtlingspolitik wie Großbritannien und Polen, haben die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet. Aber das heißt nicht, dass sie sich irgendwie verpflichtet fühlen, ihre Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen.

Tatsächlich ist die Genfer Flüchtlingskonvention in weiten Teilen eher eine Bestimmung darüber, wie man Flüchtlinge, die man aufgenommen hat, behandeln soll, als eine Bestimmung darüber, wenman aufzunehmen hat. Und zur Behandlung der Flüchtlinge sagt die Genfer Flüchtlingskonvention im wesentlichen, dass aufgenommene Flüchtlinge nicht schlechter behandelt werden sollen als andere Ausländer, die in dem Gastland leben.

Und hier ist ein weiterer wichtiger Punkt zu beachten: Artikelt 34 der Genfer Flüchtlingskonvention besagt

"Die vertragschließenden Staaten werden so weit wie möglich die Eingliederung und Einbürgerung der Flüchtlinge erleichtern."

Davon ist erstaunlich wenig die Rede. Wir sollten uns dessen aber bewusst sein: Deutschland muss den Flüchtlingen, die es aufnimmt, die Einbürgerung ermöglichen, ja ihnen die Einbürgerung so weit wie möglich erleichtern. Es geht also bei der Flüchtlingsaufnahme keineswegs nur um vorübergehenden Schutz: Es geht von Anfang an um Einbürgerung.

Deshalb ist eine allgemeine Willkommenskultur falsch. Sympathische Gesten der Mitmenschlichkeit sind noch lange keine vorausschauende Politik. Deutschland kann und muss die Flüchtlingsaufnahme quantitativ und qualitativ steuern. Wir müssen festlegen, wieviele Menschen zu uns kommen und welche Menschen wir bevorzugt aufnehmen wollen. Bei letzterem kann es um Bildung, Sprachkenntnisse und Berufsqualifikationen gehen. Wenn man Menschen in Not helfen will, kann man sich aber auch dafür entscheiden, bevorzugt diejenigen aufzunehmen, die am verwundbarsten sind: Familien, Frauen und Kinder.

Statt eine undifferenzierte Willkommenskultur zu praktizieren, sollten wir eine Hilfskultur entwickeln. Denn natürlich soll Deutschland helfen und natürlich darf Deutschland nicht achselzuckend die Flüchtlinge abweisen und das Problem damit einfach den Nachbarstaaten überlassen. Deutschland muss Flüchtlingen helfen und Deutschland muss den EU-Partnerstaaten helfen, die eine Überlast an Flüchtlingen zu tragen haben. Wir können stolz sein, wenn Deutschland mit seiner Hilfsbereitschaft vorbildlich ist. Aber wer vorbildlich hilft, muss sich nicht schämen, auch Grenzen aufzuzeigen. Zumal Hilfe auch anders erfolgen kann als durch Aufnahme im eigenen Land. Großbritannien, das so oft kritisiert wird, weil es so wenig Flüchtlinge aufnimmt, finanziert großzügiger als jeder andere EU-Staat die Flüchtlingslager in Jordanien und in der Türkei. Auch das ist eine Form der Hilfe.

Bernd Kölmels Papier stellt im einzelnen dar, wie wir Flüchtlingen helfen und Wirtschaftsmigranten begegnen wollen. Wie wir mit Menschen ohne Ausweise verfahren wollen, wie wir Schlepper bekämpfen und illegale Bootsanlandungen verhindern wollen. Es stellt dar, wie wir Integration fördern und die Entwicklung in den Heimatstaaten verbessern wollen. Wie wir soziale Brennpunkte in Deutschland schützen und wie wir die Flüchtlingsflut reduzieren wollen. Eine Zusammenfassung des Papiers finden Sie hier, ein ausführlicheres Hintergrundpapier hier.

Hilfskultur statt Willkommenskultur soll das Markenzeichen von ALFA in der Flüchtlingskrise sein."

Immerhin. "Hilfskultur" ist allerdings ein weiter und schwammiger Begriff. Klingt ja nett. 
Nehmen wir den Fall Mali. Demokratiebesoffene stürzen den Diktator Gaddafi in Libyen. Danach wird aus den schlimmen, aber relativ geordneten Verhältnissen die absolute libysche Katastrophe, die wir noch immer sehen. Gaddafi kauft vor seinem Sturz zur Verteidigung Nomaden-Söldner im Norden Malis. Nach der Niederlage plündern diese die libyschen Waffenlager und ziehen wohlgerüstet gegen Bamako, gegen den halbwegs zivilisierten Süden Malis, dessen Mohammedanismus sie viel zu lasch finden und die in den eroberten Gebieten alles außer Koranzitieren verbieten. Bereits vorher drang die malische Armee auf eine bessere Ausstattung, die ihr die Politik aber versagte mit dem Hinweis, die westlichen Staaten und Organisationen übten Druck aus, den Verteidigungsetat zu kürzen. Als die islamistischen Tuareg angriffen, war die malische Armee zur Verteidigung zu schwach, Frankreich mußte eingreifen. Die Lage in Mali ist noch immer prekär. "Hilfskultur" hätte also geheißen, nicht nur Gaddafi als das kleinere Übel zu akzeptieren, und die malische Armee in jedem Falle aufzurüsten gegen die islamistischen Barbaren im Norden und den Diktator Gaddafi im Nordosten. 

Ob Lucke und Kölmel soweit denken? In Syrien herrscht auch ein Diktator, allerdings ein weniger schlimmer als Gaddafi, aber ebenfalls bedroht von den sunnitischen Barbaren.