Montag, 28. Juli 2008

Der unbestechliche Zeuge

Leserbrief
Der unbestechliche Zeuge

Der glasklaren Analyse von Berthold Kohler in "Das Urteil" (F.A.Z. vom 9. Juli) und der sich hieraus ergebenden Aufforderung an den Staat, sein Gewaltmonopol im Bereich der Ausländerkriminalität auch tatsächlich und konsequent auszuüben, ist absolut nichts hinzufügen. Eines allerdings wird im konkreten Fall - ganz zu Unrecht - eher nur beiläufig erwähnt: Der Münchner Urteilsspruch mit seinem der Abscheulichkeit der Tat angemessenen Strafmaß war sicherlich nur möglich, weil einziger brauchbarer "Zeuge" eine Überwachungskamera war. Deren unbestechliche Augen ließen nämlich keinerlei Zweifel am Tathergang selbst aufkommen. In diesem Zusammenhang sei an die merkwürdigen Argumente vieler Kritiker gegen die Installierung von zusätzlichen Überwachungskameras in öffentlichen Räumen erinnert. Zwar ist es richtig, dass hierdurch wohl die meisten Gewalttaten leider nicht verhinderbar sind. Eine gewisse Prophylaxe dürfte hierdurch gleichwohl erreichbar sein. Denn potentielle Gewalttäter werden sich sehr wohl überlegen, ob sie unbedingt das Risiko der zweifelsfreien Identifizierung und damit drastischer Strafen beziehungsweise der Abschiebung eingehen wollen. Auf jeden Fall ermöglicht eine solche Aufnahme es den jeweiligen Gerichten, zu Urteilen zu gelangen, die weder durch beredte Anwälte noch durch relativierende Gutachten angreifbar sind.

Manfred Schneider, Düsseldorf

Text: F.A.Z., 24.07.2008, Nr. 171 / Seite 17

Konsumklima, Geschichte als Therapie, Russische Risiken, Pakistan, Weisheit, 1968

Der Boden ist sehr naß, Mahd muß warten

19-28°, sehr schwül! Birkensamen überall. Es gab zwar keine Maikäfer heuer, aber dafür inzwischen mehr große Käfer.

Sehr hübsch, Dvorzaks Amerikanisches Streichquartett op. 12; es hat einen innig schmelzend drängenden melodiösen Gestus (Rodrigo, Aranjuez!) . Herbst in Neu England.

- " Russische Risiken in konzentrierter Dosis ... eine grundsätzliche Neubeurteilung des Investitionsstandortes Russland widerspiegelt. Letzteres ist wahrscheinlicher, weil mehrere Ereignisse mit grossem Einfluss auf die Grundstimmung am Markt zusammenkommen: die Abreise des Chefs von TNK-BP als vorläufiger Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen den russischen und britischen Aktionären, der Vorwurf eines ausländischen, aus Russland verbannten Fondsmanagers, mit raffinierter Methode bestohlen worden zu sein, und die Attacke Putins auf den Stahl- und Kohleproduzenten Mechel. Die zu erwartende Strafe für Mechels angebliche Verstösse gegen das Wettbewerbsgesetz hätte allein niemals zu einer Verminderung der Marktkapitalisierung um einen Drittel führen können. Gunst- und Abneigungsbezeugungen von Putin haben offenbar immer noch grosse Wirkung. Die Ereignisse werfen ein grelles Licht auf die russischen Risiken: ruppige Geschäftsmethoden mit Behördendeckung, willkürliche Eingriffe von Staatsorganen in die Wirtschaft. Dazu kommt ein selbstherrlicher Umgang der Repräsentanten der Staatsmacht mit den Vertretern der Wirtschaft. Das alles muss unter den Investoren Ernüchterung auslösen. " 25. Juli 2008 NZZ

- "Verprügelt, verschleppt, vergewaltigt. 25. Juli 2008 Es war nur ein Kindergeburtstag, zu dem die christliche Familie eingeladen hatte. Doch eine Gruppe wütender bärtiger Männer stürmte vor wenigen Wochen das Haus unweit der Universität von Peshawar. Sie prügelten auf die Gäste ein, zwangen 17 von ihnen in ihre Fahrzeuge und rasten in Richtung Khyber-Pass davon. Einen halben Tag später kamen sie wieder frei. Dabei hatten sie noch Glück: Als ein "Missverständnis" bedauerte die Islamistengruppe Lashkar-e-Islam die Entführung; man habe geglaubt, es habe sich um eine "vulgäre" Veranstaltung von Muslimen gehandelt. Stammesführer und die Regierung in Islamabad hatten sich für die Freilassung der Christen eingesetzt. ... "

- " ... "Der Glaube ist eine Leidenschaft; Weisheit dagegen ist kalt und leidenschaftslos. Ich begreife nicht das Christentum, sondern der Glaube ergreift mich. Glauben heißt das Leben ändern." Aber kann man so reden wie ein Blinder, der vom Sehen spricht? Bolz sieht ganz richtig, dass "man sich nicht vornehmen (kann) zu glauben". Dem religiös Unmusikalischen, der sich strikt von einer irreligiösen Haltung abgrenzt und am "Vorurteil für das Christentum" - einem "zur Kultur gewordenen Christentum" - festhalten will, bleibt am Ende nur ein Glaube, der aus religiöser Sicht auch nicht mehr als ein Surrogat ist: "Das ist der Glaube an den einzigartigen Wert der von Griechentum und Christentum geprägten europäischen Kultur" ... " Das Wissen der Religion von Bolz, Norbert, "In der Bibel gibt es keine Werte", Rez. 9.6.08 // So leidenschaftslos ist die Weisheit nicht, sie verdankt sich lebenslanger, leidenschaftlicher Aufmerksamkeit; der religiöse Mensch stellt die Wahrnehmung eng.

- Teutonische Albernheiten: "Was wird erst 2018 los sein? Neuerdings nimmt in Berlin die Rudi-Dutschke-Straße der Springer-Straße die Vorfahrt. Diese historische Pointe, die viele erfreut, gehört zu den späten Siegen von 1968. Ein anderer ist die flächendeckende Besetzung der Erinnerungskultur. ... Wir brauchen ein neues 1968. Es sei unbedingt nötig, "heute wieder aufzuwiegeln", befand Günter Grass, vormals eher der Radikalismusbremser, dem kein Ho-ho-ho-Tschi-Minh-Ruf über die Lippen kommen wollte. Erschüttert nannte er einige Deserteure der guten Sache beim Namen: Wolf Biermann und Peter Schneider seien inzwischen "Rechte und Jasager" geworden. ... Zschorsch, ebenfalls mit siebzehn verhaftet und 1974 von der Bundesrepublik als politischer Häftling freigekauft, wunderte sich, an westdeutschen Universitäten eine "DDR im Kleinen" wiederzufinden. ... " F.A.Z.09. Juni 2008

- Leerverkäufe oder nicht? Prinzipielle Lösungen sind immer problematisch.

- " Konsumklima. In Deutschland macht sich Rezessionsangst breit. Die Konsumstimmung der deutschen Verbraucher ist so schlecht wie seit fünf Jahren nicht mehr. Der GfK-Konsumklimaindex für August ist auf 2,1 Punkte gesunken und hat damit den niedrigsten Stand seit Juni 2003 erreicht. ... " FAZ // Aber die Regierung senkt die maßlos hohen Steuern nicht, und sie hat auch in der Hochkonjunktur die Massenarbeitslosigkeit nicht beseitigen können : erbärmlich.
- "Schwindende Lust am Bürokratieabbau. Von Matthias Müller. Die Regierung Merkel hat beim Bürokratieabbau viel Zeit verstreichen lassen. ..." 26.07.08
- Leserbrief MITTELSCHICHT: Chi Tamago (tamago) " In allen internationalen Firmen wächst die Zahl der Stellen in einem spezifischen Bereich in dem Land, das den besten Beitrag zum Unternehmenserfolg beisteuert. Im Klartext: ist die Abteilung Biochemie in USA produktiver als in Deutschland, werden neue Stellen in USA aufgebaut. Es ensteht ein Kompetenzzentrum innerhalb der Firma. Auch deutsche Wissenschaftler werden dann dort arbeiten. Das gilt für Grundlagenforschung, Entwicklung und Produktion, ist unabhängig von (Personal-) Kosten. Nur der Mehrwert, der zum Unternehmenserfolg beiträgt, zählt. Folglich werden qualifizierte Stellen dort aufgebaut, wo die „richtige“, erfolgreiche Organisation gepaart mit der notwendigen Qualifikation verfügbar ist. Darin war Deutschland mal ganz vorne. Heute steht dieses Land nicht mehr so gut da im internationalen Vergleich. Vorallem, da das Bildungssystem versagt, sei es auf Grund des Konzeptes, sei es auf Grund fehlenden Leistungswillen der Schüler. Beides leistet hier wohl einen Beitrag. Somit wird in Deutschland die Mittelschicht weiter schrumpfen. " faz.net 28.7.

- " Bayern kürzt Unterricht über NS-Zeit. Das bayerische Kultusministerium hat aus der Not der verkürzten Schulzeit eine vermeintliche Tugend gemacht. Der Nationalsozialismus wird in der Oberstufe künftig knapper abgehandelt. Der Lehrplan setzt ein Geschichtsverständnis voraus, das die Schüler noch nicht haben können. ... 28. Juli 2008 Die schulische Aufklärung über den Nationalsozialismus, oder was man wohlwollend so nannte, hat ihren Zenit überschritten. Erreicht war er vor zehn Jahren mit dem Sammelband „Der Holocaust. Ein Thema für Kindergarten und Grundschule?“, zu dem die nordelbische Bischöfin Maria Jepsen ein Grußwort beisteuerte. Auf solch gähnenden Höhen konnte sich die Pädagogik indes nicht lange halten. Es begann sich herumzusprechen, dass ein weiteres Anziehen der Schraube am Ende die Absicht selbst vereiteln könne.

Im Februar 2001 veröffentlichte das Magazin „Max“ ein Gespräch mit Johannes Rau und dessen damals siebzehnjähriger Tochter; ein Hauptbeweisstück im Prozess gegen die Geschichtsdidaktik. „Herr Bundespräsident, wissen Sie, was Anna gerade in Geschichte durchnimmt?“ Anna Rau griff der Antwort ihres Vaters vor: „Auf die Frage kannst du normalerweise immer mit ,Nationalsozialismus‘ antworten.“ Auf Nachfrage des Magazins, woher der mangelnde Enthusiasmus für den Gegenstand stamme, erklärte sie, der Zweite Weltkrieg „nerve“ sie: „Immer wieder dasselbe. Man fängt an mit Hitler und dem rosa Kaninchen, dann kommt Anne Frank und ,Die Welle‘, dann schaut man ,Schindlers Liste‘ am Wandertag. Im Konfirmandenunterricht nimmt man den Holocaust durch und in Geschichte sowieso. Man könnte fast sagen, man spricht in allen Fächern darüber. Da stumpft man irgendwie ab. Es ist einfach zu viel.“ Aber es war nicht „einfach zu viel“, sondern vor allem „immer wieder dasselbe“ - scheinbar kindgerechte kulturindustrielle Aufbereitungen, besonders, wenn man einmal an die „Welle“ denkt, also das Gegenteil von echter Aufklärung. ..." FAZ.NET L. Jäger, 28. Juli 2008
 
// Vgl. Burger, Rudolf, Geschichte als Therapie? Zur Konjunktur des historischen Bewußtseins, Merkur 2004, Heft 661: "Wenn diese Überlegungen nicht vollkommen abwegig sind, dann hat der von mir geschilderte Verdacht, der uns als dunkler Schatten der Geschichte seit einem halben Jahrhundert verfolgt, kein Fundamentum in re: Dann ist die sozialpsychologische Diagnose eines Morbus austriacus als Folge eines historischen Traumas sachlich falsch, eine tiefenpsychologische Aufarbeitungskur gegenstandslos und die nationaltherapeutische Geschichtserziehung mittels einer volkspädagogischen Warnungs- und Erweckungsprosa bestenfalls sinnlos, wenn nicht sogar kontraproduktiv – weil sie unablässig jene Geister beschwört, die sie zu bannen vorgibt. Die Grenze zwischen Warnung und Werbung ist hauchdünn. Wenn dies aber so ist, dann wäre es nach drei Generationen wohl an der Zeit, den Verdacht seinerseits unter Verdacht zu stellen und zu fragen, ob nicht mit der Verdächtigung Politik gemacht wird, eine ´Vergangenheitspolitik´, die jene, die sie betreiben, und sei es auch in der Form der Selbstanklage, in eine moralisch superiore Position versetzt – und das ohne eigene Verdienste und moralische Kosten, denn es genügt die Pose des Anklägers, des Anzeigers, Aufzeigers und Sykophanten (Denunzianten, WD), um dem Tribunal, das man bildet, zu entgehen; man erspart sich sogar ein eigenes Gewissen, wenn man es selber ist. Besonders erfolgversprechend ist diese Strategie dann, wenn die Rolle des Sykophanten einer Erbschuld vom angemaßten Podest eines Erbopfers aus gespielt wird: Die ideologische Selbstviktimisierung des Anklägers historischer Schuld reproduziert nämlich beständig das moralische Kapital, von dem er als Ankläger zehrt und verschafft ihm so eine beinahe unangreifbare Position."