Expedition gelungen!
Erich Kästner
Die Entwicklung der Menschheit
Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt,
bis zur dreißigsten Etage.
Das ist natürlich sehr undifferenziert und ungebildet betrachtet! Insbesondere verkennt Kästner völlig die prinzipielle Gleichartigkeit des Gefühlslebens der Primaten, ob jetzt Schimpanse oder Mensch. Von “böser Visage” kann keine Rede sein, die Schimpansen sind grundsätzlich nicht kriegerischer und brutaler als Menschen. Sie sind es in gleichem Maße. Die Fähigkeit zu friedlicher Freundlichkeit besitzen alle Primaten.
Aber die 30. Etage macht dem Menschen kein Gorilla nach!
Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn,
in zentralgeheizten Räumen.
Da sitzen sie nun am Telefon.
Und es herrscht noch genau derselbe Ton
wie seinerzeit auf den Bäumen.
Auch das ist zu dünn. Die kultivierte Freundlichkeit hat einen großen Aufschwung genommen. Ein Abteilungsleiter verprügelt nur noch selten seine Angestellten, was in der Schimpansengruppe dauernd vorkommt. Er bespringt auch nicht täglich seine weiblichen Mitarbeiter wie ein Bonobo.
Sie hören weit. Sie sehen fern.
Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
Die Erde ist ein gebildeter Stern
mit sehr viel Wasserspülung.
Gilt natürlich nur für den Westen und Fernost!
Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr.
Sie jagen und züchten Mikroben.
Sie versehn die Natur mit allem Komfort.
Sie fliegen steil in den Himmel empor
und bleiben zwei Wochen oben.
Was ihre Verdauung übrigläßt,
das verarbeiten sie zu Watte.
Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest.
Und sie stellen durch Stiluntersuchungen fest,
daß Cäsar Plattfüße hatte.
Prima. Da zeigt das menschliche Großhirn beeindruckend, was es kann! Unerreichbar für Orangs und die anderen Primaten.
So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
Den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Doch davon mal abgesehen und
bei Lichte betrachtet sind sie im Grund
noch immer die alten Affen.
Das kann gar nicht anders sein, der Mensch ist eine Hervorbringung der Natur, ein Säugetier, ein Primat.
Aber was für einer! Er hat sich eine kulturelle Welt erschaffen, die die archaische Schicht animalischen Verhaltens überwölbt. Die physiologischen Grundfunktionen sind natürlich die gleichen geblieben wie bei den anderen Primaten. Der Nahrungs- und Geschlechtstrieb dominiert die anderen Bedürfnissen. Aber neben den rohen und primitiven Formen des Verhaltens, die nach wie vor möglich sind und vorkommen, herrschen doch vielfach großartige Veredelungsformen vor. Darauf kann der Mensch durchaus stolz sein und sich auf die Schulter klopfen. Wenn er nicht vergißt, daß der Prozeß der Zivilisation langwierig und mühsam war und ständig neue Anstrengungen erfordert zu seiner Aufrechterhaltung.
Was William Golding in seinem Roman "Herr der Fliegen" beschreibt, den Absturz in die Barbarei, droht dem alten Primaten Mensch stets und immer und überall.