Dienstag, 23. Oktober 2012

Diese Suppe eß ich nicht






Das Blattgrün weicht zurück und andere Pigmente zeigen sich -
hübscher Einfall




“Gestaltung, Umgestaltung, des ewigen Sinnes ew’ge Unterhaltung”, nannte es Goethe. 
Da war der Riechphysiologe Hanns Hatt in der Vorrede zur Biodiversitätstagung ein Stück mutiger, als er auch den Tod direkt ansprach. Viele Tiere durchlaufen ein Entwicklungsstadium, in dem sie ihren Körper stark verändern, etwa der Schmetterling, der eine Raupe war. Goethe reagierte auf Krankheit und Tod allergisch, schon der Gedanke erfüllte ihn offenbar mit Entsetzen. Er wohnte nie einer Beerdigung bei, auch der seines Freundes Carl August, auch der seiner Frau Christiane blieb er fern. Daher dekretierte er, daß es nur den Gestaltswechsel gebe. Das ficht die Natur natürlich nicht an, in ihr wird gestorben, gefressen und krepiert. Auch über einen längeren Zeitraum, wenn die Wespe ihre Eier in die Vogelspinne legt, die, durch ein Gift gelähmt, lebendig der Wespenlarven harrt, die sie von innen auffressen werden. Die Natur ist nicht so romantisch wie das Bild, das viele Menschen über Bilderbücher von ihr besitzen. Sie machen sich gern ein Bild, und am liebsten ein schönes, besonders gerne ein kitschiges wie in Genesis II. Der Entwurf solcher Bilder ist sinn- und interessengeleitet und hat mit den unterliegenden Erscheinungen der Natur nichts zu tun. Goethe hat in dieser Hinsicht seine Phantasie im Zaum gehalten, doch hat er auch schreckhaft Gedanken an den Tod verbannt. Es ist ja auch "ein Ding, das keiner ganz aussinnt", wie Rilke es formuliert. 
Aber gestorben wird natürlich trotzdem, der Mensch ist Teil der Natur, zweifellos ihr bester, aber dennoch steigen keine Schmetterlinge aus den Gräbern auf. Vielleicht hätte Goethe ein Hinweis Epikurs geholfen: 

"Der Tod geht uns nichts an. Denn was sich aufgelöst hat, hat keine Empfindung. Was aber keine Empfindung hat, geht uns nichts an." (Epikur, Katechismus) 

Aber wahrscheinlich war seine Angst zu groß, sich überhaupt auf den Tod einzulassen. Was er nicht denken wollte, dachte er nicht, und was er nicht sehen wollte, sah er nicht. Eckermann mußte ihn daher selbst über Naheliegendes wie die Weimarer Vogelwelt aufklären. Wäre er ein präziser Naturbeobachter gewesen, speziell der belebten Natur, das Phänomen des Todes hätte er überall erblickt. Und vielleicht hätte er still erwogen: 

"Sondern wenn uns das Geschick hinausführt, werden wir kräftig auf das Leben spucken und auf jene, die sinnlos an ihm kleben; wir werden aus dem Leben heraustreten mit einem schönen Lobgesang, verkündend, daß wir gut gelebt haben." (Epikur, Spruchsammlung 47)