Freitag, 22. Mai 2009

Systemtheorie, Anmut und Gnade



Von Büchern hab ich großen Hort,
Versteh ich selten auch ein Wort
Sebastian Brant (* 1457 in Straßburg - Mai 1521 ebenda), Das Narrenschiff

- Überraschungen gibt's: Kurras ein Stasi-Mann und Mitglied der SED : "21. Mai 2009 „Welches Signal wäre das gewesen, wenn der beginnenden studentischen und außerparlamentarischen Bewegung das im Juni 1967 bekannt gewesen wäre?“ So fragen Helmut Müller-Enbergs und Cornelia Jabs, die zufällig in den 180 Kilometern Akten des Ministeriums für Staatssicherheit die umfangreiche Akte des damals 39 Jahre alten Kriminalbeamten Karl-Heinz Kurras fanden und seither wissen, dass der tödliche Schuss auf den Studenten Ohnesorg, der so weitreichende Folgen hatte, von einem Mitglied der SED und einem Inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi abgegeben wurde." FAZ // Offenbar sollte auf diese Weise die Polizei als "faschistisch" entlarvt werden, wie das ebenfalls die Strategie des SDS war.

- Auch ein solches Thema überrascht: "Nachdenken verdirbt alles. Anmut und Gnade: Ein Stanforder Kolloquium
Manche ästhetische Grundbegriffe werden von der Literaturwissenschaft für so abstrakt gehalten, dass man sie den Philosophen überlässt. Anmut ... " 20.5.

- - Bezug: Politische Imperative und die wirtschaftliche Wertschöpfung

„ Ich kann Ihrer Argumentation partout nicht folgen.“

Gelingende Kommunikation ist nun mal ein Sonderfall,
sehr geehrter Herr Weitz.

Besonders wenn es um die Kluft zwischen Theorie und Anwendung geht, Theorie und Daten, Theorie und Geschichte.
Mir hat Ihre kurze, allgemein-luhmanniännische Skizze gut gefallen.
Ich wollte nur etwas konkrete Butter bei die Fische tun.
Bei f(x) ist ja auch die Funktionswertetabelle interessant. Funktionalbegriffe folgen nicht der Ideen-Logik: beispielsweise: alles Gute für alle, sondern tragen in die Funktionswertetabelle beobachtete Phänomene ein und konstruieren danach den Kurvenverlauf (s. Cassirer, Substanzbegriff und Funktionsbegriff).
In der guten alten Zeit galt noch: das Gute kommt vom Guten, die Wahrheit tut der moralisch gute Mensch kund, eben weil er moralisch gut ist (Augustinus).
Dieser seelenlose Luh. hat damit in aller Grundsätzlichkeit aufgeräumt. Ein guter Mensch wie Blüm kann halt trotzdem ein Rentenlump sein (als er Helmut Schmidt nachmachte und wider besseres Wissen plakatierte: “Die Rente ist sicher“.) Einen guten Menschen, der lügt und betrügt, konnte sich Augustinus noch nicht vorstellen. Das sprengt den altabendländischen Verstehensrahmen.
Mandeville dachte schon funktionaler:

„ So klagt denn nicht: für Tugend hat’s
In großen Staaten nicht viel Platz.
Mit möglichstem Komfort zu leben,
Im Krieg zu glänzen und doch zu streben,
Von Lastern frei zu sein, wird nie
Was andres sein als Utopie.
Stolz, Luxus und Betrügerei
Muß sein, damit ein Volk gedeih’.
Quält uns der Hunger oft auch gräßlich,
Zum Leben ist er unerläßlich.
Stammt nicht des edlen Weines Saft
Von einem garstig dürren Schaft?
Der, wenn man ihn nicht sorgsam pflegt,
Bloß nutzlos wuchert und nichts trägt,
Doch dessen Frucht uns Lust bereitet,
Wenn man ihn bindet und beschneidet.
Genauso uns das Laster nutzt,
Wenn das Gesetz es kappt und stutzt,
Ja, ist so wenig aufzugeben
Für Völker, die nach Größe streben,
Wie Hunger ist, damit sie leben.
Mit Tugend bloß kommt man nicht weit;
Wer wünscht, daß eine goldene Zeit
Zurückkehrt, sollte nicht vergessen:
Man mußte damals Eicheln essen.“

aus:
Bernard Mandeville, „Die Bienenfabel oder
Private Laster, öffentliche Vorteile“ ,
Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 300

Ja. So kann man das sehen. Im Vatikan gibt es keine wirtschaftliche Wertschöpfung. Nicht nötig, wenn man den (Kirchen-) Bürgern in die Tasche greifen kann.

+ „ auf der anderen Seite werfen Sie der Politik
genau diese Machtlosigkeit vor?“ +

Aber nein. Die Politik gebärdet sich als Mischung aus Rübezahl und Weihnachtsmann: sie mischt sich dilettantisch ein im Stil eines besserwissenden Königs und macht mal einen Krieg, mal eine Hyperinflation, oder beides, oder, nach einem Paradigmenwechsel, will sie alles Gute für alle (alias GEMEINWOHL).
Dabei denkt sie meist linear und direkt und ontologisch wie Augustinus. (Das Ganze versieht sie mit Schaugeschäft, Popular Art.)
Wer rund 60.000 §§ Steuerliteratur verfassen kann und noch viel mehr Verordnungen aller Art, der leidet nicht an Machtlosigkeit, wer dem Bürger jeden Monat über direkte und indirekte Steuern und Abgaben weit über 50% aus der Tasche zieht, der hat entschieden zu viel Macht.
Es ist grotesk, daß im Zuge der Entwicklung funktional differenzierter Gesellschaften die Staatsquote ansteigt, anstieg von etwa 10% um 1900 auf gut 50% in der Gegenwart, den Bürgern in ihren Subsystemen also von der staatlichen und halbstaatlichen Bürokratie die Verwaltung der eigenen Belange ein gutes Stück aus der Hand genommen wird.

Im übrigen gebe ich zu, die Systemtheorie nicht für Wahrheit und Gutheit einzusetzen, sondern um konkrete Phänomene in den Blick zu nehmen.