Sonntag, 12. Juni 2011

Kraus, so krause






Woran sie immer dachten



- „Psychoanalyse ist die Krankheit, für deren Therapie sie sich hält.“
Das hat Karl Kraus (Todestag 12.6.36) wirklich hübsch gesagt.
Aber trifft es auch zu? Ist die Psychoanalyse (PA) eine Krankheit? Sie ist doch zunächst nur ein Modell der hirnlichen Aktivität, Abteilung Sinn und Sinnverwandtes. Im Zentrum sieht Freud die Triebe, speziell die Sexualität. Daran knüpft er eine Krankheitenentstehungs- und Heilungslehre. Das Modell ist grundfalsch, Popper und D.E. Zimmer haben dazu das Passende festgestellt und zusammengetragen, auch "Hundert Jahre Psychoanalyse und der Welt geht's immer schlechter " (1993) von James Hillman und Michael Ventura sei hier erwähnt als eine Kritik ehemaliger PA-Freunde.
Die Denkmodelle der PA sind falsch, aber sind sie auch als “Krankheit” einzustufen? Wenn im Zentrum die Sexualität steht, handelt es dann dabei um ein zu heilendes Phänomen? Man mag den Herren Freud, Wilhelm Reich, Philip Roth und Dominique Strauss-Kahn “Sexbesessenheit” in verschiedenen Formen attestieren, aber muß man darin eine Krankheitsäußerung sehen? Wohl kaum. Goethe nannte Raucher “Schmauchlümmel”, in Anlehnung daran mag von “Sexlümmeln” sprechen, krank sind diese aber nicht.
Karl Kraus ist daher zu widersprechen. Sein Wort setzt einen trefflichen Impuls, über die PA zu sprechen. Das ist nicht zu gering zu schätzen. Aber es bleibt doch kognitiv völlig unscharf, und das gilt für weite Teile der Satire. Vor lauter Kritikbegeisterung und Selbstüberschätzung zelebriert sie ihre unterhaltsamen Sprechblasen.
“Wozu der Lärm?”, mag man mit Kraus selbst fragen. Von ihm gab es kurze und lange Sätze, “und längere Ohren, die sie nicht verstehen”. Das war das Problem des gescheiten und verschwätzten Kraus, das ist das Problem vieler Satire überhaupt: sie sehen überall nur Esel mit langen Ohren und kurzem Verstand.