Mittwoch, 23. April 2008

"Rohstoff" Bildung, Öl, Zecken

mo 8°, mi 16° h . Der frühe Vogel fängt den Wurm? Nein, dafür hat er noch keine Zeit, bei Tagesanbruch singt er gegen die hundert Revierrivalen an, die desgleichen tun.-
2. Zecke; nach dem schönen, milden Winter 06/07 gab es fast keine Zecken; dieser lange Winter mit den vielen Nachtfrösten bis Mitte April scheint dagegen viele Zecken zu bringen.

- "Afrikas kaum genutztes Potential. Afrika ist vom Anstieg der Lebensmittelpreise besonders betroffen. Der Kontinent importiert ein Drittel der benötigten Nahrungsmittel. Eigentlich ... " 21.4. FAZ // S. Zimbabwe. Vom Exporteur zum Hungerland unter "Comrade Bob", wie ihn Mbeki noch nennt, Genosse Mugabe.

- "Rohstoff Bildung": "Warum hat die Schweiz keine IT-Industrie?", fragte Urs Fischer von HP Schweiz anläßlich des 150. Geburtstags der ETH Zürich in der NZZ v. 30.4.05. "ETH-Innovationen wurden schlecht vermarktet", war die Hauptantwort. Sie macht deutlich, daß Ingenieure und technisch-naturwissenschaftliche Intelligenz äußerst wichtig sind, aber viel wichtiger und wertvoller sind Marketinggenies, die aus dem "Rohstoff" einen Markterfolg machen können; s. Heinz Nixdorf und Bill Gates. Von dem geisteswissenschaftlichen 'Rohstoff' soll hier geschwiegen werden.

- Rohstoff Öl: "LÄNDERBERICHT: Saudi-Arabien
Spektakuläre Überschüsse aus dem Ölexport. Das Erdöl bleibt das Rückgrat der saudischen Wirtschaft. Das Königreich nutzt den hohen Preis, um seine wirtschaftliche Basis zu verbreitern. ... Obwohl das Erdöl noch mindestens 100 Jahre reicht ... " 21.4. // Was sagen die Spezialnobelpreisträger des Romklubs eigentlich zu den immer neuen Funden?

Reichholf, Bühler Begegnung

Peter Voß im Gespräch mit Josef Reichholf
Schlägt die Natur zurück, Herr Reichholf?


Josef Helmut Reichholf, Zoologe und Evolutionsbiologe © dpa

Der Zoologe Josef Reichholf ist gebürtiger Bayer und bekennender Münchner. Und doch behauptet er Schlimmes: Die Bayern seien nur durch "Zufall" zum Bierbrauen gekommen und es sei noch nicht einmal ein "glücklicher" Zufall. Im 13. und 14. Jahrhundert wurde das Klima in Bayern einfach zu schlecht zum Weinanbau. So mussten sich die bayerischen Winzer mit Hopfen und Malz anfreunden, denn diese Pflanzen gedeihen bei niedrigeren Temperaturen besser als die edeln Trauben. Dass die Bierliebe der Bayern nur aus einer Laune des Wetters entstand, könnte im Freistaat als Blasphemie gedeutet werden.

Das Wetter macht Geschichte - nicht nur in Bayern
Doch die Klimageschichte in Europa belegt eindeutig: In einer warmen klimatischen Phase von ab etwa 800 - 1200 n. Chr. war es, so Reichholf, sogar wärmer als heute. Währen dieses "Mittelalterlichen Optimums" wuchsen am Niederrhein Feigen und in Bayern Trauben. Das warme Klima brachte für die Menschen in Mitteleuropa viele Vorteile: Getreideanbau wurde sehr ertragreich, die bewirtschaftete Fläche weitete sich aus, die Bevölkerung nahm zu und viele Städte, auch München, wurden gegründet. Die Bevölkerung vermehrte sich so sehr, dass eine Überbevölkerung und damit soziale Unruhen in den Kreuzzügen "kanalisiert" werden mussten, behauptet Reichholf. Das Klima ist also nicht nur schuld daran, dass die Bayern Bier dem Wein vorziehen, sondern auch, an so mancher anderen Gegebenheit der Menschheitsgeschichte.

Alle reden vom Wetter - wir auch!
In seinem 2007 erschienenen Buch "Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends" erklärt Reichholf viele dieser Zusammenhänge. Sei es die Völkerwanderung, der Mongolensturm, die Volksmärchen vom bösen Wolf oder das Spätmittelalter mit seinen Epidemien der Hexenverfolgung und der Inquisition - all diese Ereignisse sind auf klimageschichtliche Hintergründe zurückzuführen, so Reichholf.

Was er mit seinem gelungenen Buch ebenso aufzeigen möchte: Das Klima ist variabel; es gibt kein "richtiges" Klima. Die Durchnittstemperaturen fallen und steigen, die Natur und der Mensch passt sich daran an. Reichholf - wir haben es an dem Beispiel der Bier-Bayern gesehen - behandelt eben auch "heiße Eisen" und argumentiert gegen den Common Sense. Klimaforscher weltweit warnen mehrheitlich vor der Klimaerwärmung. Diese führe zu einschneidenden Veränderungen im Leben der Menschen, vor allem verstärkt zu Naturkatastrophen. Reichholf merkt dazu an, eine Klimaerwärmung brächte für Deutschland durchaus auch Vorteile. Die Kurzformel könnte lauten: weniger Heizkosten, mehr Freibad. "Ich persönlich freue mich sogar auf mildere Zeiten", verriet er anti-alarmistisch vor einem Jahr im Spiegel.

Von Endzeithysterien und Klimaskeptikern
Diese These, es gebe kein optimales, kein richtiges Klima, hat in der aktuellen Debatte durchaus Brisanz und wirkt provokativ. Gespräche über das Wetter und Klima haben in den letzten Jahren ihre Unschuld verloren und Diskussionen über drohende Klimakatastrophen nehmen an schärfe zu. Der Zoologe Reichholf wehrt sich gegen die allgemeine Panikmache und räumt mit manchem Vorurteil auf, zum Beispiel die Klimaerwärmung würde zu einem Artensterben führen. Unsinn - sagt Reichholf. Es sei statistisch belegt, dass eine hohe Temperatur mit einer großen Artenvielfalt zusammenhänge. Von den Polargebieten zum Äquator hin steige die Biodiversität expotenziell an.

Reichholf teilt die negative Beurteilung der derzeitigen Lage der Erde nur bis zu einem gewissen Grad. Es wird Gewinner und Verlierer geben - die Klimazonen der Erde werden neu gemischt. Reichholf hält die Lage für schwierig, nicht hoffnungslos: "Weil ich Biologe bin, bin ich professioneller Optimist. Das Leben hat so viele Schwierigkeiten gemeistert" (Die Welt vom 17.12.2007).

Stadt und Natur sind keine Gegensätze
In seinem vorletzten Buch "Stadtnatur" widmet sich Reichholf einem anderen, scheinbar unauslöschbaren Vorurteil: Die Stadt sei ein naturfeindlicher Ort. Die Städter ziehe es zur Erholung aufs Land, wo sie glauben, sich in der Natur zu befinden. Doch in Wirklichkeit lässt sich überhaupt kein Gegensatz herstellen. Die Naturlandschaft der Felder und Wiesen ist unübersehbar eine Kulturlandschaft, in der weit weniger Arten vorkommen als in den Städten. Reichholf bezieht das auf Wildtiere und nicht auf Hunderassen oder andere Haustiere. Das klingt unglaublich, doch die Erklärung ist einleuchtend: In den überdüngten ländlichen Monokulturen halten sich nur noch wenige Tierarten auf. Der großstädtische Lebensraum dagegen, mit seiner unterschiedlichen Bebauung, seinen Gärten und Parks, zieht immer mehr Tiere an. Turmfalken, Wildschweine, Nachtigallen, Schleiereulen, ja sogar Wildschweine und Füchse zählen inzwischen zu den Stadttieren.

Josef Helmut Reichholf wurde 1945 in Aigen am Inn geboren. Nach dem Abitur studierte der Hochbegabte mit einem Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes in München Biologie. Heute ist Reichholf Professor für Naturschutz an der Technischen Universität München, leitet die Wirbeltierabteilung der Zoologischen Staatssammlung München und ist Präsidiumsmitglied des WWF. Er schrieb über 20 Bücher zu verschiedenen Bio- und Öko-Themen.

Eine Hörfunkfassung der "Bühler Begegnung“ mit Josef Reichholf wird am Sonntag, 27. April 2008, 23.03 Uhr, in SWR2 ausgestrahlt.

Literaturempfelung:
Josef H. Reichholf: Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends. S. Fischer-Verlag, Frankfurt, März 2007, Preis: EUR 19.90, ISBN-13: 978-3100629425.

Josef H. Reichholf: Stadtnatur. Eine neue Heimat für Tiere und Pflanzen, Oekom Verlag, April 2007, Preis: EUR 24.90, ISBN-13: 978-3865810427.