Freitag, 3. Januar 2014

Nee, Nietzsche


Nietzsche, amor fati, Die Fröhliche Wissenschaft, Aphorismus 276

“Zum neuen Jahre. – Noch lebe ich, noch denke ich: ich muß noch leben, denn ich muß noch denken. Sum, ergo cogito: cogito, ergo sum. Heute erlaubt sich Jedermann seinen Wunsch und liebsten Gedanken auszusprechen: nun, so will auch ich sagen, was ich mir heute von mir selber wünschte und welcher Gedanke mir dieses Jahr zuerst über das Herz lief, – welcher Gedanke mir Grund, Bürgschaft und Süßigkeit alles weiteren Lebens sein soll! Ich will immer mehr lernen, das Nothwendige an den Dingen als das Schöne sehen: – so werde ich Einer von Denen sein, welche die Dinge schön machen. Amor fati: das sei von nun an meine Liebe! Ich will keinen Krieg gegen das Häßliche führen. Ich will nicht anklagen, ich will nicht einmal die Ankläger anklagen. Wegsehen sei meine einzige Verneinung! Und, Alles in Allem und Großen: ich will irgendwann einmal nur noch ein Ja-sagender sein!”


Ach, Nietzsche! Wieviel Zutreffendes hast du gedacht, wieviel Anregendes, wieviel Falsches, Irreführendes und Verführendes!
Er ging so durch den Wald hinter Sils und streute seine Gedanken in die Welt.


„Das Nothwendige an den Dingen als das Schöne sehen“, was soll denn das heißen? Was soll notwendig an den Dingen sein? Darüber wird kein Einvernehmen zu erzielen sein. Denn was soll schon notwendig sein? Die 7 Milliarden Menschen sind nicht notwendig, vor zweihundert Jahren gab es nur eine Milliarde. Die vielen unterschiedlichen Lebensformen der Menschen sind nicht notwendig, sie sind einfach da. Die 6000 Sprachen, die es geben soll, sind ebenfalls durch Zufall entstanden und mit ihnen fertigen sich die Sprachgemeinschaften ihre Erzählungen, Kommunikationen und Weltsichten. Oft sehr seltsame. Sehr gemischte und ambilvalente wie die des Mose, sehr häßliche wie die von Kali und andere mehr. Das alles mit Ästhetizismus zu überformen, scheint mir kein so  guter Gedanke zu sein. Und das Schicksal lieben und umarmen, „amor fati“? Zuzeiten kann man auch das machen, wenn’s beliebt.
Aber Goethes kompakten Hinweis nicht ausblenden, denn viele sind stets emsig am Werk für ihren Vorteil:


Ein Andres
Geh! gehorche meinen Winken,
Nutze deine jungen Tage,
Lerne zeitig klüger sein:
Auf des Glückes großer Waage
Steht die Zunge selten ein;
Du mußt steigen oder sinken,
Du mußt herrschen und gewinnen
Oder dienen und verlieren,
Leiden oder triumphieren,
Amboß oder Hammer sein.

(I/91 Berl. Ausg.)