Montag, 10. November 2008

Luther, Obama


- Luther: Geburtstag 10. November 1483; Prototyp eines innengeleiteten Menschen, wie er Riesman vor Augen stand; mit seiner Bibelneuübersetzung wirkt er bis heute auf das Deutsche, das zu verhunzen sich der protestantische Bibelverschnitt "in gerechter Sprache" heutzutage bemüht.

- Obama wird Präsident: Amerika rückt nach links. Von Claus Tigges
FAZ 05. November 2008 Einen Vorwurf muss sich John McCain nicht gefallen lassen: die miserable Verfassung der Wirtschaft und ihre Bedeutung im Rennen um das Weiße Haus unterschätzt zu haben. „It’s the economy, stupid!“: Jener berühmt gewordene Slogan Bill Clintons aus dem Wahlkampf gegen George H. W. Bush, er trifft auf den Republikaner aus Arizona nicht zu. Dass es am Ende nicht gereicht hat für McCain, hat seinen Grund nicht nur in taktischen Missgeschicken und Unzulänglichkeiten seines wirtschaftspolitischen Programms; die Zuspitzung der Finanzkrise hat es Barack Obama leichter gemacht, mit seiner Botschaft vom „Wechsel“ bei den Wählern durchzudringen und den republikanischen Widersacher in Mithaftung zu nehmen für die Politik von Präsident George Bush. Den Sieg hat der Demokrat auch deshalb davongetragen, weil viele Amerikaner am Dienstag ein vernichtendes Urteil über die Wirtschaftspolitik der vergangenen acht Jahre gefällt haben.
Obama ist um den Zeitpunkt seiner Wahl nicht zu beneiden. Das Finanzsystem des Landes steht am Abgrund, der Häusermarkt liegt darnieder, und die durch die Vertrauenskrise an den Märkten verursachte Kreditklemme hat die Wirtschaft wohl endgültig in die Rezession getrieben – zum ersten Mal seit acht Jahren.
„New Deal“bildet noch heute den Sockel des amerikanischen Sozialsystems
Die Stimmung im Land ist so schlecht, dass in der öffentlichen Diskussion über die Ursachen der Krise und mögliche Auswege oft der Vergleich zur Großen Depression gezogen wird, jener schlimmen Zeit in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, in der Tausende von Banken zusammenbrachen, Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz verloren und vielerorts Not und Elend herrschten. Davon sind die Vereinigten Staaten glücklicherweise ein gutes Stück entfernt, und die Gefahr einer Wiederholung ist gering, nicht zuletzt weil die Notenbank ihre Aufgabe als „Kreditgeberin der letzten Instanz“ ernst nimmt.
Die Erwartungen an Obama sind gleichwohl äußerst hoch gesteckt. Viele Amerikaner erhoffen sich ähnlich Wegweisendes wie den „New Deal“, jenes Bündel von Reformen, die unter dem Eindruck der Depression von Präsident Franklin D. Roosevelt ins Werk gesetzt wurden und die noch heute den Sockel des amerikanischen Sozialsystems bilden: Die staatliche Rentenversicherung, der gesetzliche Mindestlohn und eine Arbeitslosenversicherung, sie alle sind Teil des „New Deal“.
Umverteilung, nicht Chancengleichheit lautet Obamas Parole.
Die große Verunsicherung vieler Amerikaner schlägt sich in dem Wunsch nach einer stärkeren Hand des Staates und mehr organisierter Solidarität nieder. Dafür steht Obama, nicht McCain. Sein Plan für eine umfassende Krankenversicherung setzt auf staatlichen Zwang, die vorgesehenen Steuererhöhungen für Spitzenverdiener auf eine Verschärfung der Progression in der Einkommensteuer. Und sein Versprechen, das Freihandelsabkommen mit Mexiko und Kanada „nachzubessern“, zielt auf höhere Handelsbarrieren – zum vermeintlichen Schutz amerikanischer Arbeiter. Umverteilung, nicht Chancengleichheit lautet Obamas Parole, die er in dem Versprechen ausgegeben hat, „den Wohlstand zu verteilen“.
Die Wohltaten, die der Demokrat dem amerikanischen Volk in Aussicht gestellt hat, kosten Geld, viel mehr, als sich durch den tieferen Griff in die Taschen der Reichen holen lässt. Hinzu kommen seine Pläne für ein milliardenschweres Konjunkturpaket, das über Investitionen in die Infrastruktur der Wirtschaft auf die Sprünge helfen soll. Auch haben die Aufräumarbeiten im Finanzsystem gerade erst begonnen. Obama muss sie fortsetzen, und es ist noch nicht klar, wie sehr sie den Staatshaushalt letztlich belasten werden. Es ist bedauerlich, dass der Demokrat bisher kein Wort über eine Verringerung des schwindelerregend hohen Haushaltsdefizits verloren hat. Eine Konsolidierung der Staatsfinanzen tut not, damit mehr Kapital für private Investitionen bleibt und nicht so viele Milliarden als Zinszahlungen an ausländische Gläubiger fließen müssen.
Obama muss erkennen: Auch der amerikanische Staat hat versagt.
Amerika rückt durch die Wahl Obamas nach links. Das gilt umso mehr, als sich der Demokrat auf eine komfortable Mehrheit der eigenen Partei im Kongress stützen kann. In dem Bemühen, nun vieles anders und vor allem besser zu machen für die breite Mittelschicht, sollte der 44. Präsident der Vereinigten Staaten nicht dem Trugschluss erliegen, die aktuelle Krise sei ausschließlich der Zügellosigkeit freier Märkte zuzuschreiben. Auch der amerikanische Staat hat versagt, indem er das Wohneigentum über die Maßen gefördert und damit entscheidend zur Preisblase auf dem Immobilienmarkt beigetragen hat. Diese Einsicht ist wichtig, damit die notwendige Adjustierung des marktwirtschaftlichen Rahmens nicht zu einer die Wachstumskräfte erstickenden Überregulierung gerät.
Man mag George Bush einiges vorhalten, auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Doch in einem hat der Texaner, dessen Amtszeit sich nun dem Ende zuneigt, ganz gewiss recht: Ein demokratischer Kapitalismus ist das beste Wirtschaftssystem, das Menschen je erdacht haben.
- Lars Vollmar, Kommentar zum Komm.: Amerika rückt nach deutschen Verhältnissen in die Mitte.
Für amerikanische Verhältnisse - v.a. im Vergleich zu den Republikanern - ist die Programmatik Obamas sicherlich links. Nach deutschen Maßstäben kann man jedoch höchstens von liberal sprechen. Die Gleichsetzung des amerikanischen mit dem deutschen Links-Rechts-Schema funktioniert nicht. Es ist erstaunlich, dass sich deutsche Politiker in Obamas Glanz sonnen wollen und dass Menschen Obamas Wahl bejubeln, die das von ihm vertretene Programm bei einer deutsche Partei als "neoliberal" kritisieren würden. Obama fordert - einen Einkommenssteuer-Spitzensatz von 36% - steuerliche Entlastungen für die Mittelschicht (was laut Programm ein Monatseinkommen bis 16.000 Euro umfasst) Die Krankenversicherung soll dadurch erschwinglich für alle Amerikaner werden, dass mehr echter Wettbewerb zwischen den Versicherungen geschaffen wird. Auch die von Obama geplante staatliche Versicherungskammer tritt in Wettbewerb mit den Privaten. Der von Claus Tiggens erwähnte "staatliche Zwang" sind in Wahrheit vom Staat vorgegebene Regeln für den Wettbewerb im Versicherungsmarkt. Es gibt aber weiterhin keine Versicherungspflicht.