Donnerstag, 25. September 2014
Sei nur die Persönlichkeit!
Volk und Knecht und Überwinder,
Sie gestehn zu jeder Zeit:
Höchstes Glück der Erdenkinder
Sei nur die Persönlichkeit.
Jedes Leben sei zu führen,
Wenn man sich nicht selbst vermißt;
Alles könne man verlieren,
Wenn man bliebe, was man ist.
Goethe, WEST-ÖSTLICHER DIVAN, Suleika, Buch Suleika, Gingo biloba (S. 95)
Wenn man Jahrzehnte in Weimar gelebt hat, dort auch 1832 gestorben ist, dann wurde man mit Abwechslung und Unterhaltung nicht verwöhnt. Auch das Ende der Kleinen Eiszeit sorgte nicht für große Begeisterung, denn der Sommer blieb in Sachsen und ganz Deutschland ein grün angestrichener Winter, wie Heine schrieb. Und da “Lawrence von Arabien” erst später ins Kino kam, imaginierte sich Goethe in Weimar ein bißchen warmen, trockenen Orient mit Suleika darin und auf dem west-östlichen Divan. Aber wie die Träume so sind: mit der Realität haben sie nichts gemein, bis heute sind Suleikas im Orient nicht möglich, und deswegen verwundert es, wenn der Herr Kermani im DLF Goethe “große Kenntnis der islamischen Theologie” bescheinigt. Aber bekanntlich ist ja nichts unmöglich, vor allem nicht in den Gefilden der blühenden Germanistik und phantasierenden Geisteswissenschaft.
Und, übrigens:
Glaubst du denn: von Mund zu Ohr
Sei ein redlicher Gewinst?
Überliefrung, o du Tor,
Ist auch wohl ein Hirngespinst!
Nun geht erst das Urteil an;
Dich vermag aus Glaubensketten
Der Verstand allein zu retten,
Dem du schon Verzicht getan.
Goethe, DIVAN, S. 64
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