Sonntag, 25. August 2013

Drei Welten und vier Schweden

    





Poppers drei Welten

(aus: Eberhard Döring, Karl Popper, Einführung in Leben und Werk, S. 137)





Susanne Leonhard, die Mutter Wolfgang Leonhards, hatte viel Glück. Sie überlebte Stalins Gulag in Workuta, sie beschreibt das in ihren Erinnerungen “Gestohlenes Leben”. Millionen überlebten nicht. Auch nicht viel später die Millionen Kambodschner, die von der Pol-Pot-Bande mit Macheten und Spaten, um Munition zu sparen, auf besonders bestialische Weise umgebracht wurden. Vier bekannte schwedische Intellektuelle bereisten 1978 das Todesland der Roten Khmer und fanden alles prima.

Peter Fröberg Idling hat zu dieser Reise ein Buch vorgelegt: Pol Pots Lächeln. Eine schwedische Reise, 2013. Dabei interessiert ihn vor allem die Frage, ob diese Linken, unter ihnen der weiter gläubig stalinistische Jan Myrdal, hätten erkennen müssen, was in Kambodscha geschah. Idling bejaht das. Aber auch die vielen anderen Linksintellektuellen von Aragon, Brecht etc. bis Susanne Leonhard erkannten nicht, was von den kommunistischen Banden, denen sie teilweise selbst angehörten, gespielt wurde.

Das Erkennen ist eben nicht einfach. Man sieht nur, was man weiß, formulierte Goethe dazu. Popper teilte die Erkenntnisgegenstände 3 Welten zu, was einen großen Fortschritt darstellt.


- In der Welt 1 herrschen relativ einfache Erkenntnisbedingungen, zwar ist “das Ding an sich” nicht erkennbar (Kant), aber man kann experimentieren und auf diese Weise systematisch  Eigenschaften, etwa von Wasserstoff, in Erfahrung bringen. Beweisen kann man nichts , aber widerlegen. Solange etwas nicht widerlegt ist, kann man damit arbeiten und es als richtig betrachten (Fallibilismus). 
- In Welt 2 wird der Blick und das Erkennen gelenkt von den vielen Gedächtnisinhalten, die ein Mensch im Laufe vieler Jahre abgespeichert hat. Daher sehen die Menschen sehr unterschiedlich. Experimente zur Klärung von Sachverhalten sind nur eingeschränkt möglich, auf der Mikro-Ebene der Psyche, bei Phänomenen wie Obrigkeitsgläubigkeit (Milgram, Zimbardo), Halo-Effekt, Erkenntnisillusion, Ego-Depletion (Tversky, Kahneman). 
- Welt 3 schließlich beinhaltet Abstraktionen und Theorien. In dieser Welt der Abstrakta herrscht besondere Unübersichtlichkeit und Verwirrung. Alles ist dort möglich an blühendem Unsinn, ob die Sklaven-und-Herrenmenschen-Anschauung des Aristoteles, die Offenbarungs-Religionen, der religionsähnliche Marxismus oder der phantastische Freudianismus. Und wer von solch einer Theorie besessen ist, der sieht alles aus einem bestimmten Blickwinkel, aus dem beobachtet vieles eben nicht sichtbar ist. 
Die Blickwinkelproblematik hat Niklas Luhmann (auch Maturana) besonders intensiv untersucht mit beachtlichen Ergebnissen. 


Erkennen ist problematisch, unsicher und vorläufig. Siehe die Linksintellektuellen auf den Killing Fields bei Pol Pot (Fröberg Idling, Enquist, Jan Myrdal, Hedda Ekkerwald, Chomsky). Auf den Begriff der “Wahrheit” sollte man deswegen besser verzichten, oder ihn auf mathematische Beweise beschränken, weil er leicht suggeriert, daß eine Meinung, ein Standpunkt, eine Theorie “wahr” sein könnte. Es herrschen aber immer nur die Perspektive und die Vorläufigkeit.