Sonntag, 9. Mai 2021

Klimaschau #35: Fluss-Hochwässer haben in den letzten 50 Jahren global a...

An den Pegeln von Wertheim (Taubermündung) und Kaiserswert dominieren die Hochwässer aus vorindustrieller Zeit.

G. Benn: Teils-Teils

 

G. Benn: Teils-Teils


In meinem Elternhaus hingen keine Gainsboroughs

wurde auch kein Chopin gespielt

ganz amusisches Gedankenleben

mein Vater war einmal im Theater gewesen

Anfang des Jahrhunderts

Wildenbruchs »Haubenlerche«

davon zehrten wir

das war alles.


Nun längst zu Ende

graue Herzen, graue Haare

der Garten in polnischem Besitz

die Gräber teils-teils

aber alle slawisch,

Oder-Neiße-Linie

für Sarginhalte ohne Belang

die Kinder denken an sie

die Gatten auch noch eine Weile

teils-teils

bis sie weitermüssen

Sela, Psalmenende.


Heute noch in einer Großstadtnacht

Caféterasse

Sommersterne,

vom Nebentisch

Hotelqualitäten in Frankfurt

Vergleiche,

die Damen unbefriedigt

wenn ihre Sehnsucht Gewicht hätte

wöge jede drei Zentner.

Aber ein Fluidum! Heiße Nacht

à la Reiseprospekt und

die Ladies treten aus ihren Bildern:

unwahrscheinliche Beauties

langbeinig, hoher Wasserfall

über ihre Hingabe kann man sich gar nicht

erlauben

nachzudenken.


Ehepaare fallen demgegenüber ab,

kommen nicht an, Bälle gehn ins Netz,

er raucht, sie dreht ihre Ringe,

überhaupt nachdenkenswert

Verhältnis von Ehe und Mannesschaffen

Lähmung oder Hochtrieb.


Fragen, Fragen! Erinnerungen in einer

Sommernacht

hingeblinzelt, hingestrichen,

in meinem Elternhaus hingen keine

Gainsboroughs

nun alles abgesunken

teils-teils das Ganze

Sela, Psalmenende.


Keine Gainsboroughs? Kein Chopin? 

Das ist bedauerlich, aber ziemlich normal, Gottfried. Das Pfarrhaus vererbt vor allem Intelligenz und Sprachfertigkeit, das ist ganz offenbar auch hier der Fall. 

Theater ist etwas für die Abendunterhaltung, führt aber zu nichts weiter. Davon läßt sich nicht zehren.

Gedankenleben - das ist der Trumpf der protestantischen Eltern, Gedankenübung, Gedankenfutter, Reflexion, Wissenserwerb in alle Richtungen. 

Das kann auch die gedankliche Weltorientierung gewährleisten, aber Gedanken und Theorien - das ist ein zu weites Feld, als daß man sich dort nicht schrecklich verlaufen könnte. Das passiert hekatombenweise. Bedauere es einfach, wenn es nicht geklappt hat. Selavi. 

Und dann geht schnell die Heimat verloren, nicht nur der Garten. Nach dem Ableben juckt das aber niemanden mehr. 

Doch in einer warmen Großstadtnacht schießen Verlangen und Vorstellungen ins Kraut, dem keine Wirklichkeit entsprechen kann. Die Phantasien sind grenzenlos. 

Aber erfüllte Träume sind: teils - teils.

Auch daraus läßt sich ein Gedicht machen. 

Das zählt. 

Begreifen und Erkennen



Bei dieser Darstellung eines schweren Räderpflugs (Brockhaus) sind wir schon lange heraus aus dem Mittelalter und schon in Renaissance und Reformationszeitalter. Drei Pferde mit Kummet ziehen das Gerät durch den schweren Boden, sie sind kräftiger und schneller als zwei Ochsen - und auch der Bauer leistet beim Niederdrücken des Pfluges Schwerstarbeit. 

Wie mag die Entwicklung dieses Geräts vonstatten gegangen sein? Die Schriftkundigen waren zu weit weg vom Pflügen, Mönche kopierten lieber zum tausendsten Mal einen Bibeltext als technische Zeichnungen anzufertigen. Aber der Bauer und der Schmied machten sich Gedanken zur Verbesserung des einfachen Hakenpflugs, sie arbeiteten mit dem Pflug, sie >begriffen< es, sie konnten es >begreifen<, und das Begreifen ist ein Tor zum Erkennen und Verbessern.