Sonntag, 27. Juli 2008

Hochtemperatur-Reaktor HTR / THTR


Vor der Mahd
18-30° schwül, Gewitterschauer; Birkensamen

Verpasste Entwicklung im Kernkraftwerksbau

FAZ, Leserbrief
Zur Leitglosse "Blödes Deutschland?" und zur Zuschrift von Leser Professor Dr. Karl-Hartmut von Wangenheim "So sicher sind unsere Kernkraftwerke" (F.A.Z. vom 7. und 14. Juli): Der erste GAU - größter anzunehmender Unfall - fand nicht in Tschernobyl statt, sondern in der damaligen Kernforschungsanlage in Jülich im Jahre 1966, nur niemand hat davon etwas gemerkt. Bei der Inbetriebnahme des in der Fachwelt bekannten Dreißig-Megawatt-AVR-Forschungsreaktors wurde der GAU bei der Inbetriebnahme unter Aufsicht aller Sicherheitsbehörden erprobt. Der "Kugelhaufenreaktor", nach der Idee von Professor Dr. Rudolf Schulten gebaut, ist ein graphitmoderierter und mit Helium gekühlter Reaktor, der mit kugelförmigen Brennelementen betrieben wurde. Bei der Inbetriebnahme wurde erprobt, ob der errechnete "negative Temperaturkoeffiziet" im Betrieb nachgewiesen werden konnte. Dieser "negative Temperaturkoeffizient" hat die Bedeutung, dass der Reaktor bei Ausfall der Kühlung sich von selbst abkühlt. Dass dieser Nachweis eine enorme sicherheitstechnische Bedeutung hat, bedarf wohl keiner Erklärung.


Nach Abschluss der Inbetriebnahmearbeiten des Reaktors wurde dieser auf die volle Betriebstemperatur von 850 Grad Celsius gefahren. Dann wurden die Kühlgasgebläse für das Helium abgeschaltet und alle sicherheitstechnischen Einrichtungen blockiert. Der Reaktor wurde also nicht mehr gekühlt, insofern vergleichbar mit Tschernobyl. Alle Sicherheitseinrichtungen waren außer Betrieb, vor allem die Abschaltstäbe, die die Aufgabe hatten, den Neutronenfluss zu mindern, und so den Reaktor abzuschalten, waren blockiert. Die Verantwortung für diesen Versuch lag seinerzeit bei mir und wurde vom Tüv und der Reaktorsicherheitskommission überwacht. Das Ergebnis entsprach den Berechnungen der Kernphysiker, mit dem Ergebnis, dass der Reaktor nach einigen Tagen vollständig abgekühlt war. Der Reaktor lief danach fast dreißig Jahre lang störungsfrei. Dieser Versuch ist bis heute einmalig
in der Geschichte des Baus von Kernkraftwerken. Deutschland hatte damit ein weltweites Monopol auf diese Technik und eine absolute Führungsposition. Leider wurde die Weiterentwicklung nach der Inbetriebnahme des 300-Megawatt-THTR-Blockes in Hamm-Schmehausen aus politischen Gründen eingestellt. Dieser Reaktortyp war ein sogenannter "Thermischer Brüter", das heißt 95 Prozent des "verbrannten Urans" konnten nach Aufbereitung "wiedergewonnen" werden. Ziel dieser Entwicklung war es, die vorhandenen Uranreserven auf praktisch Hunderte von Jahren zu "strecken", da der "Brutreaktor" "95 Prozent neuen Brennstoff" erbrütete, das heißt erzeugte.

Heute sind China und Südafrika Lizenznehmer dieser Technik. Während der dreißigjährigen Betriebszeit ist niemand, der in oder im Umkreis dieses Kernkraftwerkes tätig war oder wohnte, auch nur im geringsten mit Strahlen belastet worden. Leider leiden wir Deutschen immer noch an maßlosen Übertreibungen, das zeigt der Leserbrief von Professor Dr. Wangenheim. Übertreibungen im politischen Raum sollen in der Bevölkerung Angst erzeugen, zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele. Das Ergebnis heute ist ein viel zu teurer Strom, eine extreme soziale Ungerechtigkeit. Strahlung ist überall, im Weltraum, auf dem Feldberg im Schwarzwald, beim Röntgenarzt und so weiter. In der Welt sind Hunderte von Kernkraftwerken in Betrieb, die deutschen Kraftwerke galten und gelten auch heute noch als diejenigen mit dem höchsten Sicherheitsstandard, vor allem auch wegen der hervorragenden Ausbildung des Betriebspersonals und der kaum noch zu übertreffenden Sicherheitsprüfungen durch den TÜV. Nun sollen diese Kernkraftwerke abgeschaltet werden, mit der Konsequenz, dass an unseren Grenzen neue Kernkraftwerke gebaut werden. Wer soll diese politische Logik noch verstehen?
Dr.-Ing. Urban Cleve, Dortmund
Text: F.A.Z., 22.07.2008, Nr. 169 / Seite 8, Leserbrief