Sonntag, 28. Februar 2021

Adorno und sein mieser Charakter

“Wenig später traf Mann Otto Vossler, der ihm mitteilte, Adorno erzähle, um Manns Berufung zu verhindern, "dirty stories" über ihn, "probably in connection with Dr. Hacker. Which I shall keep in mind" (im Tagebuch). Beim Psychiater Friedrich Hacker war Golo Mann 1952/53 in Behandlung gewesen, nachdem sein damaliger Lebenspartner ihn verlassen hatte, um zu heiraten. Mann geriet daraufhin in eine tiefe depressive Krise. Adorno, ein Freund Hackers, arbeitete just in der Zeit, als Mann auf der Couch des Psychiaters Platz nahm, als Forschungsdirektor der Hacker-Foundation. Jahre später notierte Golo Mann im Tagebuch, Adorno habe sich in Frankfurt, um eine Berufung zu verhindern, über Manns "Sitten", seinen "Lebenswandel" verbreitet …” (War so ein Kollege wünschbar? Tilman Lahme, FAZ 28. März 2009)(https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/zum-100-geburtstag-von-golo-mann-war-so-ein-mensch-als-kollege-wuenschbar-1926434.html)

Wenn sich so einer wie Adorno dem “Autoritären Charakter” zuwendet, dann darf man das nicht allzu ernst nehmen. Nicht so ernst, wie das Fleischhauer in seinem Kanal tut. (Die FOCUS-Kolumne von Jan Fleischhauer

Die neue Lust an der Macht: Wie viele Politiker insgeheim über die Lockdown-Regeln denken) Adorno führt immer in die Irre, denn wer empirische Forschung geringschätzt und Persönlichkeitspsychologie (Differentielle Psychologie) nicht kennt, der kann nur herumschwurbeln, weil die Bezugsgrößen die als invalide überführte Psychoanalyse (vgl. D.E. Zimmer u.a.) und neomarxistische Vorstellungen gar nichts anderes erlauben. 

Freitag, 26. Februar 2021

Der Roggen ist’s!

David Landes wählte in seiner Monographie “Armut und Wohlstand der Nationen” ebenfalls einen vergleichenden Ansatz, allerdings streift er nur allgemein die Landwirtschaft des frühen Mittelalters. Michael Mitterauer setzt just da an. “Roggen und Hafer, die Agrarrevolution des Frühmittelalters” ist sein erstes Kapitel überschrieben. Natürlich ist die Ernährungsfrage das Fundament für alles andere, wie leicht einzusehen ist. Aber ernährt haben sich alle Populationen rund um die Welt. Sollte der Roggen als Hauptgetreide - statt Weizen wie im Mittelmeerraum und Reis in China - eine so bedeutende Rolle gespielt haben? Roggen sei haltbarer, meint Mitterauer, erlaube die Dreifelderwirtschaft, die Heuwirtschaft auf dem Brachland und verlange nach den Wassermühlen mit vertikalem Rad, was wiederum zur Nockenwelle führe. 

Abb.: Roggenähre (Wiki.)


Mittwoch, 24. Februar 2021

Hallo Peter!

 Unter den Intellektuellen des Mittelalters fallen zwei Gestalten auf, die zueinander in einem Lehrer- Schülerverhältnis standen: Peter der Pilger und Roger Bacon (1220-92).

Der Schüler würdigt seinen Lehrer mit einer Lobrede:

“Er ist mit der Naturwissenschaft durch Experimente und mit den Medikamenten und der Alchemie und mit allen Dingen im Himmel und unter dem Himmel vertraut, und er würde sich schämen, wenn irgend ein Laie, eine alte Frau oder ein Bauer oder ein Soldat irgend etwas über den Boden wissen würden, von dem er keine Kenntnis hat. Er weiß Bescheid über das Gießen der Metalle und die Bearbeitung von Gold, Silber und anderen Metallen und alle Mineralien; er weiß alles über den soldatischen Beruf, über Waffen und Jagd; er hat den Ackerbau, die Landvermessung und die Landbearbeitung untersucht; er hat sich außerdem mit den Zaubereien weiser Frauen, mit ihrem Wahrsagen und ihren Zaubersprüchen sowie mit denen der Zauberer, mit den Kniffen und Blendwerken der Gaukler beschäftigt. Ehren und Belohnungen aber verachtet er, da sie ihn von seinen großartigen experimentellen Arbeiten abhalten würden.” (J.D. Bernal, Die Wissenschaft in der Geschichte, S. 235)


Das klingt nach einem, der nicht die Engel auf der Nadelspitze zählen, sondern nach einem, der das Ganze erfassen will, dem es um universales Wissen geht. Diesen Typus gab es in der Antike nicht, den Griechen ging es mehr um die Theorie, Technik und Handwerk waren minder bewertet. Die sklavenhaltenden Römer übernahmen die griechische Kultur, entwickelten aber Handwerk und Technik, vor allem Kriegstechnik. Die wurde für ihre endlosen Eroberungen und Kriege in erster Linie gebraucht. Wissenserwerb als solcher wird zwar schon in der aristotelischen Schule, dem Lykeion, gepflegt, auch im Museion von Alexandria, aber erst die Aufklärung institutionalisiert ihn. Peter der Pilger und Roger Bacon können als zukunftsweisende Figuren angesehen werden, die in ihrer Orientierung die innovative Entwicklung in der Praxis ihrer Zeit reflektieren: experimentieren statt sinnieren. Was leistet der schwere Wendepflug, wer zieht ihn, was brauchen die Zugtiere, funktioniert die Dreifelderwirtschaft, das sind einige Fragen der Zeit.  


Montag, 22. Februar 2021

Wenig Ertrag

 “Roger Bacon (1220-1292) gab ein Vermögen für wissenschaftliche Forschung aus und wurde trotz des päpstlichen Segens für seine Bemühungen ins Gefängnis gesperrt. Peter der Pilger war ein Bahnbrecher bei der experimentellen Untersuchung des Magnetismus, worüber er einen kurzen Brief veröffentlichte. … (1269, Petrus Peregrinus de Maricourt, Lehrer Bacons, WD)

Die gesamten Errungenschaften des Mittelalters auf dem Gebiet der Naturwissenschaften bestehen in einigen wenigen Bemerkungen des Albertus Magnus über Naturgeschichte und Mineralien, in einer bedeutenden Abhandlung von Kaiser Friedrich II. über Jagdvögel, in einigen Verbesserungen der Optik von Alhazen durch Dietrich von Freiburg und Witelo, einschließlich einer Beschreibung des Regenbogens, die erst von Newton verbessert werden sollte, und in einigen nicht sehr originellen kritischen Betrachtungen von Buridan und Oresme zur aristotelischen Theorie der Bewegung.”

J.D. Bernal, Die Wissenschaft in der Geschichte, S. 229


Sonntag, 21. Februar 2021

Seneca und die Zeit

Das erste Heft von “Aufklärung und Kritik” in 2021 widmet sich Seneca. Das kann ich nur loben, grundierte doch die STOA das europäische Denken.

Hier ein paar Zitate von ihm:


“ Auch dem Hin- und Herrennen muß man Einhalt tun, welches einem großen Teile der Menschen eigen ist, die Häuser, Theater und Marktplätze durchstreifen. Sie bieten sich zu Geschäften für andere an und sehen aus wie Leute, die immer etwas tun wollen. … Nicht Tätigkeitstrieb, sondern falsche Vorstellungen von den Dingen sind es, die sie in Unruhe und Unverstand umhertreiben; denn auch sie regen sich nicht ohne Hoffnung auf irgend einen Erfolg; aber es treibt sie nur ein Scheinbild irgend einer Sache, dessen Nichtigkeit ihre befangene Seele sie nicht erkennen läßt.”

(Seneca, Von der Gemütsruhe, 12. Kap.)   

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Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir.“ (Moralische Briefe an Lucilius (Epistulae morales ad Lucilium), Buch XVII, Brief 106, 12)


"Selbst wenn noch eine lange Lebensdauer übrigbliebe,

müßte man sie sparsam aufteilen, damit sie für

notwendige Dinge ausreiche: Doch welch ein Wahnsinn

ist es nun, Überflüssiges zu lernen bei diesem großen

Zeitmangel! Leb wohl!" (Seneca, 49. Brief an Lucilius)


"Zeit, die nicht einmal für notwendige Dinge

ausreichen kann ... Vale" Seneca, a.a.O.


"Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nutzen."   










Samstag, 20. Februar 2021

Nach ihm 2000 Jahre Wiederkäuen

 Da hat er sich aber verbrannt!

“Aristoteles übernahm die ihm willkommene Legende, wonach der Salamander unbeschadet durchs Feuer laufen könne. Damit schien ihm erwiesen, daß das Element Feuer dem Leben nicht feindlich gesinnt sei.” ( J.M. Zemb, Aristoteles in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, 1961, S. 86)  Aristoteles war eine dubiose Figur, besser wäre es gewesen, die Vergangenheit hätte ihn verschluckt; das hätte schon den Kommentatoren im Mittelalter den Boden weggezogen.

Freitag, 19. Februar 2021

Der König aus dem 'Midi'

Vier französische Herrscher wird das breite Publikum kennen: de Gaulle, Napoleon, Ludwig XIV. und Heinrich IV. Der beliebteste dieser Auswahl ist zweifellos Heinrich, in beiden Ländern. Das liegt auch an Heinrich Mann, der sich in Henri Quatre verliebte und ihm zwei Romanbiographien widmete, die es jedoch historisch nicht so genau nehmen, man kennt das von Heinrich Mann. 

Henri Quatre schillert in der Geschichte wie kaum ein anderer, und keiner hat öfter die Konfessionen gewechselt. Paris ist eine Messe wert, eine katholische Messe, wohlgemerkt, soll er geäußert haben, und bestieg auf diese saloppe Weise den französischen Königsthron. Weswegen er auch als “Hugenotte auf Frankreichs Thron” (Taillandier) bezeichnet wird. Calvinistisch erzogen war der Südfranzose wohl auch mehr Protestant als Katholik, aber es lag offenbar in seiner an Theologie nicht übermäßig interessierten Persönlichkeit, daß er beides gut verbinden konnte, was auch - neben der Drohung der Hugenotten, den Bürgerkrieg weiterzuführen - 1598 zum Toleranzedikt von Nantes führte. Philipp II., dem spanischen Herrscher aus dem Hause Habsburg, konnte das wenig gefallen. “Als der Jülich-Klevische Erbstreit ausbrach, beschloß Heinrich, zugunsten der protestantischen Ansprüche einzugreifen, ja, man schrieb ihm die ehrgeizige Absicht zu, sich an die Spitze aller protestantischen Mächte zu stellen, um so dem katholischen Habsburg den Rest zu geben.” (Sieburg, Franz. Geschichte, S. 71) 

So führte Henri Quatre die vorgefundene Außenpolitik gegen das deutsche Reich fort, wärend er innenpolitisch das Land konsolidierte. Der fanatische Wirrkopf Ravaillac fand das zu wenig katholisch und erstach 1610 den saloppen König.  

Donnerstag, 18. Februar 2021

Epikur an Menoikeus

Der Winter ist Sterbesaison, bei den Tieren, bei den Menschen. Gegenüber dem Januar legt das Ableben noch einmal um etwa 10% zu, durchschnittlich, sagen die Bestatter, die es wissen müssen. 

Da kann man nichts machen, damit muß man sich arrangieren. Und darüber reden. Das taten die Menschen zu allen Zeiten, und Epikur schrieb darüber:

“Gewöhne dich an den grundlegenden Gedanken, daß der Tod für uns ein Nichts ist. Denn alles Gute und alles Schlimme beruht darauf, daß wir es empfinden. Verlust aber dieser Empfindung ist der Tod. Deshalb macht die rechte Erkenntnis, daß der Tod für uns ein Nichts ist, die Sterblichkeit des Lebens zu einer Freude; sie fügt nicht nach dem Tode eine grenzenlose Zeit hinzu, sondern tilgt in uns die Sehnsucht nach der Unsterblichkeit. Für den, der recht begriffen hat, daß es im Nichtleben nichts Schreckliches gibt, für den gibt es ja auch im Leben nichts Schreckliches.”

Epikur. Brief an Menoikeus - Philosophie des Glücks (Sämtliche Werke | Gesamtausgabe aller Werke von Epikur in deutscher Übersetzung) Kindle-Version. 

Vielleicht ist das ein bißchen überzeichnet und vereinfacht, aber die zentrale Botschaft, “daß es im Nichtleben nichts Schreckliches gibt”, überglänzt doch alles, was die Theologen der Welt zusammengetragen haben. 

Und auch dies kann als grandioser Hinweis Epikurs gelten:

“So ist also der Tod, das schauervollste Übel, für uns ein Nichts; wenn wir da sind, ist der Tod nicht da, aber wenn der Tod da ist, sind wir nicht mehr.” (Ebd.)  

Mittwoch, 17. Februar 2021

„Die Füße im Feuer“ von Conrad Ferdinand Meyer

 Der katholische französische König Franz I. unterstützte die protestantischen deutschen Fürsten, was den fanatischen Spanier Karl V. auf den Plan rief. Seine Gegenreformation sah er gefährdet und er zog gegen Metz, das er aber trotz starken Beschusses nicht einnehmen konnte. Sein Sohn Philipp II. nahm wenig später die Feindseligkeiten wieder auf und fiel von den spanisch besetzten Niederlanden nach Frankreich ein. Dort führte Heinrich II. als Nachfolger Franz I. die alte französische Politik weiter und schloß 1552 mit dem protestantischen Kurfürsten von Sachsen, Moritz, den Geheimvertrag von Chambord ab. Als Belohnung erhielt Heinrich II. die reichsunmittelbaren Bistümer Metz, Toul und Verdun; Moritz waren seine fürstlichen Sonderinteressen wichtiger als das deutsche Reich. Der Konfessionskonflikt weitete sich aber auch in Frankreich aus. Calvin war nach Genf geflohen, die Hugenotten begannen sich zu organisieren, ihr Kopf wurde der Admiral Cologny, die Brüder Guise führten die katholische Seite mit spanischer Unterstützung. 1572 kulminierten die Spannungen in der Bartholomäusnacht, in der die gesamte Führung der Hugenotten in Paris abgeschlachtet wurde. Verfolgungen der Protestanten folgten in ganz Frankreich. Das ist der Hintergrund des Erzählgedichts „Die Füße im Feuer“ von Conrad Ferdinand Meyer (1825-98).

Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm. Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Roß, Springt ab und pocht ans Tor und lärmt. Sein Mantel saust Im Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest. Ein schmales Gitterfenster schimmert goldenhell Und knarrend öffnet jetzt das Tor ein Edelmann... - „Ich bin ein Knecht des Königs, als Kurier geschickt Nach Nîmes. Herbergt mich! Ihr kennt des Königs Rock!" - „Es stürmt. Mein Gast bist du. Dein Kleid, was kümmert's mich? Tritt ein und wärme dich! Ich sorge für dein Tier!" Der Reiter tritt in einen dunkeln Ahnensaal, Von eines weiten Herdes Feuer schwach erhellt, Und je nach seines Flackerns launenhaftem Licht Droht hier ein Hugenott im Harnisch, dort ein Weib, Ein stolzes Edelweib aus braunem Ahnenbild... Der Reiter wirft sich in den Sessel vor dem Herd Und starrt in den lebend'gen Brand. Er brütet, gafft... Leis sträubt sich ihm das Haar. Er kennt den Herd, den Saal... Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut. Den Abendtisch bestellt die greise Schaffnerin Mit Linnen blendend weiß. Das Edelmägdlein hilft. Ein Knabe trug den Krug mit Wein. Der Kinder Blick Hangt schreckensstarr am Gast und hangt am Herd entsetzt... Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut. - „Verdammt! Dasselbe Wappen! Dieser selbe Saal! Drei Jahre sind's... Auf einer Hugenottenjagd... Ein fein, halsstarrig Weib... "Wo steckt der Junker? Sprich!" Sie schweigt. "Bekenn!" Sie schweigt. "Gib ihn heraus!" Sie schweigt Ich werde wild. Der Stolz! Ich zerre das Geschöpf... Die nackten Füße pack ich ihr und strecke sie Tief mitten in die Glut.. "Gib ihn heraus!".. Sie schweigt... Sie windet sich... Sahst du das Wappen nicht am Tor? Wer hieß dich hier zu Gaste gehen, dummer Narr? Hat er nur einen Tropfen Bluts, erwürgt er dich." Eintritt der Edelmann. „Du träumst! Zu Tische, Gast..." Da sitzen sie. Die drei in ihrer schwarzen Tracht Und er. Doch keins der Kinder spricht das Tischgebet. Ihn starren sie mit aufgerißnen Augen an- Den Becher füllt und übergießt er, stürzt den Trunk, Springt auf: „Herr, gebet jetzt mir meine Lagerstatt! Müd bin ich wie ein Hund!" Ein Diener leuchtet ihm, Doch auf der Schwelle wirft er einen Blick zurück Und sieht den Knaben flüstern in des Vaters Ohr... Dem Diener folgt er taumelnd in das Turmgemach. Fest riegelt er die Tür. Er prüft Pistol und Schwert. Gell pfeift der Sturm. Die Diele bebt. Die Decke stöhnt. Die Treppe kracht... Dröhnt hier ein Tritt?... Schleicht dort ein Schritt?... Ihn täuscht das Ohr. Vorüberwandelt Mitternacht. Auf seinen Lidern lastet Blei und schlummernd sinkt Er auf das Lager. Draußen plätschert Regenflut. Er träumt. „Gesteh!" Sie schweigt. „Gib ihn heraus!" Sie schweigt. Er zerrt das Weib. Zwei Füße zucken in der Glut. Aufsprüht und zischt ein Feuermeer, das ihn verschlingt... - „Erwach! Du solltest längst von hinnen sein! Es tagt!" Durch die Tapetentür in das Gemach gelangt. Vor seinem Lager steht des Schlosses Herr - ergraut, Dem gestern dunkelbraun sich noch gekraust das Haar. Sie reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt sich heut. Zersplittert liegen Ästetrümmer quer im Pfad. Die frühsten Vöglein zwitschern, halb im Traume noch. Friedsel'ge Wolken schwimmen durch die klare Luft, Als kehrten Engel heim von einer nächt'gen Wacht. Die dunkeln Schollen atmen kräft'gen Erdgeruch. Die Ebne öffnet sich. Im Felde geht ein Pflug. Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln: „Herr, Ihr seid ein kluger Mann und voll Besonnenheit Und wißt, daß ich dem größten König eigen bin. Lebt wohl. Auf Nimmerwiedersehn!" Der andre spricht: „Du sagst's! Dem größten König eigen! Heute ward Sein Dienst mir schwer.. Gemordet hast du teuflisch mir Mein Weib! Und lebst!... Mein ist die Rache, redet Gott."









Dienstag, 16. Februar 2021

Ein katholischer Narr

vonHans Conrad Zander, 2007


Närrisch kann jeder sein, doch für einen Narren braucht es mehr, nämlich dramatischen Sinn und eloquenten Humor. So einer erscheint uns in dem entlaufenen Schweizer Dominikaner Hans Conrad Zander. Insofern ist er auch ein Nachfahre des Thil Uilenspiegel. Mit dem großen Unterschied jedoch, daß Uilenspiegel ein Lutheraner war und Zander ein zur Meisner-Woelki-Partei gewechselter Calvinist. Seine katholische Propaganda verpackt er sehr attraktiv in launigen Humor und bei leibhaftigen Auftritten setzt er gekonnt Turnschuhe, Kniefälle und seinen Schweizer Tonfall ein, eine Zirkusnummer wirkt dagegen blaß. Bei seiner Liebeserklärung an die Inquisition kehrt er allerdings den Woelki heraus, was ihm Beifall von ungewohnter Seite einbrachte. Und noch mehr Kritik von der anderen. Dumm nur, daß der muntere Zander für seine exotische Perspektive auf alle Quellennennung verzichtet. Lautet doch der erste Satz in der Erstsemestervorlesung der Historiker: Quellen, Quellen, Quellen. Phantasieren und glauben sollen die Theologen. Das tut denn auch der Schweizer Hans. Der Psychologe Steven Pinker entdeckt seine Quellen, wenn er schreibt:

„Der Blutzoll, den die Verfolgung von Ketzern und Ungläubigen im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Christentum forderte, übersteigt jede Vorstellungskraft und straft die herkömmliche Weisheit Lügen, das 20. Jahrhundert sei eine ungewöhnlich gewalttätige Epoche gewesen. … können wir doch von Schätzungen von Gewaltforschern wie dem Politikwissenschaftler R.J. Rummel in seinem Buch “Death by Government” und dem Historiker Matthew White in seinem “Great Big Book of Horrible Things” und seiner Website “Death by Mass Unpleasantness” einen Eindruck bekommen.” (Pinker, Gewalt, S. 220) 

Die Heimseite https://www.necrometrics.com/pre1700a.htm#European nennt - wie auch die Wikipedia unter dem Stichwort “Inquisition” - viele Zahlen und Quellen, die Zanders Zahlen als außerordentlich unspaßig und drastisch verharmlosend erscheinen lassen. 

Die Einrichtung der Inquisition als Behörde mit Regelverfahren 1231 verdankt sich dem großen Schreck und Entsetzen, daß die Katharer unbemerkt von Rom eine Massenbewegung geworden waren und große Kräfte entfaltet werden mußten, um die etwa 200.000 Katharer auszurotten. Hinfort sollte die Inquisition einen flächendeckenden Schnüffelapparat aufbauen, eine Art katholischen Verfassungsschutz,  um früh eingreifen zu können. Die Schnüffler schnüffelten auch unter den Röcken. 

“Ein Manuskript aus Toledo aus dem 16. Jahrhundert beschreibt die Inquisition einer Frau, die dafür angeklagt worden war, saubere Unterwäsche am Samstag zu tragen, angeblich ein Zeichen, daß sie insgeheim Jüdin war. Sie wurde auf die Streckbank gepackt und der Wasserfolter unterzogen (ich erspare ihnen die Details …), dann gewährte man ihr einige Tage zur Erholung und folterte sie erneut, während sie verzweifelt herauszubekommen versuchte, was sie gestehen sollte. … Rummel setzt die Zahl der Opfer der spanischen Inquisition mit 350.000 an.” (Pinker, Gewalt, S. 221f.) 

Zanders beruft sich offenbar auf die Fälschungen des Vatikans; man staunt, wie er sich von Rom einseifen läßt.

Montag, 15. Februar 2021

Kein Schelmenroman

Eulenspiegel - das klingt nach nicht ganz so lustigen Streichen. Die sind auch bei dem Belgier Charles de Coster nicht sehr mitreißend. Aber das ist Geschmackssache. Coster hat jedoch aus dem einfachen und derben Volksbuch von etwa 1515 ein respektables Stück Literatur gemacht, auf das man in Belgien etwas hält. Es floß viel Geschichte ein in den Bilderbogen von Till Uilenspiegel und seiner Gefährtin Nele. Geschichte aus der blutrünstigen spanischen Besatzungszeit unter Karl V. und seinem Sohn Philipp II. Uilenspiegel wird im gleichen Jahr 1527 geboren wie Philipp und ist der flämische Held vor der Folie des in jeder Beziehung negativ gezeichneten Philipp, die beiden entwickeln sich parallel und beleuchten einander. Der düstere Stoff des viele Blutopfer kostenden Kampfes gegen die katholischen Plünderer und Massenmörder wird durch die Lebens- und Liebesgeschichte des flämischen Paares ausgesteuert zu einer leichteren Stimmung, zu der auch die Schwänke des Uilenspiegels beitragen. Coster gelang mit den “Legenden und Abenteuern” ein farbiges Porträt der Flamen und ihrer Kultur vor dem Hintergrund der spanischen Gegenreformation. Nach dem Erscheinen 1869 in Brüssel avancierte es zum Nationalepos.

Sonntag, 14. Februar 2021

Folter dient dem katholischen Heil, sagt der Dechant

 

“Und im Volke sagte man: »Feuer oder Strick, Tod ist es.« Und die Frauen weinten, und die Männer murrten dumpf. Und Klaas sagte: »Ich schwöre nicht ab. Macht mit meinem Leibe, was Euerer Barmherzigkeit gefällt.« Der Dechant von Ronsse, Titelman, schrie: »Es ist unerträglich zu sehn, wie frech dieses ketzerische Ungeziefer vor dem Richter auftritt. Ihre Leiber zu verbrennen, das ist eine kurze Pein; es gilt ihre Seelen zu retten und sie auf der Folter zu zwingen, daß sie ihren Irrtümern entsagen, auf daß sie nicht dem Volke das Ärgernis erregende Schauspiel geben, wie Ketzer in Verstocktheit sterben.« … 

Obwohl die päpstliche Inquisition zu der Zeit von Karls Regierung durch den Scheiterhaufen, durch die Grube und durch den Strick hunderttausend Christen getötet hatte, und obwohl das Gut der armen Verdammten in die Kisten des Kaisers und des Königs geströmt war wie der Regen ins Rinnsal, so erachtete das Philipp für zu wenig; er drängte den Landen neue Bischöfe auf und bestand darauf, die spanische Inquisition einzuführen.”


de Coster, Charles. Uilenspiegel und Lamme Goedzak (German Edition) (S.183, 247). Subach. Kindle-Version.


Schuldkult ist eine Verirrung des Geistes, aber eine große Tafel im Petersdom, die die zahllosen Großverbrechen des Katholizismus auflistet, wäre schon angemessen.



Freitag, 12. Februar 2021

Karl V. und die katholischen Pfaffen bei de Coster

“Um diese Zeit hielten die Inquisitoren und Theologen dem Kaiser Karl das zweite Mal vor: daß die Kirche zugrunde gehe und daß ihr Gebot verachtet werde; daß er, wenn er so viel glänzende Siege davongetragen habe, dies nur den Gebeten der katholischen katholischen Kirche danke, die die kaiserliche Macht auf ihrer erhabenen Höhe erhalte. Ein spanischer Erzbischof bat ihn, er solle sechstausend Köpfe abschlagen oder ebensoviel Leiber verbrennen lassen, um in den Niederlanden die verfluchte lutherische Ketzerei auszurotten. Der Kaiser entschied, das sei nicht genug. So sah denn der entsetzte Uilenspiegel überall, wo er hinkam. Köpfe auf Stangen, junge Mädchen in Säcke gesteckt und lebendig ins Wasser geworfen, Männer nackt ans Rad geflochten und mit Eisenstangen mächtig gepeinigt und Frauen in eine Grube geworfen und Erde über sie und den Henker tanzend auf ihrer Brust, um sie zu brechen.

Aber die Beichtväter derer, die sich vorher bekehrt hatten, bekamen für jeden einzelnen zwölf Kreuzer. In Löwen sah er die Henker dreißig Lutherische auf einmal verbrennen und den Scheiterhaufen mit Schießpulver entzünden. In Limburg sah er eine ganze Familie, Männer und Frauen, Töchter und Eidame, Psalmen singend den letzten Gang tun; und der alte Vater schrie, als man ihn verbrannte.”


de Coster, Charles. Uilenspiegel und Lamme Goedzak (German Edition) (S.74). Subach. Kindle-Version.


Donnerstag, 11. Februar 2021

Karl V. und sein Sohn Philipp II. bei de Coster

“Um diese Zeit griff das geistliche Gericht einen vlämischen Bildner, einen Katholiken; er hatte sein Bild, eine Statue Unserer Frau, deren ausbedungenen Preis sich der Besteller, ein Mönch, zu zahlen weigerte, mit seinem Meißel ins Gesicht geschlagen mit den Worten, er wolle lieber sein Werk vernichten, als es zu einem geringen Preise hergeben. Da ihn der Mönch als Bilderstürmer angab, wurde er ohne Erbarmen der Folter unterworfen und endlich verurteilt, lebendig verbrannt zu werden. Bei der Folter hatte man ihm die Fußsohlen geröstet; als er nun, gehüllt in den Sanbenito, vom Gefängnisse zum Scheiterhaufen ging, schrie er: »Haut mir die Füße ab! Haut mir die Füße ab!« Und Philipp hörte von weitem diese Schreie; und er war vergnügt, aber er lachte nicht. … Philipp, seine vornehmen Diener, die Prinzen, Grafen und Ritter und die Damen waren da; der Bildner wurde mit einer langen Kette an einen Pfahl gefesselt, der mitten in einem feurigen Kreise von Strohbüscheln und Reisigbündeln stand, so daß der arme Sünder langsam braten mußte, wenn er sich, um dem gähen Feuer zu entrinnen, in der Mitte hielt. … die Arme gekreuzt und die lange Kette hinter sich nachschleppend, schritt er gegen das brennende Stroh und Reisig, und er warf sich aufrecht in die Flammen: »Seht, so sterben die Vlamen angesichts der spanischen Henker.


de Coster, Charles. Uilenspiegel und Lamme Goedzak (S.66-67). Subach. Kindle-Version.


Mittwoch, 10. Februar 2021

Freiheitsfreund Schiller

SCHILLER, DON CARLOS, Vorletzte Szene

Das Drama ist im Detail nicht historisch.

Der spanische König Philipp II., Sohn Karls V., trifft sich mit dem alten Kardinal und Großinquisitor, um dessen Propagandahilfe für den geplanten Mord an seinem Sohn, dem Thronfolger Don Carlos, zu erwirken. Der ist einverstanden, geht es doch um die Macht von Thron und Kirche, für die Karl V. in den Augen des Großinquisitors stand. Lieber Tod als Freiheit, ist sein letztes Wort; der Thronfolger will nämlich der spanischen Herrschaft in den protestantischen Niederlanden ein Ende bereiten. Das wollen beide, Philipp und Großinquisitor, verhindern.  

Großinquisitor. Wenn Philipp sich in Demuth beugt.

König (nach einer Pause).         Mein Sohn

Sinnt auf Empörung.

Großinquisitor.         Was beschließen Sie?

König. Nichts – oder Alles.

Großinquisitor.         Und was heißt hier Alles?

König. Ich lass' ihn fliehen, wenn ich ihn

Nicht sterben lassen kann.

Großinquisitor.         Nun, Sire?

König. Kannst du mir einen neuen Glauben gründen,

Der eines Kindes blut'gen Mord vertheidigt?

Großinquisitor. Die ewige Gerechtigkeit zu sühnen,

Starb an dem Holze Gottes Sohn.

König.                 Du willst

Durch ganz Europa diese Meinung pflanzen?

Großinquisitor. So weit, als man das Kreuz verehrt.

König.                 Ich frevle

An der Natur – auch diese mächt'ge Stimme

Willst du zum Schweigen bringen?

Großinquisitor.                 Vor dem Glauben

Gilt keine Stimme der Natur.

König.                 Ich lege

Mein Richteramt in deine Hände. – Kann

Ich ganz zurücke treten?

Großinquisitor.                 Geben Sie

Ihn mir.

König.     Es ist mein einz'ger Sohn – Wem hab' ich

Gesammelt?

Großinquisitor.     Der Verwesung lieber, als

Der Freiheit.

König (steht auf).     Wir sind einig. Kommt.

Großinquisitor.                 Wohin?

König. Aus meiner Hand das Opfer zu empfangen.


“Nach Ansicht des britischen Historikers Hugh Trevor-Roper hat diese antiprotestantische, gegenreformatorische Reaktion mehr als der Protestantismus selbst das Schicksal des südlichen Europas für die folgenden dreihundert Jahre besiegelt.” 

(David Landes, Wohlstand und Armut der Nationen, S. 199)












Dienstag, 9. Februar 2021

Cervantes und die Inquisition

 Ja, auch das noch. Die spanische Inquisition, die Schnüffel- und Mordtruppe des Katholizismus, erfand auch die Rassensauberkeit. Cervantes (1547-1616), der Autor des “Don Quijote”, wurde von der Inquisition angeklagt und exkommuniziert wegen Verstoßes gegen die Blutsauberkeitsgesetze Ferdinands und Karls V.; Cervantes hatte nämlich auch jüdische Vorfahren in der Familie. Schlimmerer Bestrafung entging er offenbar nur knapp:

The Inquisition tried him under the Purity of Blood laws and, because he had Jewish blood in his family history, he was excommunicated, only barely escaping nastier punishments.” (https://barringtonstageco.org/behind-the-story-man-of-la-mancha/)

Ähnlich auch David Landes:

“Die Verfolgungen mündeten in eine endlose Hexenjagd mit allem, was dazugehört: bezahlte Schnüffler, spionierende Nachbarn, ein rassistischer Kult um die Reinheit des Blutes (limpieza de sangre) … Vor allem Reinlichkeit erregte Verdacht, und wer badete, gab sich als Ketzer zu erkennen, Marranen (jüd. Zwangskonvertiten, WD) ebenso wie Morisken (christianisierte Mauren, WD). Die Wendung ‘der Beschuldigte soll Bäder genommen haben …’ findet sich immer wieder in den Akten der Inquisition.” (David Landes, Wohlstand und Armut der Nationen, S. 199)  


Sonntag, 7. Februar 2021

Ein Rechenkünstler

Er suchte interessante Stellen in der Bibel, addierte deren Zahlenwerte, die Buchstaben, die nicht so gut zu dem passten, was er vorhatte, tauschte er einfach gegen andere, günstigere aus, und hast du nicht gesehen kam Stifel zu erstaunlichen Ergebnissen.” 

https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/kalenderblatt/weltuntergang-laut-pfarrer-michael-stifel-100.html

Diese Methode funktioniert immer und überall. Die Realität ist zu komplex für unser Gehirn, daher wird auf Teufel und Gott komm raus Komplexität reduziert auf ein Taschenformat. Die Christen setzen anders an mit ihrer Apokalypse-Phantasie als die Buddhisten mit ihrer ewigen Wiederkehr. Das Ergebnis ist ähnlich, indem nämlich Unerklärliches auf einfache Deutung heruntergebrochen wird. 

In der Klimawissenschaft kann man es die Methode Schellnhuber nennen. Auch in der Apokalypse des Johannes brennt es an allen Ecken, wie bei Schellnhubers “Selbstverbrennung”. Aber der Fortschritt in der Apokalypseverkündung besteht darin, Zahlen einzusetzen und Rechenkünste. Wenn sich dazu noch Phantasie und Rednerbegabung gesellen, dann kann man schon großartige, weltweite Effekte erzielen. Und noch einen Lernfortschritt gibt es: die Prognosezeiträume sind so gewählt, daß sie von den Lebenden niemand mehr erlebt. Stifels kurze Frist hätte ihn beinahe das Leben gekostet, da muß man als Prophet vorbauen. 

Donnerstag, 4. Februar 2021

Karl V. und seine Nachwirkungen

“Ein marokkanischer Gesandter, der sich von 1690 bis 1691 in Madrid aufhielt, sah das Problem mit klaren Augen:

‘Durch die Eroberung und Ausbeutung der indischen Länder und die großen Reichtümer, die sie von dort bezieht, verfügt die spanische Nation heute über den größten Wohlstand und das höchste Einkommen aller Christen. Aber die Liebe zum Luxus und zu den Bequemlichkeiten der Zivilisation hat sie überwältigt, und man findet selten einen aus dieser Nation, der Handel treibt oder geschäftlich ins Ausland reist, wie es die anderen christlichen Nationen tun, zum Beispiel die Holländer, die Engländer, die Franzosen, die Genuesen und ihresgleichen. Auch die Handwerke der niederen Klassen und des gemeinen Volkes werden von dieser Nation verachtet, die sich den anderen christlichen Nationen überlegen dünkt. Die meisten von denen, welche diese Handwerke in Spanien ausüben, sind Franzosen; … sie strömen nach Spanien, um Arbeit zu suchen und Geld zu verdienen.”

(David Landes, Wohlstand und Armut der Nationen, S. 190; Landes zitiert hier aus Bernard Lewis, Die Welt der Ungläubigen, S. 203f.; der italienische Historiker und Staatsmann Francesco Guicciardini habe sich ähnlich geäußert, zit. in Cipolla, Before the Industrial Revolution, S. 250)  

Der zitierte Gesandte differenziert hier nicht zwischen Katholizismus und Protestantismus, die er offenbar nicht näher kennt.






Mittwoch, 3. Februar 2021

Reichseinheitsideologie, Imperialismus und protestantisches Arbeitsethos

Carlos V. forderte auf dem Wormser Reichstag von 1521 den Widerruf Luthers, der aber ausblieb, worauf über Luther die Reichsacht verhängt wurde. Carlos folgte dem alten Prinzip der Reichseinheitsideologie, dem schon Karl in seinen Sachsenkriegen im 8. Jahrhundert folgte. Nichts anderes beseelte auch Isabella und Ferdinand, die Reyes Católicos, bei der Requonquista und der Vertreibung der Juden bis 1492. Doch Einheitsdenken kann die wirtschaftlichen Nachteile der Vertreibung wirtschaftlich überlegener Gruppen nicht ausgleichen. Des Columbus’ Entdeckung Amerikas und die anschließende Ausplünderung der neuen Kolonien verdeckten die negative Entwicklung zunächst, jedoch nicht auf Dauer. Das protestantische Arbeitsethos in Flandern und England gewann die Zukunft, Portugal und Spanien verloren.

Dienstag, 2. Februar 2021

Der Kaiser und die Sprachen

Carlos V. wuchs in Gent in Französisch auf, der Aristokratensprache nicht nur in Flandern. Auch Mittellatein und Flämisch verstand er. In Deutsch war er sehr schwach und Spanisch lernte er erst mit 17 Jahren. 

Eine Gesellschaft besteht in den Kommunikationen, Carlos lebte also in der Hochadelsblase und kannte die jeweilige Bevölkerung in Flandern und Spanien - nicht zu reden von den deutschen Ländern - nur aus der Ferne. Die verschiedenen Gruppen in der Gesellschaft lebten nebeneinander her und kümmerten sich wenig umeinander, von Frondiensten, Steuererhebungen und Unterdrückungsherrschaft einmal abgesehen. In Flandern aber bildeten sich frühbürgerliche Verhältnisse heraus, die in Richtung einer Nationsbildung und wirtschaftlicher Produktivität wirkten. Der wirtschaftsfeindliche Katholizismus und die konzeptionslose Adelsarroganz des Carlos’ und seiner Kumpanen geriet mehr und mehr unter Druck und mußte zuletzt das Feld räumen, wobei Spanien bis heute unter der verschwenderischen Karlsherrschaft und der seiner Nachfolger wirtschaftlich leidet. Ohne den ausländischen Tourismus sähe es noch schlechter aus.


Montag, 1. Februar 2021

“FEIERN”

Genießen macht gemein.”, heißt es in Faust II, Vers 10259. Mephisto will Faust zum Genußmenschen machen, das ist der Inhalt der Wette zwischen den beiden, doch Faust widerstrebt das Faulbett, weiterhin lockt ihn eine neue Aktivität:

“Mitnichten! dieser Erdenkreis gewährt noch Raum zu großen Taten.

Erstaunenswürdiges soll geraten, 

Ich fühle Kraft zu kühnem Fleiß.” (V. 10181ff.)


Das wird dann die Landgewinnung durch Eindeichung sein. 

Diese Aktivitätsorientierung im Faust läßt sich als als deutsche und europäische Mentalität interpretieren.


Der Kaiser in Goethes Faust II

Zwar ist im Faust kein bestimmter Kaiser gemeint, aber die Verse passen auch auf Carlos V. (V.10342ff.)

MEPHISTOPHELES.

Auf meinem Zuge blieb mir nicht verborgen:

Der gute Kaiser schwebt in großen Sorgen.

Du kennst ihn ja. Als wir ihn unterhielten,

Ihm falschen Reichtum in die Hände spielten,

Da war die ganze Welt ihm feil.

Denn jung ward ihm der Thron zuteil,

Und ihm beliebt' es, falsch zu schließen,

Es könne wohl zusammengehen

Und sei recht wünschenswert und schön:

Regieren und zugleich genießen.

FAUST.

Ein großer Irrtum. Wer befehlen soll,

Muß im Befehlen Seligkeit empfinden.

Ihm ist die Brust von hohem Willen voll,

Doch was er will, es darf's kein Mensch ergründen.

Was er den Treusten in das Ohr geraunt,

Es ist getan, und alle Welt erstaunt.

So wird er stets der Allerhöchste sein,

Der Würdigste –; Genießen macht gemein.

MEPHISTOPHELES.

So ist er nicht. Er selbst genoß, und wie!

Indes zerfiel das Reich in Anarchie,

Wo groß und klein sich kreuz und quer befehdeten

Und Brüder sich vertrieben, töteten,

Burg gegen Burg, Stadt gegen Stadt,

Zunft gegen Adel Fehde hat,

Der Bischof mit Kapitel und Gemeinde;

Was sich nur ansah, waren Feinde.

In Kirchen Mord und Totschlag, vor den Toren

Ist jeder Kauf- und Wandersmann verloren.

Und allen wuchs die Kühnheit nicht gering;

Denn leben hieß sich wehren. – Nun, das ging.


Carlos V. war dreimal zahlungsunfähig, und der “falsche Reichtum”, von dem hier die Rede ist, kann gleichgesetzt werden mit den spanischen Plündereien in Südamerika.