Sonntag, 5. Dezember 2010

Kopf hoch









- Tristan

Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
Ist dem Tode schon anheimgegeben,
Wird für keinen Dienst auf Erden taugen,
Und doch wird er vor dem Tode beben,
Wer die Schönheit angeschaut mit Augen!

Ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe,
Denn ein Tor nur kann auf Erden hoffen,
Zu genügen einem solchen Triebe:
Wen der Pfeil des Schönen je getroffen,
Ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe!
Ach, er möchte wie ein Quell versiechen,
Jedem Hauch der Luft ein Gift entsaugen,
Und den Tod aus jeder Blume riechen:
Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
Ach, er möchte wie ein Quell versiechen!

August von Platen (1796-1835)



Der Tristan. Die Tristan-Figur.
Ich las zuerst Thomas Manns kleine Erzählung TRISTAN von 1902. Dort summt der zierliche Detlev Spinell nicht gerade den Tristan-Akkord, aber doch das Sehnsuchts-Motiv aus Wagners "Tristan und Isolde". Der Schriftsteller Spinell weilt im Sanatorium "Einfried", weil er das empire des Hauses zur ästhetischen Kur braucht, dessen Schönheit muß er anschauen. Doch hat er auch einen Blick für seine Isolde, die Frau Gabriele Klöterjahn, die an Ehemann und Sohn Klöterjahn sowie an der Luftröhre leidet und deswegen eine Behandlung braucht. Sie spielt Chopins Nocturne Es-Dur op. 9,2: "Unter ihren Händen sang die Melodie ihre letzte Süßigkeit aus"!
Benn nimmt das in seinem Gedicht "Chopin" auf:

Wer je bestimmte Präludien
von ihm hörte,
sei es in Landhäusern oder
in einem Höhengelände
oder aus offenen Terrassentüren
beispielsweise aus einem Sanatorium,
wird es schwer vergessen.

Thomas Manns Erzählung ist eine Prosa-Variation des Platen-Gedichts, der Wagner-Oper und wohl der Abgesang des Motivs in der romantischen Ausformung mit Todestingierung, weil inzwischen unter die Spinells und Klöterjahns gefallen.
Die Wurzeln reichen zurück in das Mittelalter, Gottfried von Straßburg († um 1215) schrieb die erste passionierte "Tistan und Isolde".