Freitag, 12. Dezember 2008
Griechischer Jugendmob randaliert weiter
Für eine Politik des harten Durchgreifens gegen Einzelinteressen: der Soziologe Michael Kelpanides
Griechische Unruhen
„Der Nepotismus ist das Lebensprinzip Griechenlands".
FAZ 12. Dezember 2008 Die griechische Gesellschaft ist eine Anspruchsgesellschaft mit wenig Realitätssinn, sagt Michael Kelpanides, Professor an der Aristoteles-Universität, der in Deutschland durch sein Buch über die Renaissance des westlichen Neomarxismus bekannt wurde. Die jüngsten Unruhen seien keineswegs als Aufstand der Jugend zu bezeichnen.
Die Unruhen in Ihrem Land sind von einigen als „Aufstand der Jugend“ beschrieben worden, in der sich nicht nur die Zerstörungswut einiger Radikaler spiegele, sondern die Perspektivlosigkeit einer gesamten Generation. Ist das so?
Nein. Die Situationsdefinition ist falsch, das Phänomen ist ein anderes, seine Ursachen liegen anderswo. Aber es gibt in den Medien immer schablonenhafte Beschreibungen, auf die man behelfsweise zurückgreifen kann, wenn ein Ereignis schnell in Kategorien gefasst werden soll. Dabei entsteht nach außen der oberflächliche Eindruck, dass man es theoretisch begriffen hat. Eine besonders abgedroschene Schablone ist die von der „Perspektivlosigkeit der Jugend“. So etwas haben wir vor nicht allzu langer Zeit auch bei den Krawallen in Frankreich gehört oder bei den Ausschreitungen in Kopenhagen. Wir hören es, wenn Jugendliche Steine werfen, Feuer legen oder Juweliergeschäfte plündern. „Perspektivlosigkeit“ passt immer.
Nie in der Geschichte ist eine junge Generation in Griechenland unter besseren materiellen Bedingungen aufgewachsen als die jetzige. Dennoch wird über die materielle Lage allenthalben geklagt. Wie passt das zusammen?
Tatsächlich ist es den Jugendlichen, ohne existierende Unterschiede zu ignorieren, in der Geschichte noch nie so gut ergangen wie in den heutigen wohlfahrtsstaatlichen Demokratien des Westens. Das eigentliche Problem ist, dass die Griechen, vom einfachen Bürger bis zum Staat, über ihre Verhältnisse leben. Sie verlangen immer wieder die Angleichung ihrer Löhne und Gehälter an die westeuropäischen, obwohl die Produktivität auf allen Sektoren in Griechenland weit unterhalb der westeuropäischen Mittelwerte liegt.
Die griechische Gesellschaft ist eine Anspruchsgesellschaft mit sehr wenig Realitätssinn. Der individuelle Hang zum Konsum ist nicht zu übersehen. Nicht zu übersehen ist es auch, dass zu jeder Tageszeit und bis in die frühen Morgenstunden die Cafes rund um die Universitäten und in weiteren konzentrischen Kreisen voll besetzt sind. Die Studenten verbraten täglich enorme Summen durch diesen täglichen stundenlangen Aufenthalt in Cafes. Morgens schlafen sie dann lange, so dass vor zwölf Uhr mittags in manchen Fächern kaum Studenten in den Vorlesungen erscheinen.
Es wird hierzulande oft gesagt, das öffentliche Schulsystem stehe vor dem Kollaps oder habe ihn bereits erlitten. Ohne Privatunterricht nach der Schule sei eine gute Schulbildung nicht möglich.
Private Paukkurse am Nachmittag, in den so genannten „Frontistiria“, gab es in Griechenland immer. Ihre Existenz ist ein Beleg für die enorme Ineffizienz des öffentlichen Schulwesens, doch das hat nichts, aber wirklich gar nichts, mit den jetzigen Ausschreitungen zu tun. Vor mehreren Jahren hat übrigens die damalige sozialistische Pasok-Regierung staatlich finanzierten Nachhilfeunterricht angeboten, der aber sang- und klanglos eingegangen ist, weil keiner hinging. Die Schüler, das heißt ihre Eltern, wollten lieber zahlen, damit sie das, was sie bekamen, auch schätzen konnten.
Man sagt ja, dass es sich bei anderen Dingen auch so verhält, zum Beispiel bei der Psychoanalyse: Man muss viel dafür bezahlen, damit man sie ernst nimmt, so dass sie hilft! Aber es ist tatsächlich einzigartig in Europa: Jeder Schüler sitzt fast ebenso lang nachmittags in einem Paukkurs wie vormittags in der Schule. Das ist absurd und völlig unpädagogisch. Niemand konnte dieses System bisher abschaffen. Die ersten, die dagegen Sturm liefen, wären die Lehrer, weil sie mit privatem Unterricht mindestens ein zweites Gehalt verdienen. Da kommen wir wieder zu den Schablonen: Ein europäischer Leser, der so etwas nicht kennt, kann das nicht in seine Kategorien einordnen. Man muss dazu viel mehr wissen über eine Gesellschaft wie die griechische, die ganz anders funktioniert als die westeuropäischen.
Was hat es mit dem Wort von der „700-Euro-Generation“ auf sich, das auch Universitätsabsolventen meint, die zwar ein abgeschlossenes Studium haben, aber keine angemessene Arbeit. Gibt es das Phänomen überhaupt?
Das ist wieder eine falsche Schablone. Das Wort von der „700-Euro-Generation“ übersieht die sehr unterschiedlichen Einkommensquellen der Griechen. Etwa 85 Prozent der Familien besitzen eine oder mehrere Wohnungen oder Häuser. Wer also in der Stadt zur Miete wohnt, bekommt durch die Mieten, die er selbst kassiert, mindestens einen Teil der eigenen Mietzahlungen ersetzt. Fast alle Studierenden erhalten außerdem Geld von ihren Eltern, sogar wenn sie über 25 sind. Das wird für selbstverständlich gehalten und hat mit den familiären und gesellschaftlichen Normen zu tun, die anders sind als die individualistischen Normen westeuropäischer Gesellschaften.
In Athen versuchten Randalierer in das Parlament einzudringen, um es abzubrennen. Dennoch wird geschrieben, dass vielen der jungen Leute Sympathie und Verständnis entgegenschlügen in Griechenland. Stimmt das?
Ich bezweifle, dass viele Leute dieses Randalieren gutheißen. Vorhin bekam ich ein Email von einer Studentin, die entsetzt war über den Schaden, der an dem alten Gebäude der philosophischen Fakultät entstand, wo unsere Vorlesungsräume sind. Wo sind denn die Daten, die belegen, dass den Randalierern große Sympathien entgegen gebracht werden? Das ist Geschwätz, das die tatsächliche Situation verschleiert oder gar zu ihrer Legitimation beiträgt.
An den Aktionen, den Plünderungen, den Raubüberfällen und der sinnlosen Zerstörung wird evident, dass es sich um dumpfe, unartikulierte Gewalt einer unpolitischen Masse handelt, die von wenigen linksradikalen Sympathisanten der Terroristenorganisation „17. November“ angeführt wird. Der „17. November“ existiert zwar nicht mehr, weil seine gealterten Führer aufgegeben haben. Das Sympathisantenpotential ist aber unterschwellig existent und wartet immer auf einen neuen Anlass, um die Masse seiner Mitläufer zu aktivieren. Ferner gibt es Unterstützung von linken Intellektuellen. Deutsche können die Situation am besten mit der Lage der Bundesrepublik in den siebziger und achtziger Jahren vergleichen, als eine nicht unbeträchtliche Zahl von Sympathisanten auf den Straßen gegen die angebliche „Isolationsfolter“ demonstrierte, während die Führung der RAF in Stammheim den nächsten Überfall plante. So wie es damals zahlreiche Sympathisanten gab, gibt es die hier auch. Insgesamt handelt es sich aber um eine kleine Minderheit.
Warum hat man die Randalierer mehrere Nächte lang gewähren lassen?
Weil der griechische Staat eine sehr geringe Handlungskompetenz hat, sowohl in der Politik als auch in der Verwaltung. Im vorletzten Sommer ist der Weltöffentlichkeit auf eklatante Weise die extreme Inkompetenz der Verwaltung offenkundig geworden, als die griechische Feuerwehr des Feuers auf dem Peloponnes nicht Herr werden konnte und die EU die größte Hilfsaktion in ihrer Geschichte startete. Sogar die Russen schickten Löschflugzeuge. Die zentrale Ursache für die Ineffizienz der Verwaltung ist der Nepotismus bei der Stellenbesetzung fast aller Ämter mit inkompetenten Günstlingen etablierter Personen. Hinter einer Fassade formaler Korrektheit ist der Nepotismus das Lebensprinzip der griechischen Gesellschaft, und er lässt sich auch nicht mit Dekreten und Zirkularen abschaffen. Komplizierter verhält es sich mit der politischen Inkompetenz und der Entscheidungsunfähigkeit der Politiker. Das erfordert eigentlich eine politologische Untersuchung.
Es scheint jedenfalls, als befinde sich dieses Land seit Jahren am Rande der Unregierbarkeit, da jede notwendige Reform durch den Widerstand aufgebrachter Netzwerke erstickt wird, die um ihre Vorteile fürchten.
So ist es, und diese politische Handlungsunfähigkeit ist nicht an Personen gebunden. Welche Partei an der Regierung ist und wer staatliche Ämter bekleidet, ist irrelevant, das Ergebnis ist dasselbe. Es gilt laut der Terminologie der Statistik die Nullhypothese - es macht keinen Unterschied. In Griechenland ist der allgemeine politische Konsensus, eine zentrale Variable jedes politischen Systems, sehr niedrig. Eine konzertierte Aktion ist in einem System wie dem griechischen nicht möglich.
In einer funktionsfähigen Konkurrenzdemokratie mit starken Institutionen gibt es eine klare Abgrenzung zwischen Themen, bei denen es Konkurrenz zwischen den Parteien geben darf und denjenigen, die der Konkurrenz enthoben sein müssen. Themen, die eindeutig das öffentliche Interesse betreffen, gehören zur letzteren Kategorie. Wenn in einem solchen Thema eine Regierung hart bleibt, dann darf die jeweilige Opposition nicht daraus Kapital schlagen, indem sie die Regierung für ihre konsequente Haltung kritisiert und der jeweiligen Gruppe, die gegen das öffentliche Interesse verstößt, Versprechen macht, um Stimmen zu gewinnen. Diese Art von Staatsräson, die auch den Medien abverlangt wird, fehlt im griechischen politischen System weitgehend.
Jeder individuelle oder kollektive politische Akteur versucht aus seiner kurzsichtigen Perspektive ohne Rücksicht auf das öffentliche Wohl sein politisches Interesse durchzusetzen. Man erlebt es tagtäglich. Der Regierung, und zwar jeder Regierung, von welcher Partei auch immer, sind unter diesen Umständen die Hände gebunden. Was sie auch tut, sie wird von den anderen Parteien und von den ebenso unverantwortlichen Medien angegriffen. Unter diesen Umständen können die Entscheidungen, die eine Situation verlangt, nicht getroffen werden. Härte gegenüber den Randalierern würde sofort der Regierung angekreidet werden. Umgekehrt wird ihr jetzt Handlungsunfähigkeit vorgeworfen. Zieht man einen Vergleich mit Deutschland, dann merkt man, wie unterschiedlich die Situation ist. Die Sitzung im Bundeskanzleramt, in welcher zwischen Schmidt, Strauß und allen anderen Parteiführern ein Konsensus quer durch alle Parteien erreicht wurde, die Lufthansamaschine in Mogadischu mit der GSG9 zu befreien, wäre im griechischen politischen System nicht möglich. Deswegen lässt man Randalierer mehrere Nächte lang gewähren.
Das Athener Stadtviertel Exarchia, das in manchen Kommentaren und Berichten geradezu als Metapher auftaucht, wird oft als „Staat im Staate“ bezeichnet. Ist das so, sagt das gar etwas über den Zustand Griechenlands aus?
In gewisser Weise stellt das Exarchia-Viertel einen rechtsfreien Raum dar, nicht viel anders, als einst die Hafenstraße in Hamburg.
Ist die griechische Polizei eine schlechte ausgebildete Prügeltruppe, oder sind Polizisten im Gegenteil die Prügelknaben der Nation, über die sich jeder ungestraft lustig machen darf?
Die Ausbildung der Polizei weist zwar Mängel auf, aber der wichtigste Grund für ihre Unzulänglichkeit ist ein anderer. Die Polizei ist tatsächlich der permanente Prügelknabe der Politiker und Journalisten. Wie sie auch handelt, es ist immer falsch, entweder zu hart oder zu weich. Lob bekommt sie nie. Dieses Schauspiel der Politiker und Journalisten, die nur aus ihrer eigenen Ameisenperspektive heraus handeln und das Allgemeinwohl nicht zur Kenntnis nehmen, muss auf die Polizei zwangsläufig demoralisierend wirken. Unter diesen Bedingungen weiß weder die Führung der Polizei noch der einzelne Polizist, warum er seinen Kopf hinhalten muss. Also versucht er, sich mit möglichst geringem Schaden aus der Sache herauszuhalten.
Sie sagten unlängst, die Präsenz militanter Sympathisanten linksextremistischer Gruppen, etwa des „17. November“, sei an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki täglich zu spüren. Wie wird das deutlich?
Jeden Morgen wirken die Wände der Universitätsgebäude wie anarchistische Wandzeitungen, auf denen Drohungen, Beschimpfungen, Anleitungen zum „Kampf“ und Ähnliches zu lesen sind. Tätliche Angriffe sind keineswegs selten. Außerdem ist es eine makabre Tradition geworden, dass die Sympathisanten der Terroristen jedes Jahr zum 17. November Zerstörungen anrichten. Es ist der Jahrestag des Überfalls der Junta auf die Polytechnische Hochschule in Athen, der zu Ehren der getöteten Studenten zum Feiertag erklärt wurde. Nie weiß man, ob sie dieses Jahr nicht auch die eigenen Räume und Computer an der Universität zerstören werden. So sieht es aus.
Sie haben auch gesagt, die zerschlagene Terrorgruppe „17. November“ genieße ein diffuses Unterstützungspotential an den Universitäten und bei Intellektuellen. Woher kommt das? Kann man gar sagen, der „17. November“ sei gesellschaftlich akzeptiert?
In Griechenland ist das politische Spektrum im Verhältnis zu den westeuropäischen Ländern nach links verschoben. In oberflächlicher Betrachtung merkt man das nicht, denn immerhin gibt es hier zwei große demokratische Parteien, die gemeinsam bei Wahlen bis zu 80 Prozent der Stimmen erhalten. Analysiert man aber die Positionen der griechischen Parteien, stellt man fest, dass sie von den Positionen ihrer Schwesterparteien in den westeuropäischen Ländern stark abweichen. Griechenland war zum Beispiel das einzige Land der EU, das das Milosevic-Regime bis zum Schluss unterstützt hat. Sehr stark ausgeprägt ist nach wie vor auch der Antiamerikanismus.
Der „17. November“ hat viele Morde und Überfälle an Amerikanern verübt und genoss dabei zumindest die passive Hinnahme seitens eines gewiss nicht kleinen Teils der Bevölkerung. Er hat in seinen Flugblättern oft Überfälle auf Amerikaner damit gerechtfertigt, Druck ausüben zu wollen, damit die amerikanische Militärbasis in Nea Makri bei Athen aufgelöst wurde. Das war lange Zeit, bis es tatsächlich erfolgte, auch ein Ziel der Pasok-Regierung von Andreas Papandreou. So wusste der „17. November“ bei solchen Aktionen, dass er in Übereinstimmung mit den Einstellungen zumindest der Pasok-Anhänger handelte, und das hat er clever genutzt. Das ist auch bei anderen Themen so gewesen.
Ein wichtiges Thema der griechischen Politik ist seit Jahren die Reform des Bildungssystems. Hat die Regierung Karamanlis seit 2004 dabei etwas erreicht?
Sie hat versucht, die Fehler eines Gesetzes der Pasok-Regierung von 1982 auszumerzen, aber das ist ihr nur teilweise gelungen, weil die Interessen, die durch dieses Gesetzes entstanden, übermächtig sind. Das Gesetz von 1982 hat die Lehrstühle abgeschafft und Fachbereichsorganisation eingeführt. Es hat die Habilitation abgeschafft und faktisch die Berufung zu einer fast beamtenrechtlichen Beförderung degradiert. Es entstand ein System, dass die Konkurrenz praktisch ausschaltete.
Nach 1982 haben spätere Pasok-Regierungen diese Mängel ohne sonderlichen Erfolg zu mindern versucht. Einige Details, die nach dem EU-Recht eingeführt werden mussten, wurden angepasst, doch insgesamt hat es keinen wirkliche Veränderungen gegeben. Die Statik und die interne Trägheit des Bildungssystems siegten. Die Jüngeren, die nun ohne externe Konkurrenz mit der etablierten Automatik der Beamtenbeförderung mit praktischer Gewissheit die nächsten Stufen hinaufsteigen werden, wollen natürlich nichts von der Änderung und dem Verlust ihrer Privilegien hören. Sie haben ihre Schäfchen ins Trockene gebracht und kümmern sich nun wenig um die Produktion neuen Wissens. Ich halte diese Abschaffung der Konkurrenz an den Hochschulen für eine gravierende Entwicklung, die sich langfristig verheerend auf die Qualität der griechischen Hochschulen auswirken wird. Nicht besser stehen die Dinge im Sekundarschulwesen, wenn auch aus anderen Gründen. Das Sekundarschulcurriculum war von Anfang an mit einem enormen Ballast an Altgriechisch-Stunden befrachtet, und trotz aller Reformversuche ist es, von kleinen Änderungen abgesehen, dabei geblieben.
Viel wird nun von vorzeitigen Neuwahlen geredet und von einem Machtwechsel. Besteht die geringste Aussicht, dass Griechenland unter einem Ministerpräsidenten Papandreou und der Pasok vorankäme in den ungelösten Fragen der Bildungspolitik, bei der Reform des Rentensystems oder des Gesundheitswesens?
Ich glaube nicht, dass in der jetzigen Konstellation, mit zerrütteten Staatsfinanzen, eine Pasok-Regierung irgendetwas besser machen könnte. Ich vertrete auch hier die Nullhypothese. Das einzige, was nützen könnte, wäre eine harte Austeritätspolitik und eine Politik des harten Durchgreifens gegen die ausufernden Partikularinteressen. Aber dazu fehlen sowohl die gesellschaftlichen als auch die politischen Voraussetzungen.
Die Fragen stellte Michael Martens.
Kfz.-Schikanesteuern und Abzockabgaben, Gea schließt RUHRZINK
- AUTOS: Die "Fachleute" schwätzen, daß der Kortex kracht; die "Spritschlucker" sollen das Problem bei GM und anderswo sein, dabei kann man an jeder Ecke weltweit kleine Chevys und Fiestas und Chryslers kaufen; auch Toyota kürzt die Produktion und erleidet einen Gewinn- und Umsatzsturz und wäre seit langem pleite, wenn Toyota vom Inlands-Absatz leben müßte wie GM in den USA; der reife amerikanische Automarkt ist seit langem problematisch, weil die US-Arbeiter viel, viel teurer arbeiten als die japanischen; als Wagoner GM-Chef wurde, sah es bei Chrysler und GM schon dunkel aus; das gleiche Kostenproblem gilt für Saab und Volvo in Schweden, wo im Bereich Göteborg gerade etwa 12000 Arbeitsplätze verlorengingen, weil die wahnsinnig verwöhnten Arbeiter keine sinnvolle Lohnanpassung anboten und die Politik an den wahnsinnig hohen Steuern auch nichts ändern will. Wer der europäisch-amerikanischen Autoindustrie mit ihren überhöhten Löhnen helfen will, braucht nur die vielen Kfz.-Schikanesteuern und Abzockabgaben zu streichen! Einfach den Staatsstiefel von der Gurgel nehmen!
- Konjunktursteuerung: "Standpunkt: Carl Christian von Weizsäcker (2004 – today Senior Research Fellow, Max Planck Institute for Research on Collective Goods, WD)
Ein Vorschlag zur Konjunktursteuerung . Die gegenwärtige Finanzmarktkrise und die ihr folgende Tendenz zur allgemeinen Rezession der Weltwirtschaft veranlassen die Politik, eines ihrer ... daß man den Einkommensteuersatz in einer Art gesetzlichem Automatismus an den Zinsendienst des staatlichen Gesamthaushalts anpaßt. ... bei sinkenden Renditen für Staatsanleihen und andere Staatsschulden die Einkommensteuer automatisch gesenkt wird, dann mildert das die Nachfragelücke ..." FAZ 18.11.08
- Gea schließt RUHRZINK nach Verlustjahren wg. zu hoher Energiepreise - scho vor einem Jahr mußte aus gleichem Grund die Alu-Hütte Stade mit 6000 Arbeitsplätzen schließen.
- Blix: " ... Sie erwarten weltweit eine Rückkehr der zur Atomenergie. Weshalb?
Wir brauchen in vielen Staaten mehr Energie, und wir sind über die Erderwärmung beunruhigt. Wind und Sonne hat man überall, man muss sie aber „ernten“. Bei Uran bekommt man 50.000 Kilowattstunden aus einem Kilogramm Uran. In der Zukunft ist auch der Thoriumkreislauf interessant, da weniger Brennstoff gebraucht wird und es mehr Thorium als Uran gibt."
Irans Atomprogramm. Blix: „Vorbedingungen zu stellen ist unklug“ FAZ 28.11.08 ( Hans Blix war Präsident der IAEA und Leiter des UN-Waffeninspektionsprogramms im Irak.)
- Fanatische Wohlstandsdestruktion: " Ein Milliardengrab an der Donau .
Das einzige Kernkraftwerk, das nie in Betrieb ging / Von Michaela Seiser
ZWENTENDORF, 8. Dezember. Zwentendorf ist in Österreich ein Reizwort. In dieser 60 Kilometer nördlich von Wien gelegenen Marktgemeinde an der ..." FAZ 9.12.
Finanzkrise: systemische Risiken
Wojciech Fangor
'Finanzkrise. „Märkte sind grundsätzlich wild “
Stefan Bornholdt. FAZ 08. Dezember 2008 Die Akteure in der Finanzwelt haben viel zu lange nur auf ihre eigenen, individuellen Risiken geschaut. Dabei wurde die Frage vernachlässigt, an welchem Punkt das gesamte System ins Wanken kommt. Die Erforschung solcher systemischen Risiken ist auch in der Finanzwelt dringend erforderlich, sagt der Bremer Physikprofessor Stefan Bornholdt.
Herr Professor Bornholdt, kann man die internationale Finanzwelt mit einem komplexen naturwissenschaftlichen System überhaupt vergleichen?
Man kann die Finanzwelt sicherlich nicht so im Detail beschreiben wie ein physikalisches Modell. Aber es gibt Prinzipien und Phänomene, die man in realen sozioökonomischen Systemen beobachten kann, etwa den Herdentrieb oder Lawineneffekte, die aus physikalischen Systemen bekannt sind. Wir können daher durchaus Abschätzungen finden für verschiedene Verhaltensweisen auch in komplexen Finanzsystemen.
Eine Lawine unterliegt aber Naturgesetzen, das Finanzsystem dagegen menschlichen Verhaltensweisen, die nicht kalkulierbar sind.
Ich glaube nicht, dass im Wirtschaftsleben alles unkalkulierbar ist. Nehmen Sie das Beispiel der großen Stromausfälle in Nordamerika vor einigen Jahren. Das war auch ein Lawineneffekt, und er ließ sich ganz einfach darauf zurückführen, dass jedes einzelne Kraftwerk ganz egoistisch seine Stromproduktion verwaltete. Dabei wurden die Kapazitäten im Lauf der Zeit so heruntergefahren, dass bei einem plötzlichen Anstieg der Nachfrage die noch vorhandene Überproduktion nicht ausreichte, um lokale Engpässe unter benachbarten Kraftwerken immer ausgleichen zu können. Als die vorhandene Produktionsmenge also unter einen kritischen Wert fiel, war ein Lawineneffekt möglich, der schließlich über das ganze Land raste. Und hier tragen Physiker im Moment dazu bei, Sicherheitsmargen für die Stromproduktion auszurechnen, die garantieren, dass es keinen landesweiten Stromausfall mehr geben wird.
Das heißt, Physiker könnten Risikopuffer für Banken berechnen, die künftige Finanzkrisen dieser Art vermeiden würden?
Nach den Erfahrungen, die wir bei der Berechnung für Stromausfallrisiken gemacht haben, würde sich ein solcher Ansatz grundsätzlich auch in der Finanzwelt lohnen. Es geht darum, die systemischen Risiken besser zu erfassen. Die Risikoabschätzung der Banken schon beim einzelnen Finanzprodukt erscheint nicht so stringent, wie man es in naturwissenschaftlichen Systemen gewohnt ist, wo jede Hypothese und jede Theorie sehr streng empirisch nachgeprüft werden. In der Finanzwelt sind dagegen viele Axiome aus vergangenen Jahrzehnten noch gang und gäbe, die nie so streng an der Empirie geprüft wurden, wie es notwendig gewesen wäre. Das Optionspreismodell von Black und Scholes aus dem Jahr 1973 wird immer noch breit angewandt, obwohl es auf falschen Annahmen über die Häufigkeit von großen Preisänderungen beruht. In unserem naturwissenschaftlichen Alltag hätten wir ein solches Modell längst über Bord geworfen.
Was fehlt zudem?
Das systemische Risiko in der Finanzwelt wird viel zu wenig erfasst. Wie können sich Unsicherheiten und falsche Risikobewertungen zu einer Lawine im Gesamtsystem aufbauen? Diese Frage ist theoretisch noch weit weniger untersucht als die Risiken eines einzelnen Derivats.
Gibt es da nicht das grundlegende Problem, dass Naturwissenschaftler die Dinge möglichst vollständig erklären wollen, während Finanzmarktakteure ja gerade davon leben, dass Informationen unvollständig sind oder nicht jeder dasselbe weiß?
Jede Bank und jeder Finanzakteur haben ein Interesse daran, für sich selbst so viele Informationen wie möglich zu besitzen. Jeder will den Preis richtig einschätzen können. Und Märkte sind grundsätzlich wild und zum Teil chaotisch. Es wäre ein frommer Wunsch, zu meinen, dass man ein so dynamisches System ins Gleichgewicht bekommen kann. Es geht eher darum, einerseits das Ungleichgewicht optimal auszunutzen, um damit Geld zu verdienen. Diesen Teil beherrschen die Finanzakteure auch ganz gut. Aber andererseits muss darauf geachtet werden, wann das gesamte System kippen kann in einen Modus, wo niemand mehr gut damit leben kann. Das sind die systemischen Risiken. Im gegenwärtigen Zustand, wo jeder Akteur nur seine eigene Verhaltensweise optimiert, führt die Summe der Verhaltensweisen nicht dahin, dass das gesamte System stabilisiert wird. Deshalb müssten separate Mechanismen dafür sorgen, dass die Gefahren frühzeitig erkannt und bekämpft werden. Die Anzeichen für die Finanzmarktkrise waren ja frühzeitig sichtbar, aber die lokalen Optimierungsstrategien der einzelnen Institute haben das lange ignoriert.
Das heißt: Die systemischen Risiken von Finanzmärkten sind nicht ausreichend erforscht, und deshalb fehlen auch die richtigen Handlungsanweisungen?
So ist es. Man brauchte eine ganz andere Fragestellung der Forschung. Es gibt durchaus Physiker, die zu Banken gegangen sind, aber dort müssen auch sie wieder im Käfig der klassischen Ansätze operieren. Es sollte aber vielmehr um die Frage gehen, an welchem Punkt ein System in einen ganz anderen, ungewollten Modus rutschen kann. So wie ein magnetisches Stück Eisen, das beim Erwärmen plötzlich bei einer ganz bestimmten Temperatur seine Magnetkraft verliert. Wann genau dies passiert, kann das einzelne Atom nicht verstehen, weil es eine Systemeigenschaft des Zusammenwirkens aller Atome ist. Genauso nehme ich es vielen Bankmanagern ab, dass sie den Zeitpunkt und die Heftigkeit der Krise nicht vorhergesehen haben. Ein Einzelakteur in einem komplexen System kann das nicht überblicken. Selbst einfache Geldanlagestrategien können in ihrem Zusammenwirken in einem komplexen Netzwerk zu überraschenden Reaktionen führen.
Wenn Sie jetzt den Auftrag bekämen, die bestehende Weltfinanzordnung zu überprüfen, wie würden Sie als Wissenschaftler vorgehen? Gäbe es sofortige Handlungsanweisungen?
Wir haben derzeit ein System, in dem die Banken sich gegenseitig nicht mehr vertrauen und kein Geld mehr leihen. Diese Vorsicht gegenüber Risikobewertungen der anderen Institute ist verständlich, denn schließlich wurden Finanzprodukte als risikoarm bewertet, die aus vielen kleinen Derivaten zusammengesetzt waren, die aber mit einem hohen Risiko behaftet waren. Die Konsequenz daraus wäre zunächst einmal, die Risikoberechnungen und die Preisfindung auf einen sehr, sehr gründlichen Prüfstand zu stellen. Wenn man als Physiker ein Modell baut, dann wird extrem selektiert, welche Theorien dabei zur Anwendung kommen dürfen. Die Finanzwelt ist ein großes experimentelles System, in dem man durchaus strikt naturwissenschaftlich vorgehen kann, um Risikobewertungen zu verbessern. Dies würde nicht nur das Vertrauen zwischen den Finanzinstituten verbessern, sondern auch die Basis bilden, um die systemischen Risiken internationaler Finanzmärkte im Detail zu untersuchen.
Trauen sich Naturwissenschaftler denn zu, ihre eigenen komplexen Systeme vollständig zu verstehen, oder bleibt dabei immer ein gewisses Maß an Restunsicherheit? Und gilt das für die Finanzwelt nicht erst recht?
Bei einem komplexen System geht man in der Physik nicht so vor wie bei einem einfachen Laborexperiment. Deshalb zielt man auch nicht darauf, ein komplexes System genauso exakt vorherzusagen wie etwa die Wurfbahn eines Steines. Aber man kann ganz spezifische Phänomene eines komplexen Systems isolieren und beschreiben. Dabei hilft, dass man in einem solchen Modellbau auch viele Details vernachlässigen kann. Die Kunst besteht darin, die relevanten Details, wie zum Beispiel die Vernetzungsstruktur eines Systems, zu durchschauen, um damit zum Beispiel den Einsatzpunkt möglicher Lawinen vorherzusagen.
Wie bei der Vorhersage des Wetters?
Beim Wetter funktioniert die Modellierung nur unzulänglich, weil die Klimazusammenhänge so hoch komplex sind, dass langfristige Vorhersagen nie möglich sein werden. Den Brückenschlag zur Finanzwelt kann man aber zum Beispiel mit Magnetmodellen machen. Einzelne Teilchen ziehen sich gegenseitig an. Sie stehen für die Händler, die jeweils das machen, was andere Marktteilnehmer auch tun, bis eine neue Information auf den Markt kommt. Daraus lassen sich am Computer statistische Zeitreihen erstellen, die sich ganz ähnlich verhalten wie Zeitreihen von Aktienindizes. Diese Modelle liefern etwas, was klassische Gleichgewichtsmodelle nicht liefern können. Sie können zum Beispiel den Herdentrieb in einer Simulation abbilden. Und wenn man solche statistischen Eigenschaften von Gesamtsystemen versteht, dann kann man auch die Preismodelle und die Risikoabschätzung für einzelne Finanzprodukte verbessern.
Wenn Sie sich die bisherige Entwicklung der Finanzmarktkrise anschauen, graut es Ihnen da vor den nächsten Monaten?
Mich hat erstaunt und erfreut, wie schnell die Politik reagiert und die richtigen Kurzfristmaßnahmen ergriffen hat. Deshalb graut es mir überhaupt nicht vor 2009. Die zentrale Frage ist nun allerdings, wie man die nächste Krise verhindern kann.'
Das Gespräch führte Holger Paul.
'Finanzkrise. „Märkte sind grundsätzlich wild “
Stefan Bornholdt. FAZ 08. Dezember 2008 Die Akteure in der Finanzwelt haben viel zu lange nur auf ihre eigenen, individuellen Risiken geschaut. Dabei wurde die Frage vernachlässigt, an welchem Punkt das gesamte System ins Wanken kommt. Die Erforschung solcher systemischen Risiken ist auch in der Finanzwelt dringend erforderlich, sagt der Bremer Physikprofessor Stefan Bornholdt.
Herr Professor Bornholdt, kann man die internationale Finanzwelt mit einem komplexen naturwissenschaftlichen System überhaupt vergleichen?
Man kann die Finanzwelt sicherlich nicht so im Detail beschreiben wie ein physikalisches Modell. Aber es gibt Prinzipien und Phänomene, die man in realen sozioökonomischen Systemen beobachten kann, etwa den Herdentrieb oder Lawineneffekte, die aus physikalischen Systemen bekannt sind. Wir können daher durchaus Abschätzungen finden für verschiedene Verhaltensweisen auch in komplexen Finanzsystemen.
Eine Lawine unterliegt aber Naturgesetzen, das Finanzsystem dagegen menschlichen Verhaltensweisen, die nicht kalkulierbar sind.
Ich glaube nicht, dass im Wirtschaftsleben alles unkalkulierbar ist. Nehmen Sie das Beispiel der großen Stromausfälle in Nordamerika vor einigen Jahren. Das war auch ein Lawineneffekt, und er ließ sich ganz einfach darauf zurückführen, dass jedes einzelne Kraftwerk ganz egoistisch seine Stromproduktion verwaltete. Dabei wurden die Kapazitäten im Lauf der Zeit so heruntergefahren, dass bei einem plötzlichen Anstieg der Nachfrage die noch vorhandene Überproduktion nicht ausreichte, um lokale Engpässe unter benachbarten Kraftwerken immer ausgleichen zu können. Als die vorhandene Produktionsmenge also unter einen kritischen Wert fiel, war ein Lawineneffekt möglich, der schließlich über das ganze Land raste. Und hier tragen Physiker im Moment dazu bei, Sicherheitsmargen für die Stromproduktion auszurechnen, die garantieren, dass es keinen landesweiten Stromausfall mehr geben wird.
Das heißt, Physiker könnten Risikopuffer für Banken berechnen, die künftige Finanzkrisen dieser Art vermeiden würden?
Nach den Erfahrungen, die wir bei der Berechnung für Stromausfallrisiken gemacht haben, würde sich ein solcher Ansatz grundsätzlich auch in der Finanzwelt lohnen. Es geht darum, die systemischen Risiken besser zu erfassen. Die Risikoabschätzung der Banken schon beim einzelnen Finanzprodukt erscheint nicht so stringent, wie man es in naturwissenschaftlichen Systemen gewohnt ist, wo jede Hypothese und jede Theorie sehr streng empirisch nachgeprüft werden. In der Finanzwelt sind dagegen viele Axiome aus vergangenen Jahrzehnten noch gang und gäbe, die nie so streng an der Empirie geprüft wurden, wie es notwendig gewesen wäre. Das Optionspreismodell von Black und Scholes aus dem Jahr 1973 wird immer noch breit angewandt, obwohl es auf falschen Annahmen über die Häufigkeit von großen Preisänderungen beruht. In unserem naturwissenschaftlichen Alltag hätten wir ein solches Modell längst über Bord geworfen.
Was fehlt zudem?
Das systemische Risiko in der Finanzwelt wird viel zu wenig erfasst. Wie können sich Unsicherheiten und falsche Risikobewertungen zu einer Lawine im Gesamtsystem aufbauen? Diese Frage ist theoretisch noch weit weniger untersucht als die Risiken eines einzelnen Derivats.
Gibt es da nicht das grundlegende Problem, dass Naturwissenschaftler die Dinge möglichst vollständig erklären wollen, während Finanzmarktakteure ja gerade davon leben, dass Informationen unvollständig sind oder nicht jeder dasselbe weiß?
Jede Bank und jeder Finanzakteur haben ein Interesse daran, für sich selbst so viele Informationen wie möglich zu besitzen. Jeder will den Preis richtig einschätzen können. Und Märkte sind grundsätzlich wild und zum Teil chaotisch. Es wäre ein frommer Wunsch, zu meinen, dass man ein so dynamisches System ins Gleichgewicht bekommen kann. Es geht eher darum, einerseits das Ungleichgewicht optimal auszunutzen, um damit Geld zu verdienen. Diesen Teil beherrschen die Finanzakteure auch ganz gut. Aber andererseits muss darauf geachtet werden, wann das gesamte System kippen kann in einen Modus, wo niemand mehr gut damit leben kann. Das sind die systemischen Risiken. Im gegenwärtigen Zustand, wo jeder Akteur nur seine eigene Verhaltensweise optimiert, führt die Summe der Verhaltensweisen nicht dahin, dass das gesamte System stabilisiert wird. Deshalb müssten separate Mechanismen dafür sorgen, dass die Gefahren frühzeitig erkannt und bekämpft werden. Die Anzeichen für die Finanzmarktkrise waren ja frühzeitig sichtbar, aber die lokalen Optimierungsstrategien der einzelnen Institute haben das lange ignoriert.
Das heißt: Die systemischen Risiken von Finanzmärkten sind nicht ausreichend erforscht, und deshalb fehlen auch die richtigen Handlungsanweisungen?
So ist es. Man brauchte eine ganz andere Fragestellung der Forschung. Es gibt durchaus Physiker, die zu Banken gegangen sind, aber dort müssen auch sie wieder im Käfig der klassischen Ansätze operieren. Es sollte aber vielmehr um die Frage gehen, an welchem Punkt ein System in einen ganz anderen, ungewollten Modus rutschen kann. So wie ein magnetisches Stück Eisen, das beim Erwärmen plötzlich bei einer ganz bestimmten Temperatur seine Magnetkraft verliert. Wann genau dies passiert, kann das einzelne Atom nicht verstehen, weil es eine Systemeigenschaft des Zusammenwirkens aller Atome ist. Genauso nehme ich es vielen Bankmanagern ab, dass sie den Zeitpunkt und die Heftigkeit der Krise nicht vorhergesehen haben. Ein Einzelakteur in einem komplexen System kann das nicht überblicken. Selbst einfache Geldanlagestrategien können in ihrem Zusammenwirken in einem komplexen Netzwerk zu überraschenden Reaktionen führen.
Wenn Sie jetzt den Auftrag bekämen, die bestehende Weltfinanzordnung zu überprüfen, wie würden Sie als Wissenschaftler vorgehen? Gäbe es sofortige Handlungsanweisungen?
Wir haben derzeit ein System, in dem die Banken sich gegenseitig nicht mehr vertrauen und kein Geld mehr leihen. Diese Vorsicht gegenüber Risikobewertungen der anderen Institute ist verständlich, denn schließlich wurden Finanzprodukte als risikoarm bewertet, die aus vielen kleinen Derivaten zusammengesetzt waren, die aber mit einem hohen Risiko behaftet waren. Die Konsequenz daraus wäre zunächst einmal, die Risikoberechnungen und die Preisfindung auf einen sehr, sehr gründlichen Prüfstand zu stellen. Wenn man als Physiker ein Modell baut, dann wird extrem selektiert, welche Theorien dabei zur Anwendung kommen dürfen. Die Finanzwelt ist ein großes experimentelles System, in dem man durchaus strikt naturwissenschaftlich vorgehen kann, um Risikobewertungen zu verbessern. Dies würde nicht nur das Vertrauen zwischen den Finanzinstituten verbessern, sondern auch die Basis bilden, um die systemischen Risiken internationaler Finanzmärkte im Detail zu untersuchen.
Trauen sich Naturwissenschaftler denn zu, ihre eigenen komplexen Systeme vollständig zu verstehen, oder bleibt dabei immer ein gewisses Maß an Restunsicherheit? Und gilt das für die Finanzwelt nicht erst recht?
Bei einem komplexen System geht man in der Physik nicht so vor wie bei einem einfachen Laborexperiment. Deshalb zielt man auch nicht darauf, ein komplexes System genauso exakt vorherzusagen wie etwa die Wurfbahn eines Steines. Aber man kann ganz spezifische Phänomene eines komplexen Systems isolieren und beschreiben. Dabei hilft, dass man in einem solchen Modellbau auch viele Details vernachlässigen kann. Die Kunst besteht darin, die relevanten Details, wie zum Beispiel die Vernetzungsstruktur eines Systems, zu durchschauen, um damit zum Beispiel den Einsatzpunkt möglicher Lawinen vorherzusagen.
Wie bei der Vorhersage des Wetters?
Beim Wetter funktioniert die Modellierung nur unzulänglich, weil die Klimazusammenhänge so hoch komplex sind, dass langfristige Vorhersagen nie möglich sein werden. Den Brückenschlag zur Finanzwelt kann man aber zum Beispiel mit Magnetmodellen machen. Einzelne Teilchen ziehen sich gegenseitig an. Sie stehen für die Händler, die jeweils das machen, was andere Marktteilnehmer auch tun, bis eine neue Information auf den Markt kommt. Daraus lassen sich am Computer statistische Zeitreihen erstellen, die sich ganz ähnlich verhalten wie Zeitreihen von Aktienindizes. Diese Modelle liefern etwas, was klassische Gleichgewichtsmodelle nicht liefern können. Sie können zum Beispiel den Herdentrieb in einer Simulation abbilden. Und wenn man solche statistischen Eigenschaften von Gesamtsystemen versteht, dann kann man auch die Preismodelle und die Risikoabschätzung für einzelne Finanzprodukte verbessern.
Wenn Sie sich die bisherige Entwicklung der Finanzmarktkrise anschauen, graut es Ihnen da vor den nächsten Monaten?
Mich hat erstaunt und erfreut, wie schnell die Politik reagiert und die richtigen Kurzfristmaßnahmen ergriffen hat. Deshalb graut es mir überhaupt nicht vor 2009. Die zentrale Frage ist nun allerdings, wie man die nächste Krise verhindern kann.'
Das Gespräch führte Holger Paul.
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