Donnerstag, 31. Oktober 2013

Glaube benebelt leicht das Gehirn

"In der Schule lernt man unter einer Glocke, die von Natur und Gesellschaft isoliert. Von beidem haben auch die Lehrer fast nichts erfahren, denn sie haben immer in den Isolierstationen Schule und Hochschule gelebt, wie ihre Lehrer und Professoren. Und deren Lehrer und Professoren, die didaktische Inzucht ist viele Generationen alt.
Die Schulen befriedigen nicht Lernbedarf, sondern Unterrichtsbedarf. Diese beiden stimmen nur gelegentlich überein. … die Unbegründetheit schulischen Lernens ist in vielen Fällen offensichtlich."

Wilfried Meyer, Wollt ihr die totale Schule?, 1984, S. 16f. (Meyer war Gesamtschulrektor)



"Denn die Obrigkeit trägt das Schwert nicht umsonst, sondern sie ist Dienerin Gottes, um an dem Rache und Strafe zu vollziehen, der Böses tut. Doch ist es für die Untertanen auch tröstlich zu wissen, dass Gott Gefallen am Gehorsam gegenüber der Obrigkeit hat, und dass sie, was sie der Obrigkeit Gutes tun, Gott erweisen.Denn Paulus schreibt: 'Jedermann sei der Obrigkeit untertan, die über ihn herrscht.' Deshalb kann nur der Teufel von denen Besitz ergriffen haben, die solche Worte Gottes nicht achten und sich dennoch auf das Evangelium berufen."


In diesem Zitat Melanchthons kommt die staatsgläubige Seite des Luthertums zum Vorschein. Sie verstärkt sich im Laufe der Zeit im einflußreichen Denken Hegels und über den Ausbau des Schulsystems, in dem sich der Protestantismus und der Staat in einem Bündnis um die Gehirnwäsche der Jugend kümmern. Aus der Wohltat einer vierjährigen Schule wird die Plage von 13 (!) Jahren Schule und Zwangslernen. Mit 12 Jahren ging Melanchthon an die Universität Heidelberg, mit 15 wechselte er nach Tübingen und mit 21 hielt er seine Antrittsvorlesung in Wittenberg. Er konnte sich nach Maßgabe seiner Begabung entwickeln und wurde nicht durch totes Katalogwissen gejagt und mit lernunwilligen Mitschülern jahrelang zusammengepfercht. Das aufgeblähte Schulsystem heute behindert gute Begabungen und verzögert bei allen die Reifung.

Mittwoch, 30. Oktober 2013

Heller Kopf, kleiner Grieche







Melanchthon (1497-1560), gemalt von Lucas Cranach d.Ä.



"Die Studien, die Verstand und Sitten bilden sollten, sind vernachlässigt, von umfassendem Wissen ist nichts vorhanden; was man Philosophie nennt, ist leerer, unfruchtbarer Trug, der nur Zank gebiert."
Ja, ja, nicht falsch, Philipp, das gilt auch heute noch. Heute dürftest du aber Schwartzerdt heißen, ohne den Namen übertragen zu müssen ins gelehrte MELANCHTHON. Man kann es auch lockerer halten mit den Namen, das würde ich als Fortschritt werten. Namen sind ohnehin Schall und Rauch. Apropos FORTSCHRITT. Diesen Begriff verwendete Melanchthon tatsächlich vor rund 500 Jahren:
"Ich verfechte diese schönen Studien gegen alle diejenigen, dies sich durch Betrug angemaßt haben, die Menschen in ihrem Fortschritt zu hemmen.”
Eine frühere Verwendung dieses Begriffs im Deutschen kenne ich nicht. Die Scholastik war auf Abschreiben, unsinnige Dispute und Tradition eingestellt. Hier, bei Melanchthon, geht es um die humanistischen Studien, später humaniora geheißen, als neues Bildungsprogramm. Griechisch sollen die Studenten lernen, um auf die Quellen der Antike direkt zugreifen zu können, Hebräisch zudem für die authentischere Rezeption der biblischen Texte.
Bei dem Humanisten und Reformator Melanchthon gibt es also eine doppelte Rückwendung, die sich auch doppelt fruchtbar auswirken sollte, in der Kenntnis antiker Autoren einmal, und in stärkerer philologischer Gewitztheit. Beides mündete in das protestantische Bildungsprogramm, Lesen und Schreiben sollten alle lernen, um die Bibel lesen zu können. Nicht mehr die katholischen Pfaffen sollten allein über dieses Monopol verfügen. Auch das bedeutete Fortschritt, nämlich für die Kompetenz des Individuums, das dann auch realitätstüchtige Texte lesen konnte. In dieser Hinsicht blieb Melanchthon aber naiv wie ein Kind: er glaubte an einen Gott, einen Erlöser namens Jesus.

Dienstag, 29. Oktober 2013

Whom the bell tolls - Sommer- oder Winterzeit?








Wann schlägt die Stunde denn jetzt? 



Wohl dem, der Ende Oktober nur eine einzige analoge Uhr besitzt und keine Kinder und Kühe. Er braucht nur zwei Uhren umzustellen, die am Handgelenk und die innere. Die mechanische Uhr zeigt schnell die Winterzeit an, aber die biologische braucht dafür ein paar Tage oder sogar länger. Bei den Kindern und den Kühen wächst das Problem mit ihrer Zahl. Und die Besitzer vieler analoger Uhren sind entweder einen ganzen Tag mit der Umstellung beschäftigt oder stoßen noch wochenlang auf eine Sommerzeit-Uhr und sind verunsichert, was die Stunde geschlagen hat.

Wenn Millionen Bürger in Europa mit diesem Spielchen beschäftigt werden, dann stellt sich die Frage, warum nicht zurückgekehrt wird zu einer durchlaufenden Zeit. Das Hauptargument seinerzeit war die erwartete Energieeinsparung. Dieser Effekt ist ausgeblieben und war auch kaum stichhaltig, denn zu diesem Ziel gibt es viele andere Mittel. Die Rückkehr wird offenbar blockiert von der Trägheit der Brüsseler Bürokratie. Sie kümmert sich immer gern um neue Themen: Ölkännchen in Restaurants, Glühbirnen, Staubsauger mit hoher Wattzahl und dergleichen mehr. Millionen Uhren umstellender Bürger, Millionen Kinder und Kühe finden sie einfach zu banal.

Montag, 28. Oktober 2013

Erhellende Hinweise erbeten





Frechheit siegt - 
Merkel, geb. Kasner, präsentiert sich mit Adenauer.



Gerd Langguth, verstorbener Bonner Politologe, ehemaliger RCDS-Vorsitzender und CDU-Politiker, verfaßte 2005 eine Merkel-Biographie. 
Nie sei ein Politiker so schnell aufgestiegen wie Merkel, schrieb er, und dabei sei sie dem großen Publikum weitgehend unbekannt geblieben. Dem wollte er abhelfen, offenbar wohl auch aus eigenem Informationsbedürfnis. Die Parteifreundin Merkel gewährte Langguth auch ein längeres Gespräch, bei dem sie jedoch Zurückhaltung übte. Dies betraf anscheinend besonders ihre Rolle in der Honecker-Diktatur und die Gesinnung ihres Vaters, des Pastors Kasner. Während mehr und mehr Bürger aus der kommunistischen Ostzone flohen, ging Pastor Kasner mit seiner Familie von Westdeutschland in die SED-Diktatur, die jeden tatsächlichen und scheinbaren Oppositionellen ins Zuchthaus steckte wie die Altenburger Oberschüler und Heinz Eisfeld, der in Moskau 1955 erschossen wurde. (S. "Der Sohn seines Vaters. Ein junger Mann wollte in der russisch besetzten Zone Flugblätter verteilen. Im fernen Moskau wurde er erschossen." Von Helga Hirsch, FAZ 21.4.10) 
Das war kein Einzelfall. Merkel-Vater Kasner und seine Frau mußten also mit Verhaftung, Folter und Tod rechnen, falls sie in der SBZ des Antisozialismus verdächtigt würden. Offenbar war er sich seiner Sache sicher - und diese Sache war die Mitarbeit beim Aufbau des Sozialismus mit Walter Ulbricht. Während Heinz Eisfeld vor Folterung und Erschießung vom Studium ausgeschlossen wurde, weil die FDJ ihre Zustimmung verweigerte, konnte die FDJ-Funktionärin Angela Kasner alias Merkel (nach ihrer Heirat) nicht nur studieren, sondern danach auch noch mit Stipendiumsstelle jahrelang promovieren. Die SED versprach sich also etwas von den roten Kasners.
Langguth porträtiert sie dann 2005 als eine ordo-liberale Politikerin. Das war wohl nur Verstellung, denn mit dem EEG u.a. erwies sie sich als Freundin der Subventionswirtschaft in großem Stil. Wer mag diese Frau sein?

Sonntag, 27. Oktober 2013

Unsere Zeit läuft ab






“VOM UNENDLICHEN FORTSCHRITT BIS ZUR NANOSEKUNDE. Wissenschaftliche Betrachtungen unserer Zeit” 
war der ‘Forschungstag’ des Jungen Kollegs an der Akademie der Wissenschaften NRW benann.
Der Titel scheint vom Wissenschafts-ministerium eingeflüstert worden zu sein, das die Finanzierung des Jungen Kollegs übernimmt. Wie nicht anders zu erwarten, wurde es ein bunter Strauß unverbundener Teilhinsichten. Kaum etwas verbindet die “Zeitwahrnehmung aus Sicht der Hirnforschung” (Svenja Caspers) mit der physikalischen Kurzzeitmessung (Alex Greilich).
Den wichtigsten Gegenwartsbezug besaß der Vortrag des Mechanikers Roger Sauer, der die “Vorhersagbarkeit von Natur und Technik” auf sehr einfache Umstände beschränkt sah (s. facebook.com/wolf.doleys , 26.10.13).
Dem Fortschrittsdenken in der Gesellschaft galt der Vortrag Rüdiger Grafs: “Die Langlebigkeit des Fortschrittsdenkens im 19. und 20. Jahrhundert”. Graf zeichnete kurz die Entwicklung der Positionen von der industriellen Revolution mit ihrer Beschleunigungswirkung nach bis zu ihrem gegenwärtigen Interpreten Hartmut Rosa. Die großen gesellschaftlichen Fortschrittsillusionen eines Walter Rathenau und anderer erfüllten sich nicht, Zeifel kehrten ein bei so unterschiedlichen Autoren wie Horkheimer und Hayek. Trotzdem lebte der Fortschrittsgedanke weiter, es gab sogar einen Fortschrittseuphemismus bis in die siebziger Jahre hinein, den dann das Öl-Embargo und der Club of Rome beendeten.

Konzeptionell hätte man dieses Thema in den Mittelpunkt stellen sollen, um von dort aus den Begriff des Fortschritts näher zu erkunden in der Geschichte, der Geschichtsbetrachtung, der Anthropologie und der Psychologie. Die Zeit als solche interessiert wenig, mehr bedeuten die Veränderungen, die sich für den Menschen im Ablauf der Zeit ergeben und das Denken darüber.
Als ein zentraler Text hätte sich Norbert Elias’ “Über den Prozeß der Zivilisation” angeboten.

Tomasz Stanko 6tet - Sleep Safe And Warm (I) [1998] Stanko ließ sich auch wieder in Frankfurt hören mit seinem New York Quartet - sehr hörenswert, gilt auch für das ganze Jazz Festival Frankfurt, scheint mir.

Samstag, 26. Oktober 2013

Da sind wir aber gespannt!





Bauernregel des Tages:


Ist der Oktober warm und fein, kommt ein scharfer Winter drein. 
Ist er aber naß und kühl, mild der Winter werden will.

Freitag, 25. Oktober 2013

"Werk des Teufels und der Amerikaner"



In Saudi-Arabien soll es morgen einen Aktionstag geben gegen das Fahrverbot für Frauen. Frauen wollen im Lande des Propheten Auto fahren. Obwohl der Prophet nur mit Kamelen gehandelt hat. Die saudi-arabische Polizei ist in Alarmbereitschaft, Religionsgelehrte und Polizei drohen mit Strafen für Aufrufe.

Donnerstag, 24. Oktober 2013

Wirtschaftsraum Südostasien







Bild: keepscases / Wiki 



“Brunei: Neue harte Scharia-Gesetze
Das südostasiatische Sultanat Brunei führt für das Strafrecht eine strenge, rückständige Form der Scharia ein. Demnach könnten Ehebruch mit Steinigung, Diebstahl mit der Amputation von Gliedmaßen und Alkoholkonsum mit Auspeitschen bestraft werden. Wie der Sultan Hassanal Bolkiah am Dienstag in einer Rede bekanntgab, soll das neue Strafrecht in den kommenden sechs Monaten schrittweise in Kraft treten; es soll nur für Muslime gelten. …” FAZ 23.10.13

Brunei ist reich aufgrund seines Öls, nicht wegen seiner Wirtschaftskompetenz, darin gleicht es den arabischen Ölstaaten.
Wie sieht es sonst aus im Wirtschaftsraum Südostasien?
Der Berliner Wirtschaftsgeograph Elmar Kulke sprach dazu bei den Bochumer Geographen.
Singapur, Malaysia, Indonesien, Vietnam, Kambodscha, Laos, Thailand, Myanmar, Papua-Neuguinea, Brunei und die Philippinen machen Südostasien aus.
Diesen Kulturerdteil bestimmen große Gegensätze, insbesondere ist der Gegensatz zwischen Stadt und Land außerordentlich groß. Die Pole sind hier der winzige Stadtraum Singapur mit rund 50.000 USD Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, während auf Papua-Neuguinea ein großer Teil der Landwirtschaft nur für den Eigenbedarf betrieben wird. Singapur erbringt fast nur noch Dienstleistungen und besitzt kaum noch Industrie auf dem eigenen Territorium. Es hat sie ausgelagert nach Malaysia und Indonesien, während die Verwaltung in der Stadt ansässig ist. Beide Länder profitieren davon, insbesondere Malaysia, das schon bessere Zeiten vor der Reislamisierung gesehen hat. Die Oststrände sind heute leer, es herrscht absolutes Alkoholverbot und im Supermarkt gibt es geschlechtergetrennte Kassen. Es herrscht eine starke Diskriminierung der nicht-malaiischen Bevölkerung, was sich auch an der University of Malaysia zeigt, die Nicht-Malaien abweist und drittklassige malaiische Lehrkräfte befördert. Die Diskriminierung richtet sich vor allem gegen die indische und chinesische Bevölkerung, die wirtschaftlich weit produktiver ist als es die Malaien sind. Es gibt starke Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen, die in der Vergangenheit durch Wirtschaftswachstum gedämpft wurden. Mit der Schwächung der Wirtschaftskraft durch die Ausschaltung der Chinesen an vielen Stellen fällt die Umverteilung schwächer aus, was die Mißgunst der Malaien weiter nährt.
Ähnliche Probleme herrschen in der gesamten Region, wo der Islam auftritt. Noch gut in Erinnerung ist der Angriff der Moro-Islamisten auf die philippinische Großstadt Zamboanga im September dieses Jahres.


Es scheint, als ob die Kulturgegensätze noch eine Zeitlang die Entwicklung dieses Wirtschaftsraumes bestimmen werden. Für die Rückwärtsentwicklung Malaysias ist kein Ende abzusehen, in Kambodscha lähmt der zurückliegende Millionenmord der ROTEN KHMER durch generellen Vertrauensverlust die Entwicklung; Myanmar und Vietnam lösen sich aber langsam von der zerstörerischen Macht ihrer Diktaturen und treten möglicherweise in ein neues Entwicklungsstadium ein.  

Mittwoch, 23. Oktober 2013

Beethoven hat reagiert


Übergang über die Beresina 1812 - Napoleon hatte sich schon davongemacht - geschönte Darstellung von January Suchodolsky 1866

(Bild: Nationalmuseum Posen / Wiki.)

Ernst Büchner war der Vater Georg Büchners, er selbst Sohn des Dorfchirurgen Jakob Büchner. Als Chirurgengehilfe begann Vater Ernst in der niederländischen Armee und wechselte dann zu Napoleon. Da hatte er viel zu tun quer durch Europa. Ströme von Blut, verstümmelte Soldaten und Zivilisten, Sterbende und Tote muß er tausendfach erlebt haben. Der junge Beethoven ließ sich ebenfalls vom Charisma Napoleons blenden, aber er war ein Komponierstubenbewohner, er griff nicht zur Amputiersäge, er sah nicht die Leichenberge nackter und verwesender Soldaten aufgetürmt, die Napoleon überall hinterließ. Und Beethoven strich die Napoleon-Widmung seiner 3. Sinfonie “Eroica”, als sich der korsische Militärdiktator 1804 selbst zum Kaiser der Franzosen krönte:

„Ist der auch nicht anders, wie ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize frönen; er wird sich nun höher, wie alle Anderen stellen, ein Tyrann werden!“  


Dagegen soll Ernst Büchner zeitlebens stolz darauf gewesen sein, zur “alten Garde” des Großkriegsverbrechers Napoleon gehört zu haben, so der Büchner-Biograph Ernst Johann. Büchner Vater gehörte nicht zu den hessisch-darmstädtischen Grenadieren, die an der Beresina erschossen oder auf der Brücke zertrampelt wurden. Ernst Bü., den man also als unbelehrbaren politischen Spinner und mitleidlosen Soldatenchrirurgen ansehen muß, wurde hessischer Beamter und Obermedizinalrat in Darmstadt, denn Herzog Ludwig I. baute ein öffentliches Gesundheitswesen auf. 
Daran konstruktiv mitzuwirken hatte aber der Sohn Georg Büchner keine Lust. Kranke waren ihm einfach egal, so wie seinem Vater die Blutzüge Napoleons.

Dienstag, 22. Oktober 2013

Benn-Astern-Tag






Ein Astern-Tag, ein Benn-Tag, ein Benn-Astern-Tag mit 20°C - rechts aber keine Astern, sondern reich fruchtende Hainbuche.



Astern

Astern - schwälende Tage,
alte Beschwörung, Bann,
die Götter halten die Waage
eine zögernde Stunde an.


Noch einmal die goldenen Herden,
der Himmel, das Licht, der Flor,
was brütet das alte Werden
unter den sterbenden Flügeln vor?

Substantive, Substantive: Astern, Tage, Bann, Waage mit dem dunklen a, das dann in den letzten zwei Zeilen wiederkehrt:
Die Schwalben streifen die Fluten
und trinken Fahrt und Nacht.

Aber wer wird denn bei blauem Himmel und strahlender Sonne an “Fahrt und Nacht” denken? Herr Benn, das muß nicht sein. Halten wir’s lieber mit Tiepolo und seinen heidnisch-heiteren blauen Himmeln. Die Götter seien uns nur ein Gleichnis für die Heiterkeit, in die uns die Himmelsbläue versetzt.

Montag, 21. Oktober 2013

Viel Braun





Am schönsten ist es, wenn man sie nicht braucht: Infusionspumpe von B. BRAUN

(Bild: 4028mdk09 /Wiki.)






Bei dem Unternehmens-Namen BRAUN denkt man gewöhnlich an Rasierer und vielleicht noch an Hi-Fi. BRAUN Melsungen aus Nordhessen setzt daher immer den Ort des Firmensitzes in Nordhessen dazu. 

Gegründet 1839 lag BRAUN im Stammland der Reformation. 
Mit mehr als 46.000 Mitarbeitern weltweit gehört die Gesundheitsfirma mit Fresenius zu den großen der Branche.

Landgraf Moritz von Hessen-Kassel, der “Gelehrte”, trat 1605 zum Calvinismus über und sorgte für stärkere calvinistische Einflüsse, die sich günstig auf das Gewerbeklima auswirkten. Schon 1527 hatte aber auch der Darmstädter Landgraf Phillip I., der “Großmütige”, die Reformation eingeführt, die sein Sohn Georg I., der “Fromme”, festigte, vor allem durch einen flächendeckenden Schulunterricht, der eine inoffizielle Schulpflicht beinhaltete. Ein Armenhaus wurde 1592 errichtet, ab 1594 wurden Waisenkinder im Schloß unterrichtet, die Einwohnerzahl Darmstadts verdoppelte sich. Hessen bzw. Großherzog Ludwig I. war auch “vorn” mit der Verfassung von 1820, die die Leibeigenschaft aufhob und den Absolutismus in eine konstitutionelle Monarchie überführte.

Den jungen Schwadroneur Georg Büchner, der sich der Patientenversorgung entzog, konnte diese positive Entwicklung Hessens seit der Reformation nicht beeindrucken. Schwadroneur bleibt Schwadroneur. Julius Wilhelm Braun, der B. BRAUN Melsungen 1839 mit einer Apotheke begründete, handelte. Sein Werk wuchs und wird heute von dem Ururenkel des Gründers, Ludwig Georg Braun, als Aufsichtsratschef beaufsichtigt. Einer seiner Söhne ist Vorstandsmitglied.

Sonntag, 20. Oktober 2013

Das Gehirn dichtet auch so allerhand






Die Merseburger auf Pergament
(Bild: Wiki.)




Im Hintergrund lauert der Satz vom Grunde. Es regnet, weil … Die Pest wütet, weil … Weiß der Mensch den Grund, fühlt er sich besser, und besser gewappnet. Es regnet, weil der Häuptling den Regentanz aufgeführt hat. Die Pest wütet, weil die Stadt gesündigt hat. Die Kenntnis der Gründe stärkt. Besonders dann, wenn tatsächlich identifizierbare Gründe und Kräfte wirken. In einfachen Beziehungsgefügen, die dem Experiment zugänglich sind, lassen sich echte Gründe herausfinden. Bei komplexen Wirkungszusammenhängen nicht mehr. Dann schlägt die Stunde der Dichtung. Wir wissen nicht, woher wir kommen? Der Sonnengott hat uns gezeugt. Die Bäume sterben? Le WALDSTERBEN. Ein Loch oben im Ozon? Die Fluorkohlenwasserstoffe.

Die zehnstellige Telefonnummer können wir gerade noch aus dem Kurzzeitgedächtnis eingeben, nach ein paar Minuten ist sie meist vergessen. An mehrere Gegenstände gleichzeitig können wir nur undeutlich denken. Zwar sind die individuellen Unterschiede groß, aber das Kurzzeitgedächtnis ist immer begrenzt. Daher sind auch die Verstehensmöglichkeiten begrenzt. Sie sind sogar bei vielen Menschen so eng ausgefallen, daß sie sich auch bei schwierigen, schwer durchschaubaren Dingen unbedingt einen kurzen Reim machen wollen. So etwa:
So Beinrenkung, so Blutrenkung,
so Gliedrenkung:
Bein zu Bein, Blut zu Blut,
Glied zu Glied, wie wenn sie geleimt wären
(Merseburger Zaubersprüche, 9./10. Jht.)

Die B-Anlautungen liebt das Gedächtnis, und Paar-Reime besonders:

Ach, was muß man oft von bösen
Buben hören oder lesen.  (Busch)  

Kurz und knapp und gereimt, das geht sogar gern ins Langzeitgedächtnis und kann Jahrzehnte dort überdauern. Darin liegt der Reiz der Dichtung, daß sie Komplexität reduziert und Langes verkürzt. Und mit Bildern verrührt. Denn eben, wo Verständnis fehlt, da hilft ein Bild gewaltig weiter, kann man, abgewandelt, mit Goethe dazu sagen. Und das Ganze dann noch in Klatsch, Tratsch und Sex gegossen, ob Courths-Mahler oder Grass, je nach Gefühls- und Niveaubedürfnissen, schon hat man die gesamte Literaturgattung beisammen.
Daran ist nichts besonders Geheimnisvolles. Es gefällt, weil es angenehm unterhält. Auf allen Unterhaltungsstufen. Und in allen Bereichen.
Auch für Sternenfreunde wird gereimt:
Ach, Sternlein dort
Ach, Sternlein dort,
Am Himmelsort,
Du glänzest so alleine
Und scheinest nur so kleine.

Und sprich, was geht denn dorten vor,
Doch mach’ mir keine Wippchen vor,
Ist es denn dort erquicklich?
Und lebt man dorten glücklich?
… (Friederike Kempner)


Arnando Benini macht es sich in der NZZ (30.8.13) ein bißchen schwer mit seinen Hirn-Kunst-Betrachtungen, ohne zum Kern der Literatur, der Komplexitätsreduktion und der Unterhaltungsfunktion, vorzustoßen. Daher stammt sowohl ihre kognitive Beschränkung, wenn nicht gar Bedeutungslosigkeit, als auch ihre emotionale Verführungskraft. Auch die Politik dichtet gern, im weitesten Sinne, wie Wagner, und macht TamTam dazu, wie in Wagners “Götterdämmerung”. Und Politiker scheinen lieber in die Wagnerei zu gehen, als in Mozarts “Cosi fan tutte”.  

Selbstverständlich kann man sich überall seine Gedanken machen und erkennend tätig sein, in Betrachtung einer Straßenbahn ebenso wie bei einem schwarzen Malewitsch-Quadrat - und auch bei Lyrik:

Eure Etüden

Eure Etüden, 
Arpeggios, Dankchoral 
sind zum Ermüden 
und bleiben rein lokal. 

Das Krächzen der Raben 
ist auch ein Stück -
Dumm sein und Arbeit haben: 
das ist das Glück.
...

Gottfried Benn



Samstag, 19. Oktober 2013

So klärend wie irreführend








Was soll das sein?  Die Sehrinde macht was draus.
(Bild: Bernard Ladenthin / Wiki.)





Die Fenster zu Welt

Der Sehsinn klärt und verdunkelt zugleich. Vorne am Auge regiert die Quantenmechanik, hinten in der Sehrinde der Sinn. Auf die Netzhaut einfallende Lichtquanten werden in elektrische Signale umgewandelt und ins Innere des Kopfes weitergeleitet. Die Sehrinde bastelt daraus Gestalten. Das Material mag noch so diffus sein, im Archiv des Sehhirns gibt es immer eine Gestalt, die dem Datenhaufen von der Netzhaut übergestülpt wird. Ob es paßt oder nicht.

Ein schönes, auch noch attraktives Beispiel dafür liefert Goethe in seinem bekannten Gedicht:

Willkommen und Abschied

(Spätere Fassung, ~1785)Es schlug mein Herz, geschwind, zu Pferde!
Es war getan fast eh gedacht.
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht;
Schon stand im Nebelkleid die Eiche
Ein aufgetürmter Riese, da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.
Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah kläglich aus dem Duft hervor,
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsausten schauerlich mein Ohr;
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer, 
Doch frisch und fröhlich war mein Mut:
In meinen Adern welches Feuer!
In meinem Herzen welche Glut!
Dich sah ich, und die milde Freude
Floß von dem süßen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Umgab das liebliche Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich - ihr Götter!
Ich hofft es, ich verdient es nicht!

Doch ach, schon mit der Morgensonne
Verengt der Abschied mir das Herz:
In deinen Küssen welche Wonne!
In deinem Auge welcher Schmerz!
Ich ging, du standst und sahst zur Erden
Und sahst mir nach mit nassem Blick:
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!
Und lieben, Götter, welch ein Glück

Freitag, 18. Oktober 2013

Wer mit wem?






Quelle: Neuroforum 1/13, S. 24




Man nehme 50 Studenten und lasse sie 1000 Arbeitsstunden scannen. Ein Max-Planck-Institut hat dafür die Mittel. Mäuse gehören auch noch dazu, sind aber sehr günstig zu beschaffen. An ihre Netzhaut, auch bekannt als Retina-Display, ist schon schwerer heranzukommen. Beim Menschen ist diese innere Augenhaut 0,2-0,5 mm dick, bei der Maus entsprechend dünner. Die Volumenelektronenmikroskopie hilft. Helmstaedter und seine Mitarbeiter haben in Martinsried 30 Nervenzellen und ihre Verschaltung über die Synapsen rekonstruiert.

Vom Studium der Verschaltung verspricht man sich ein besseres Verständnis der Neuronetzwerke. Bei den 8 Schichten der Netzhaut mit ihren verschiedenen Zellen, die inzwischen bei der Maus vollständig gescannt sein sollen, ist das eine Menge Arbeit. Das Sehsystem erstreckt sich zudem weiter über den Sehnerv bis zur Sehrinde im Hinterkopf. Da kommen die ganz spannenden Verbindungen.
Vielleicht lassen sich eines Tages typische Sehsystemfehler besser beschreiben, die Augenzeugen ganz unterschiedliche Dinge sehen und berichten lassen. Die Zeit, in der Augenzeugen besonderes Vertrauen entgegengebracht wurde, sind ohnehin schon vorbei.

Donnerstag, 17. Oktober 2013

Ein Maulheld








Ignaz Semmelweis (1818-1865), ein Held der medizinischen Welt

(Bild: Wiki.)





Warum kümmerte er sich nicht um den Typhus?
Immerhin starb er mit erst 24 Jahren daran, 1837 war das. Geboren wurde Georg Büchner also 1813, am 17. Oktober. Stattdessen beschäftigte er sich amateurhaft mit Schädelnerven, und darüber ging auch seine Probevorlesung in Zürich 1836 an der Philosophischen Fakultät. Schließlich war er zum Dr.phil. promoviert worden mit einer Arbeit über die Schädelnerven der Barben. 
An den Schädelnerven dieser Fische verstarb niemand in dieser Zeit, in der die durchschnittliche Lebenserwartung bei etwa 40 Jahren lag. An Typhus, Cholera und anderen Krankheiten verstarben aber viele seiner Mitbürger. Allein das Kindbettfieber hätte doch einen jungen, intelligenten Mann wie Büchner zur Erforschung dieser Krankheiten motivieren können! Müssen! Aber der Typ war gleichgültig gegenüber seinen leidenden Mitmenschen, den vielen Müttern, die mit 20 Jahren nach der Entbindung starben. Doch die Schädelnerven der Fische interessierten ihn offenbar. Es blieb einem mutigen, mitfühlenden Arzt wie Ignaz Semmelweis überlassen, den Zusammenhang zwischen den damaligen ärztlichen Sauereien und Kindbettfieber zu klären. Die Medizin steckte 1850 noch in den Kinderschuhen. Der Zeitgenosse Büchners mußte schwer für diese Heldentat büßen (Semmelweis-Reflex).
Der dem Leid seiner Mitmenschen ebenfalls nicht stumpf gegenüberstehende polnische Pathologe Tadeusz Browicz beschrieb 1874 ein Bakterium als Erreger des Typhus, Karl Joseph Eberth und Robert Koch klärten 1880 weiter auf (Eberthella typhosa), Georg Gaffky konnte 1884 das Bakterium züchten und schließlich steuerte der amerikanische Tierarzt Daniel Elmer Salmon 1889 durch Arbeiten zur Schweinecholera seinen Namen zur Benennung der Gattung SALMONELLA bei. Salmon ebnete auch den Weg zur Impfung gegen Typhus, die heute in den zivilisierten Ländern praktisch verschwunden ist.

Auch Büchner hätte zu diesen menschenfreundlichen medizinischen Großtaten beitragen können. Vielleicht hätte ihm konstruktive Forschung sogar das Leben gerettet? Er starb als Maulheld.