Freitag, 3. Juli 2009

Immer mehr junge Engländer ohne Arbeit und Ausbildung. Kinderkrippe, Largo: Zeit, Bindung und Bildung

Schwüler Hochsommer bis 29°C!

- "Immer mehr junge Engländer ohne Arbeit und Ausbildung.
Anteil unter einheimischen Weißen höher als bei ethnischen Minderheiten / Frauen stärker als Männer betroffen
Lt. LONDON, 30. Juni. In England wird die Zahl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die weder arbeiten noch in Lehre oder Schulausbildung ... Die Studie gibt an, die Zahlen zeigten ' die zentrale Bedeutung der Familie' und die Wichtigkeit 'früher, positiver Erfahrungen in der Erziehung ...' " FAZ 1.7.

- - "Die Schere öffnet sich schon in der Kinderkrippe
Zum Leitartikel "Auf dem Zahnfleisch" von Stefan Dietrich (F.A.Z. vom 23. Juni): Acht Uhr in einer kommunalen Krippe in Mittelhessen - Erzieherinnen hetzen vorbei, Kinder schreien, mürrische Eltern in Arbeitskleidung galoppieren die Treppen hoch und runter. Im Büro wartet eine Mutter, die einen Krippenplatz sucht. Die Leiterin kommt verspätet ins Büro gerannt. Sorry, eine Erzieherin ist schwanger, eine andere krank, der Zivi zur Schulung. Die größeren Kinder wurden in fremde Gruppenräume aufgeteilt, eine "Springerin" gibt es hier schon lange nicht mehr, eine Sekretärin auch nicht. So etwas nennt man eine "dünne Personaldecke". Die Erzieherinnen wirken schon zu dieser Uhrzeit gestresst und unzufrieden, die Kinder überdreht.
Im pädagogischen Konzept des Kindergartens steht für die Morgenstunden etwas von "Ankommen" und "sich selbst in der Gruppe erleben". In einem Baby-Gruppenraum steht die einzige anwesende Erzieherin am Wickeltisch, ein Baby rollt brüllend auf seiner Spieldecke hin und her. In der "Kuschelecke" weint ein etwa anderthalbjähriges Mädchen zusammengekauert und murmelt immer wieder, dass es pullern muss. Die im Büro wartende Mutter wendet sich mit Grausen ab. Sie wird sich nun doch bei der Elterninitiative engagieren, wo die Eltern am Wochenende selbst putzen und handwerkern, um den Betreuungsschlüssel aufzubessern. Besonders beliebte Erzieherinnen haben sich hier beworben, weil sie sich trotz höherer Arbeitsbelastung zufriedener und anerkannter fühlen. In der kommunalen Krippe bleiben dann die Kinder zurück, die schon zu Hause erleben, dass die Organisation des Lebens für ihre Eltern schwierig ist. Das nennt man dann die "soziale Schere" - sie öffnet sich tatsächlich schon in der Kinderkrippe.
Julia Upmeier, Ilmenau, LB FAZ 2.7

- - Die 'Ungleichheitsforscherin': Dr. Claudia Schuchart, Jahrgang 1974 , Universität Wuppertal,
Zentrum für Bildungsforschung und Lehrerbildung
„Der beste Beweis für Geist und Wissen ist Klarheit.“
Petrarca.
Claudia Schuchart ist wissenschaftliche Assistentin am Zentrum für Bildungsforschung und Lehrerbildung an der Universität Wuppertal. Sie studierte Erziehungswissenschaft, Soziologie, Psychologie und Romanistik an den Universitäten Erfurt, Jena und Reading (Stipendiatin des Cusanuswerkes).
Ihre zentrale Forschungstätigkeit liegt im Bereich der Ungleichheitsforschung. Insbesondere befasst sie sich mit Fragen der sozialen und migrationsspezifischen Bildungsbeteiligung und Bildungsmotivation unter institutionellen Bedingungen. In ihrer Promotion leistet sie amBeispiel der Orientierungsstufe einen wichtigen Beitrag zur Frage der Bedeutung von schulstrukturellen Innovationen für den Ausgleich von sozialen Ungleichheiten in der Bildungsbeteiligung. Daran anschließend beschäftigte sie sich mit herkunftsspezifischen Entscheidungsprozessen zum Erwerb von Schulabschlüssen im Rahmen von strukturellen Veränderungen des deutschen Schulsystems.
2007 wurde ihr von der DFG das Forschungsprojekt „Aufwärtsmobilität von Hauptschülern unter der Bedingung einer strukturellen Öffnung in der Sekundarstufe I“ bewilligt.
Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Frage der institutionellen und kontextuellen Bedingungen von Bildungsmotivation und Schulbesuch in Drittweltländern.
Im Rahmen mehrerer Forschungsaufenthalte in Brasilien verfolgt sie dieses Interesse anhand von qualitativen Einzelfallstudien sowie Sekundäranalysen von leistungsbezogenen Large-Scale-Erhebungen."

- - "Erziehung, Erziehung!
Gordon Brown will die Schulen umkrempeln ...Die Regierung strebt in direktem Widerspruch zu den Blair-Reformen eine weniger zentralisierte Schulpolitik an. Auch der Verzicht auf Zielvorgaben für Rechnen und Schreiben stellt einen Bruch dar. Obwohl Balls versichert, dass die Ausgaben seines Ministeriums trotz Wirtschaftskrise steigen werden, hat er sein Weißpapier nicht mit Zahlen belegt. Das Kernübel der pädagogischen Mängel, die aus der Ablehnung des Ausleseprinzips und der Verdummung des Lehrplanes erfolgen, wird nicht in Angriff genommen. Kein Wunder, dass Britannien in den Labour-Jahren immer wieder zurückgefallen ist in den internationalen Ranglisten. GINA THOMAS F.A.Z., 02.07.2009


- - Zeit, Bindung und Bildung: "... Hier haben wir die wohl wichtigste Ursache der Erziehungskrise: Eine beziehungsorientierte Erziehung ist zeitlich aufwendiger als eine autoritäre, doch genau an der Zeit mangelt es den meisten Eltern und Lehrern. Mehr als achtzig Prozent der Mütter und Väter in Deutschland sind gemäß dem Bundesministerium für Familie insgesamt weniger als eine Stunde pro Tag mit Kindern im Schulalter zusammen. Die Zeit, welche Eltern mit ihren Kindern täglich im direkten Kontakt verbringen, liegt im Minutenbereich. In der Schweiz beschränken sich die gemeinsamen Aktivitäten des Vaters mit dem Kind auf zwanzig Minuten pro Tag. Mit der gleichzeitigen Anwesenheit unter demselben Dach ist es nicht getan.
Man kann nicht alleine erziehen
Es geht um die Verfügbarkeit der Eltern, also darum, mit den Kindern zu reden, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, gemeinsam etwas mit ihnen zu erleben, sei das zu Hause, im Wald oder beim Baden. Wenn die Kinder erzieherisch aus dem Ruder laufen, dann sollten die Eltern nicht in erster Linie die Disziplin verschärfen, sondern sich mehr Zeit für ihre Kinder nehmen. Aber nicht mehr Zeit zur Kontrolle der Hausaufgaben, sondern für Aktivitäten, die dem Kind Freude machen und seine Beziehung zu den Eltern stärken. Jede gemeinsam verbrachte Minute ist Gold wert und erspart nervenaufreibende Auseinandersetzungen und Strafaktionen. Etwas vom Kostbarsten, das Eltern und Lehrer den Kindern geben können, ist ihre Zeit.
Doch allein können die wenigsten Eltern ihre Kinder erziehen. Das haben sie auch früher nicht geschafft. Zu keiner Zeit und in keiner Kultur lag die erzieherische Verantwortung ausschließlich bei den Eltern, gar nur bei der Mutter. Die erweiterte Gemeinschaft, in der die Kinder leben, aber auch die Gesellschaft muss sich vermehrt für die Kinder einsetzen, indem sie die Eltern bereits im Vorschulalter und während der ganzen Schulzeit mit Angeboten wie Krippen und Tagesschulen unterstützt. Wenn wir es schaffen, die sozialen und emotionalen Bedürfnisse der Kinder in Familie und Schule ausreichend zu befriedigen, werden sie nicht zu kuschenden Bürgern, sondern zu selbstbestimmten und beziehungsfähigen Menschen heranwachsen." Kinder als Tyrannen. Eine liebevolle Erziehung kostet mehr Zeit. Von Remo H. Largo.
Largo ist Professor für Kinderheilkunde und Autor des Buches „Schülerjahre. Wie Kinder besser lernen“.
FAZ 1.7.09