Montag, 1. April 2019

Ein Gedicht der Sappho



[- - -] der purpurgegürteten [Musen] schöne Geschenke, Mädchen,[ - - - ] die den Gesang liebende, helltönende Leier. [- - - die] einst [zarte] Haut (hat) das Alter schon [- - - weiß] geworden sind die Haare aus schwarzen, schwer ist mir das Herz gemacht worden, die Knie tragen nicht, die doch einst leicht waren zum Tanzen, jungen Rehen gleich. Ich seufze darüber oft. Aber was kann ich tun? Alterslos kann man, wenn man ein Mensch ist, nicht werden. Sagte man doch, einst habe den Tithonos die rosenarmige Eos, als sie ihren Leib der Liebe überließ, zum Ende der Erde fortgetragen, und er war schön und jung, aber dennoch ergriff ihn mit der Zeit das graue Alter, obgleich er eine unsterbliche Gattin hatte." (Kölner Papyri)

„Sappho, die früheste und berühmteste Dichterin des Altertums, lebte um 600 v.Chr. auf Lesbos. Bis ins 7. Jh. n.Chr. wurde sie immer wieder gelesen und abgeschrieben. Das abendländische Mittelalter hat die weibliche Erotik in ihren Gedichten jedoch mißbilligt, so dass keines von ihnen direkt weitertradiert worden ist.“ (Kölner Papyri)

„Das abendländische Mittelalter“ ist natürlich das christliche Mittelalter, und die leibfeindliche Haltung kann nicht beglücken. Noch weniger die Götterlegenden. Aber die Sexualfeindlichkeit hatte ihre zivilisierenden Seiten. Für den zivilisierten Menschen mit Triebbeherrschung bleibt die griechische Antike ein inspirierender Anknüpfungspunkt, eine „Sattelzeit“ für Europa. Die einzelne Person und die Persönlichkeit - ob männlich oder weiblich - kennt das Christentum nicht - die griechische Antike schon. Paulus, der Begründer des Christentums, hätte der Sappho zugerufen: Die Frau schweige in der Versammlung.

https://papyri.uni-koeln.de/features/sappho