Montag, 8. Februar 2016

Nietzsche und das Neue Testament











Elisabeth, mir graut vor dir! 
(Bild: Nietzsches Schwester, Hertel/Wikip.)


“Die Behandlung, die ich von seiten meiner Mutter und Schwester erfahre, bis auf diesen Augenblick, flößt mir ein unsägliches Grauen ein …”
Nietzsche, Ecce homo, 1888, Abschnitt 3


" Wenn man auch noch so bescheiden in seinem Anspruch auf intellektuelle Sauberkeit ist, man kann nicht verhindern, bei der Berührung mit dem Neuen Testament etwas wie ein unausprechliches Mißbehagen zu empfinden: denn die zügellose Frechheit des Mitredenwollens Unberufenster über die großen Probleme, ja, ihr Anspruch auf Richtertum in solchen Dingen übersteigt jedes Maß." Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre (Schlechta III, S. 563)
Nietzsche spannt einfach alles zusammen, was seine schreckliche Erziehung im frommen Pastorenhaus unter dem Regiment zweier bigotter Frauen bewirkt hat - die Frömmelei des Neuen Testaments - und die Arroganz des eingebildeten Weltverstehers. Ein Erzfeuilletonist ist Nietzsche, er formuliert blendend und schreibt viel, obwohl er nur wenige Kenntnisse besitzt. Das Defizit gleicht er aus durch forciertes Meinen und philosophische Spekulation.
Ganz unfreiwillig entdeckt Nietzsche aber auch den positiven Zug des NT: jeder darf mitreden, sei er berufen oder nicht, und das ist ein Grundsatz der Demokratie und der Aufklärung. Und auch des Protestantismus. Bei Kant heißt es in seinem berühmten Aufsatz “Was ist Aufklärung?”: “Daß aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit läßt, beinahe unausbleiblich.“ Kant dachte zwar nicht an den “großen Haufen”, den Nietzsche die “Crapule” nennt, da fällt er hinter Epikur zurück, aber wir wissen inzwischen, was die Antike wußte, daß nämlich Menschen irren, erare humanum est, im “großen Haufen” irren sie, und außerhalb irren sie ebenfalls. Die Irrtümer der politischen Führer können tatsächlich als die schlimmsten gelten.

Natürlich steckt im Neuen Testament auch viel Geschwurbel, besonders die Bergpredigt darf man nicht zu ernst nehmen. Das haben die Christen auch lange vermieden, heute aber können sie die vielen christlichen Texte nicht mehr in einen konstruktiven Zusammenhang bringen, sie sind dem Neomarxismus erlegen, ihrem säkularen Sproß. Fatal, daß die Politiker die Schwurbelei gegen alle eindringliche Realität mitmachen und ihre Bevölkerung in eine schlimme Zukunft manövrieren.