- "Kinderland abgebrannt
Michael Winterhoff stellt der Familie eine düstere Zukunftsprognose aus
... Die Kinder des einundzwanzigsten Jahrhunderts sind demnach narzisstisch gestört, nicht mehr lern- und leistungsbereit und agierten rein lustorientiert. Über die Ansätze dieser alten Zöpfe lässt sich natürlich immer trefflich streiten. Die Erziehungswissenschaft tut dies seit jeher, und verlässlich ist dabei allein der Wandel: von der autoritären zur antiautoritären Erziehung, vom Frontalunterricht zur Gruppenarbeit, vom Zwang hin zur Freiheit. Auf die Ächtung der Erziehung folgt dann wieder der Ruf nach Ordnung, eben das Lob der Disziplin.
Jetzt ist es also Michael Winterhoff, der es mit seinen Überlegungen, warum sich unsere Kinder zu "Monstern" entwickeln, "vor denen wir im Alltag immer häufiger mit einer großen Fassungslosigkeit stehen", in die Bestsellerlisten geschafft hat. Winterhoff sieht Deutschland im "Höllenritt" auf eine Katastrophe zusteuern. Mit Übertreibungen solcher Art will der Autor offenbar Aufmerksamkeit erregen, doch lenkt er damit vor allem von einigen seiner durchaus bedenkenswerten Thesen ab.
Tatsächlich verzeichnet die Bundeskonferenz für Erziehungsberatung seit ein paarJahren einen Anstieg der Anfragen, dreißig Prozent aller Kinder und Jugendlichen befinden sich heute in Behandlung von Ergotherapeuten, Logopäden und Psychotherapeuten, und ein Viertel aller Schulabgänger hat Schwierigkeiten während der Ausbildung. Anders als früher, so Winterhoffs Resümee nach dreißig Jahren psychiatrischer Praxiserfahrung, könnten viele Kinder heute nicht mehr richtig sprechen, sich nicht mehr konzentrieren, seien motorisch unterentwickelt und unfähig zu Freundschaft: "Jeder Zugang zu ihnen scheint unmöglich geworden zu sein, sie terrorisieren ihre Umwelt mit einem inakzeptablen Verhalten und sind gegen Steuerungsversuche von außen absolut immun." Ihr Sozial- und Leistungsverhalten sei viel schlechter als das vergleichbarer Altersgruppen vor fünfzehn Jahren. Und während die Öffentlichkeit verhaltensauffällige Kinder allzu oft in verwahrlosten Verhältnissen verortet, begegnet Winterhoff in seiner Sprechstunde immer häufiger Kindern aus sogenannten intakten Familien, deren Eltern sich besonders liebevoll um den Nachwuchs bemühen.
Gerade darin liegt für den Autor ein großes Problem, das er auf dem Feld der Tiefenpsychologie und der Psychiatrie diskutiert: Nicht die Kinder sind demnach krank und müssen therapiert werden; vielmehr sind es die Eltern, deren beziehungsgestörtes Verhalten dazu führe, dass Kinder oftmals psychisch unterentwickelt sind. "Die heutige Misere ist deshalb keine Bildungsmisere, sondern eine Beziehungsmisere", glaubt der Kinderarzt. Weil Kinder heute nicht mehr geführt, in ihrem Verhalten gespiegelt und also geschützt, sondern durch Kumpelei der Erwachsenen um ihre Entwicklung gebracht würden: Eltern machten sich Kinder als kleine Erwachsene ebenbürtig und überforderten sie damit restlos. Eltern verwechselten Geborgenheit mit Grenzenlosigkeit und wollten in einer Gesellschaft, die Bedürfnisse nach Anerkennung und Ordnung kaum erfüllt, die innere Leere mit der Liebe ihrer Kinder kompensieren. Dass die Kinder zum Partner erhoben werden und als Zuwendungslieferant herhalten müssen, stellt für Winterhoff einen emotionalen Missbrauch an Kindern dar auf den Stufen der Partnerschaft, Projektion und Symbiose. Er fordert, Kinder wieder als Kinder wahrzunehmen, was freilich schon Rousseau nicht anders empfahl.
Dass der Autor die gesellschaftliche Fehlentwicklung unserer Tage mit den Erziehungskonzepten der siebziger und achtziger Jahre begründet, die ihre Hauptaufgabe im Schleifen des Autoritätsbegiffs sahen, verwundert nicht. Er propagiert ein Erziehen im Sinne von Leiten und Führen, weil er es für die Psyche der Kinder als hochproblematisch ansieht, ihnen nahezu unbegrenzte Selbstverwirklichung zuzugestehen. Das aber tun ihm zufolge heute alle, die die kindliche Entwicklung beeinflussen können, neben Eltern also auch Erzieher, Lehrer, Großeltern und Therapeuten. Mit ihrer Wellness-Pädagogik - Liebe statt Grenzen, Argumente statt Vorschriften - brächten sie die unglücklichen kleinen Despoten erst hervor: Die Kindergärten praktizierten statt Regeln und verlässlichen Strukturen offene Konzepte, die Grundschulen freien Unterrichtsbeginn und selbständiges Lernen. Was eigentlich dazu gedacht sei, den Kindern den Druck zu nehmen, führe in Wahrheit zu Überforderung, "weil die Kinder keinerlei Orientierung im schulischen Alltag geboten bekommen".
Winterhoff gilt der Harmoniedrang als eines der Hauptprobleme moderner Erziehung. Und in einem scheinen die Pädagogen sich einig: Der Wandel der Beziehungen und des Familienlebens, das Schwinden traditioneller Werte sowie Fernsehen und Internet haben Erziehung schwieriger und anstrengender gemacht. Auf die Veränderungen der modernen Kindheit hat die Erziehungswissenschaft bislang kaum Antworten gefunden.
Kinderland ist also abgebrannt? Michael Winterhoffs Pamphlet, angereichert mit bestürzenden Fallbeispielen und Szenen aus dem Kinderalltag, scheint keinen anderen Schluss zuzulassen. Dennoch möchte man dem Autor entgegenhalten, dass Eltern besser sind als ihr Ruf. Die allermeisten nehmen das Projekt Erziehung sicherlich ernst und nähern sich diesem mit Menschenverstand und Intuition, wissend um das hierarchische Generationsverhältnis. Ein gewisser Grad an Verunsicherung lässt sich wohl nicht leugnen. Viele Eltern, bombardiert von Expertenratschlägen, wissen oft eher, was sie nicht wollen: Weder die autoritäre Strenge ihrer Großeltern noch die nachfolgenden Konzepte, als Eltern sich von ihren Kindern Stefan und Ulrike nennen ließen.
Eltern sind nie perfekt. Jede Familie ist eine Welt für sich, in der gesamtgesellschaftliche Thesen oft nicht greifen. Deshalb führt es auch nicht sonderlich weit, den "Erziehungsnotstand" allein den Siebzigern und Achtzigern in die Schuhe zu schieben, wie der Autor es tut. Es hat sich schließlich gezeigt, dass aus den Kinderladen-Kindern keineswegs nur Schulversager hervorgegangen sind, sondern ebenso wissbegierige, tolerante und kommunikative Menschen wie zuvor - und sei es aus Protest gegen die Eltern. Sandra Kegel
Michael Winterhoff: "Warum unsere Kinder Tyrannen werden". Oder: Die Abschaffung der Kindheit. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2008.
191 S., geb., 17,95 [Euro]. Text: F.A.Z., 20.06.2008, Nr. 142 / Seite 43
- Sandra Kegel sollte einmal eine längere Studienreise nach Japan unternehmen, um zum Beispiel im Vergleich herauszufinden, wie ungepflegt, wie faul, wie unverschämt, wie undiszipliniert und wie ungebildet größere Teile der deutschen Jugend sind. : " Japan - Klassenziel Baseball-Olymp.
Baseball ist für Japans Jugend zum Kult geworden. Dieser Sport bietet ihnen die Gelegenheit, eherne japanische Tugenden wie hartes Arbeiten, Hingabe, Aufopferung, Selbstlosigkeit und sportliche Fairness unter Beweis zu stellen. Jährlich findet im Koshien-Stadion von Osaka ein landesweit beachtetes Baseball-Turnier statt, an dem nahezu 4.000 Schulmannschaften teilnehmen.
Die 49 besten tragen letztendlich die nationale Meisterschaft untereinander aus. Es geht dabei um nicht weniger als das Erreichen des Finales, eine Art Baseball-Olymp, die den Teilnehmern außer Ruhm und Ehre für ihre Equipe nicht zuletzt auch eine der begehrten Profi-Angebote einzubringen verspricht. Für viele tausend japanische Teenager, ihre Familien und Lehrer sowie für Millionen Zuschauer ist Baseball japanische Tugend in Reinkultur." (Usa, 2006,) ARTE F Regie: Kenneth Eng
- George Orwell (1903-50), beinahe hätte er keine Gelegenheit mehr gefunden, seine großartige FARM DER TIERE zu schreiben: "... Spanienkrieg.
1937 nimmt Orwell auf Seiten der (als trotzkistisch geltenden) POUM (Partido Obrero de Unificacion Marxista, Arbeiterpartei der Marxistischen Einheit) am spanischen Bürgerkrieg teil und wird dabei schwer verwundet (Halsdurchschuss). Der Verfolgung durch moskautreue Kommunisten entzieht er sich, indem er Spanien wenig später verlässt. Viele seiner ehemaligen Kameraden wurden eingesperrt und vermutlich nie wieder in die Freiheit entlassen. Das Buch Mein Katalonien (engl.: Homage to Catalonia) ist ein Erfahrungsbericht und eine Analyse des spanischen Bürgerkriegs, des damaligen politischen Geschehens und der Rolle der Medien. ..." (Wiki.)