Mittwoch, 3. August 2011
Der wohltemperierte Mensch?
An Landauer
Sei froh! Du hast das gute Los erkoren,
Denn tief und treu ward eine Seele dir;
Der Freunde Freund zu sein, bist du geboren,
Dies zeugen dir am Feste wir.
Und selig, wer im eignen Hause Frieden,
Wie du, und Lieb und Fülle sieht und Ruh;
Manch Leben ist, wie Licht und Nacht, verschieden,
In goldner Mitte wohnest du.
Dir glänzt die Sonn in wohlgebauter Halle,
Am Berge reift die Sonne dir den Wein,
Und immer glücklich führt die Güter alle
Der kluge Gott dir aus und ein.
Und Kind gedeiht, und Mutter um den Gatten,
Und wie den Wald die goldne Wolke krönt,
So seid auch ihr um ihn, geliebte Schatten!
Ihr Seligen, an ihn gewöhnt!
O seid mit ihm! denn Wolk und Winde ziehen
Unruhig öfters über Land und Haus,
Doch ruht das Herz bei allen Lebensmühen
Im heilgen Angedenken aus.
Und sieh! aus Freude sagen wir von Sorgen;
Wie dunkler Wein, erfreut auch ernster Sang;
Das Fest verhallt, und jedes gehet morgen
Auf schmaler Erde seinen Gang.
Friedrich Hölderlin (1770-1843, geistiger Zusammenbruch 3.8.1806)
"Manch Leben ist, wie Licht und Nacht, verschieden,
In goldner Mitte wohnest du."
Mehr idealisieren und hymnischer dichten konnte keiner. Die Mitte und gar die goldene Mitte sind alte Vorstellungen. Die Realität kennt keine Mitten, höchstens einen modus vivendi. Hölderlin selbst war keine Lebenskunst beschieden, und wem wurde sie schon in die Wiege gelegt? Aber wer sie besitzt, wer über ein "glückliches Naturell" verfügt, das ihm die Selbstlenkung glücken läßt, der besitzt die Anlage dazu sicher seit Wiegentagen. Das muß sich dann entwickeln und festigen und so leicht ist das nicht.
Wer homosexuell veranlagt ist, bekam damit keinen Glücksvorschuß. Man mißt sich immer an der Mehrheit, und jede andere Artung, gleich welcher Art, muß sich dazu in Beziehung setzen, was ohne Mühe nicht gelingt.
Der Mediziner und Endokrinologe Günter Dörner "meint, bei Ratten wie bei Menschen sei Homosexualität Ausdruck einer anomalen Verhaltensdifferenzierung und gehe auf eine unzureichende Testosteronsekretion bei Föten und Neugeborenen zurück, deren Mütter dem Einfluß von Streß ausgesetzt gewesen seien. " (G. Dörner, B. Schenk, B. Schmiedel, L. Ahrens: Stressful Events in prenatal Life of bi- and homosexual Men, 1983; Zitat bei Jean-Didier Vincent, Biologie des Begehrens, 1990, S. 343)
Es mögen weitere Gründe hinzutreten, stabil scheint diese Orientierung jedenfalls zu sein, und der betroffene Mensch muß sich damit arrangieren, anders zu sein als die Mehrheit, und er muß eine entsprechende Geschlechtsidentität ausbilden. Die Erinnerung an den homoerotischen Kult bei den antiken Griechen mag dabei hilfreich sein.
So wird es Golo Mann gehalten haben. Wenn Leute wie Adorno und Horkheimer Golo Manns Homosexualität intrigant gegen ihn eingesetzt haben, um seinen Ruf an die Frankfurter Universität zu vereiteln, dann war das eine Bösartigkeit. Dergleichen dürfte heute ausgestanden sein, wenn man einmal von katholischen Einrichtungen absieht. Die katholische Kirche sieht in ihrem Glauben die Homosexualität als sündhaft an, weswegen gerade ein Münsteraner Weihbischof dem schwulen Münsteraner Schützenkönig, der seinen Freund zur "Schützenkönigin" machen will, einen Korb gegeben hat.
Von dergleichen Albernheiten hätte sich Golo Mann vermutlich mit Grausen abgewendet.
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