Dienstag, 7. April 2009

Einem Fortschrittsleugner, Töten



Und wieder fliegt die Fledermaus! 11-20°C

- Noch'n Gedicht zur Auflockerung: Einem Fortschrittsleugner


Dein Hypothesenungeheuer

Hat mich noch niemals recht erbaut.

Der Weltgeist ist ein Wiederkäuer,

Der ewig frisst und nie verdaut?

Still, still, mein Lieber; also spricht

Nur Einer, den der Haber sticht,

Denn könnt' ich, hoch im Himmel hausend,

Nur um ein lumpiges Zehnjahrtausend

Dein Hirn nach rückwärtshin verrenken,

Du würdest anders drüber denken!

Arno Holz (1892)

# Töten, eine Testosteron-Lust. Ein Dialog. 2 #


- Spanien: "Davongekommen .
Zur "nur teilweise gelungenen" Aufarbeitung der Geschichte des Spanischen Bürgerkriegs im Artikel "Einen Nationalsalat, bitte!" von Paul Ingendaay (FAZ 1.4.09): Die Linke ermordete insgesamt 13 Bischöfe, 4184 Priester, 2356 Ordensmänner und 283 Ordensfrauen. Der Besitz religiöser Bücher, ja das Tragen einer Marien-Medaille, galt Ende 1937 noch als strafwürdige Ablehnung des Regimes. Ein Sieg der Linken hätte zu einer spanischen 'Volksdemokratie geführt. Der röm.-kath. Kirche wäre dort möglicherweise der Garaus gemacht worden. ... " LB FAZ Sig. Fhr.v. Elverfeldt, München
- - Dazu auch Orwell: ' ... Orwells Einstellung zum Kommunismus war durch Spanien geprägt. Dort hatte er sein Damaskus erlebt. Er zog die gleiche Konsequenz aus dieser bitteren Erfahrung wie Arthur Koestler, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband. Orwell war entschlossen, die Wahrheit aufzudecken. Vier Wochen nach seiner Flucht begann er bereits einen Artikel mit der Behauptung, der Spanische Bürgerkrieg habe mehr Lügen erzeugt als irgendein Ereignis seit dem Ersten Weltkrieg. Sarkastisch bemerkte er, daß er trotz "der Hekatomben von Nonnen, die vor den Augen der Reporter des ,Daily Mail' vergewaltigt und gekreuzigt worden sind", bezweifle, ob es die profaschistischen Zeitungen waren, die den größten Schaden angerichtet hatten. "Es sind", schrieb Orwell, "die linken Publikationen . . . mit ihren viel subtileren Verzerrungsmethoden, die die britische Öffentlichkeit daran gehindert haben, den wirklichen Charakter des Kampfes zu begreifen." ...' Aus: Schweine sind doch auch nur Menschen, Rez. George Orwell Gesamtausgabe, FAZ 18.07.1998 (G.Th.)
Vgl. auch: http://orwelldiaries.wordpress.com/page/5/

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PF:
"... es ist das individuelle, persönlichkeitsbasierte, psychotizistische Verhalten gegen soziale Gebote, ein asoziales, vorsoziales, sozial destruktives Verhalten ..." (WD)
Sie packen für mich eine ganze Reihe Ungeklärtheiten in den oben zitierten Satz. Beispielsweise weiß ich nicht, wie man theoriefrei über 'individuelles', 'persönlichkeitsbasiertes' Verhalten sprechen kann. Diese Ausdrücke sind ja schon dem Kanon sozialer Bezeichnungsmöglichkeiten entnommen. Und ein Verhalten, das sich gegen soziale Gebote richtet, vorsozial ist oder sozial destruktiv, ist wiederum eindeutig: sozial.
"In der Arbeitsteilung der Geschlechter weit über die Säugetiere hinaus wurde eine männliche Kampfdisposition selektiert, dergestalt, daß diejenigen einen größeren Reproduktionserfolg hatten, die erstens überlebten, weil sie Angreifer abwehren konnten, zweitens, weil sie ihrer Brutgemeinschaft ein auskömmliches Territorium sichern konnten, und sie, drittens, Symbole dieser Fähigkeiten vorweisen konnten, um als Reproduktionspartner zugelassen zu werden. Die Wahl der weiblichen Tiere nach solchen Kriterien ist ein soziales Datum, die gesteigerte Kampfkompetenz eines Achill (im Vergleich zum Soldaten Sokrates) ist ein persönlich differenziertes, wenn man, wie bei Tim Kretschmer, eine verminderte, psychotizistische Impulskontrolle annimmt.- Da kann man dann wohl von Interpenetration der Systeme sprechen."
Ich bin, was diese Thesen anbetrifft, sehr skeptisch. Sie übertragen (für mich) zu schnell animalisches Verhalten auf 'Menschen'. Das heißt überhaupt nicht, daß man genetische Dispositionen oder Vorbedingungen des Verhaltens bestreiten müßte, sondern nur, daß Sozialität dazu führt, daß ein Achill über Jahrtausende hinweg als 'Held' tradiert wird und wohl (bei dem Wenigen, was wir darüber wissen) auch in seiner Zeit unter dieser Rubrik verbucht und sozial akzeptiert wurde.
"Wahrscheinlich irritiert mich bei der Theorie Sozialer Systeme immer, daß sie vor Ort nicht erkenntnisleitend zu sein scheint (vgl. ähnlich Feyerabend). Oder bei der Diskussion sog. AMOKLÄUFE, die unergiebig als soziales Phänomen behandelt werden, wobei die persönlichkeitsdifferentielle Seite gar nicht in Erwägung gezogen wird."
Ich kann diese Irritation gut verstehen, wenn ich auch immer wieder durch Formulierungen wie 'vor Ort' meinerseits irritiert werde. Das klingt so, als sei dieses 'vor Ort' irgendwie näher an der Wahrheit oder Realität dran. Aber man darf die Blickverluste nicht vergessen, wenn man zu dicht an etwas herangeht, um etwas zu sehen. Ähnliche Blickverluste ergeben sich gewiß auch für Theorien, die als Fernsichten Möglichkeiten der Nähe aus dem Auge verlieren. Kühler: Theorien sind Programme für empirische Forschung, und wie immer gibt es auch hier schlichte Programme und raffiniertere. Man darf, glaube ich, nicht vergessen, daß die jeweiligen 'Dogmen' von Theorien, die erst ihren kombinatorischen Reichtum ermöglichen, selbst nicht empiriefähig sind. Ob 'Amok' ergiebiger behandelt wird, wenn man die 'persönlichkeitsdifferentielle Seite' ausleuchtet, ist fraglich. Ich meine, es könnte weitaus ergiebiger sein, auch hier von Sozialisation auszugehen.
PF
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"Wir irren alle, nur jeder irret anders", meinte Lichtenberg, und das hat ja auch eine konstruktivistische Lesart.
Luhmann erinnert mich manchmal an das umfassende System der Medizin des Galenos alias Galenus, das so holistisch prächtig daherkam, daß er damit mehr als tausend Jahre, bis Will. Harvey über den Daumen, die richtige, die naturwissenschaftliche, die moderne Medizin verhinderte zugunsten eines Elaborats ungefährer Beobachtungen und philosophischer Herumdenkerei. Beides auf recht intelligente, vor allem ausführlich dokumentierte Weise. Zwischen Harvey und Galen besteht kein so großer Unterschied: sie denken sich beide etwas, machen sich intuitiv einen Reim auf das, was sie so in ihrer Umwelt sehen - Galen sieht mehr Aristokratie, Harvey hat es mehr mit Kühen, na ja, das bleibt in der Säugetierfamilie - aber vielleicht inspiriert der Adel doch mehr zu höherer Holistik, während Kühe möglicherweise mehr den präzisen, theorieabgespeckten Hinblick befördern. Vielleicht war es aber auch Galens Neigung zur philosophischen Spekulation, die ihn so verblödete, und, bei Harvey, war es seine unpoetische Disposition verbunden mit einer drastisch erhöhten Fähigkeit zur Datenaufnahme pro Kurzzeitgedächtnis-/ Aufmersamkeitsintervallintervall? Wer mag das entscheiden. Popper nannte Freud den größten Kulturvernichter aller Zeiten. Galen jedenfalls könnte als größter Gesundheitsvernichter aller Zeiten gelten. Weil er so systemorientiert dachte. Schwamm drüber, seine Patienten und Schüler sind alle tot. Harveys Nachfahren fühlen uns immer noch den Puls und enthalten sich dabei der holistischen Betrachtung. Deswegen hat sich die Lebensdauer in Harveys Heimat verdoppelt seit seiner Zeit.- Die Intuition des Forschers in den naturwissenschaftlichen Fächern, die uns die Verdoppelung der Lebensdauer bei besserer Gesundheit beschert hat, kommt ohne Holistik aus. Sie basteln so herum, denken sich dies und das und versuchen es experimentell zu überprüfen. Sie erwägen höchstens Theoriefragmente. Ansonsten halten sie es wie im Sandkasten. Theorien interessieren sie nicht mehr sehr. Dafür brauchen sie allerdings mehr Beobachtungspräzision vor Ort.-
Auch beim Individuum, dem Psychischen System, das sich von anderen unterscheidet, endogen unterscheidet:
"Aggressive Embryos
Frankreich streitet: Ist Gewaltbereitschaft erblich?
PARIS, im April 06 / FAZ 10.4.06
In der Frage, wie weit der Mensch durch den Menschen zu zähmen sei, gehen die Standpunkte schon bei drei oder vier Diskussionsteilnehmern weit auseinander. Wenn aber Peter Sloterdijk, der Molekulargenetiker Axel Kahn und Jacques Testart, der wissenschaftliche Vater des ersten französischen Retortenbabys, einstimmig vor einer bestimmten Entwicklungstendenz warnen, dann sollte man wissen, worum es geht. Die Debatte, die von der Unesco in ihrer Reihe von philosophischen "Gesprächen fürs einundzwanzigste Jahrhundert" veranstaltet wurde, warf die Frage der Domestizierung des Menschen durch Bio- und andere Mächte auf.
Jacques Testart, der nicht aus religiösen, sondern philosophisch-ethischen Motiven seine Arbeit an der künstlichen Eizellenbefruchtung beendet hat, wendet sich heute gegen jenen "Transhumanismus", der im Zusammenwirken von Bio-, Nano- und Informationstechnologie durch Aussonderung des Unerwünschten eine "sanfte Eugenik" für die modernen Demokratien akzeptabel mache: Der offene Wille zur Macht und zur Kontrolle sei auf dem Gebiet der Menschheitszähmung dank der freiwilligen Unterwerfung unter den Imperativ des Machbaren gar nicht mehr nötig. Sloterdijk steht solchen Skrupeln ziemlich fern und führte auf dem Pariser Diskussionspodium vor allem vor, als wie wichtig ihm inzwischen die Bedeutung von demographischen Schüben fürs Gedeihen des Menschenparks erscheint. Alle biotechnologischen Planungsprogramme, so der deutsche Philosoph, könnten sich dagegen geradezu als Bagatelle erweisen.
Bei aller Unterschiedlichkeit der theoretischen Positionen streifte das Gespräch aber wiederholt ein spezielles Thema, das in Frankreich seit ein paar Wochen für große Erregung sorgt. Ausgelöst unter anderem durch die Unruhen des vergangenen Herbsts in den Vorstädten wird im Innenministerium über vorbeugende Maßnahmen nachgedacht. Ausdrücklich genannt wird dabei eine Studie des Institut national de la santé et de la recherche médicale (Inserm) aus dem letzten Herbst, bei deren Lektüre es einem kalt über den Rücken läuft. Ihr Titel lautet "Verhaltensstörung bei Kindern und Jugendlichen" und ist auf der Internetseite des Instituts abrufbar. Es geht darum, wie bereits im frühkindlichen Alter bis zu drei Jahren oder gar schon vorgeburtlich bei einem Embryo latente Gewaltbereitschaft diagnostiziert werden kann.
In eisigem Wissenschaftsjargon wird dort beschrieben, wie in diesem Frühstadium bei Mäusen und Ratten im Labor aggressive Veranlagungen festgestellt werden konnten. Der Bericht unterscheidet zwischen eigentlicher "Verhaltensstörung" (trouble des conduites) und "Störung aus Auflehnung" (trouble oppositionnel): Das sei zwar nicht ganz dasselbe, gehe aber oft zusammen, heißt es beim Inserm. Die Experten wollen sich aber nicht mit bloßen Forschungsergebnissen begnügen. Sie empfehlen in ihrer Studie, schon vom embryonalen Stadium an in besonderen Risikofällen - sehr junge Mütter, Eltern aus dem Drogenmilieu, kriminelle oder psychiatrische Vorbelastungen in der Familie - die Entwicklung eines Embryos oder eines Kleinkindes klinisch und psychologisch genau zu verfolgen. Exzessive Motorik, impulsives Verhalten, mangelndes Einfühlungsvermögen, überhaupt schwierige Temperamente seien Verdachtsmomente, die später in Kindergarten und Schule auch von den Erziehern in regelmäßigen Verhaltenstests aufgezeichnet und ausgewertet werden sollen. Als Maßnahme könnten dann je nach Fall psychotherapeutische und pharmazeutische Mittel kombiniert werden.
Wie weit man sich im Innenministerium tatsächlich von diesen Ergebnissen anregen läßt, ist noch nicht klar. Mehrere Politiker einschließlich des Ministers Nicolas Sarkozy wiesen in den letzten Monaten aber ausdrücklich auf die Bedeutung der Frühbehandlung von Gewaltbereitschaft hin. Ärzte, Psychologen, Psychoanalytiker, Sozialarbeiter und Lehrer haben daraufhin gegen diese Formatierungsideologie protestiert, die schwarze Schafe möglichst schon im Mutterleib ausfindig machen und jedes widerspenstige Verhalten außerhalb der dafür vorgesehenen Pubertätszeit als Pathologie behandeln will. ... " JOSEPH HANIMANN, FAZ -

Achill, die Kampfmaschine, ist nur eine Chiffre, ein viriler Typus. Endogen disponiert. Mit hohem Testosteronspiegel wie in der Pubertät und verminderter Impulskontrolle. Für Luhmann außer Blickweite. Der brachte es doch fertig, in "Liebe als Passion" das hormonelle Substrat nicht ein einziges Mal zu erwähnen.
WD

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Sehr geehrter Herr x,
ja, Sie haben recht, die Fernsicht holistischer Systeme kühlt ungemein in der Klasse 10b in der 6. Stunde. Plessners Anthropologie würde das aber auch leisten, und ein zoologisches Oberseminar PRIMATEN ebenfalls. Von der STOA gar nicht zu reden. In die Köpfe kann man nicht jederzeit hineinschauen, natürlich nicht. Birbaumer et al. haben es nachträglich bei Mördern getan, mit interessanten Ergebnissen. Auch bei den sehr ungenauen, groben Stoffwechselhirnbildern kann man sehen, daß die "Empathieprojektionsariale" in bestimmten, blutigen Situationen ruhig bleiben, während sie bei der Kontrollgruppe wild aktiviert sind. Eysenck und andere meinen, daß sich solche individuelle Dispositionen schon im Kindergarten beobachten lassen. Der ACHILL zeige sich schon früh, der brave Perserkriegssoldat Sokrates bleibt in Bezug auf Gewalt unauffällig.- Was sog. Amoktäter betrifft, so erfährt man oft erst sehr viel später, daß es schon früher Gewaltausübung gab. Ich erinnere mich etwa an einen Wertpapierhändler (selbständigen "Daytrader"), der an seinem gemieteten Arbeitsplatz fünf Menschen umbrachte, der aber schon zehn Jahre vorher aufgrund vieler Indizien angeklagt war, seine Frau ermordet zu haben, aber nicht verurteilt wurde, weil die Leiche unauffindbar war. Solche spezifischen Persönlichkeiten fallen freudianischen Beobachtern natürlich erst richtig auf, wenn sie zum Messer greifen.-
Also muß ich doch bei der differentiellen Persönlichkeitspsychologie bleiben, die mir auch anhand der GROßEN FÜNF (sog. Big Five) eine konkretere Erkennung der Schülerpersönlichkeiten erlaubt.