Donnerstag, 4. Oktober 2012

Kant konnte


Dieser Regenwurm hörte Lammerts Rede und Grausen erfaßte ihn - verwirrt schlug er aber die falsche Richtung ein. Starkregen und eine Tagestemperatur von 10°C mögen auch eine Rolle gespielt haben.



„Wir sind deutsche Europäer“,
behauptet der Bundestagspräsident Lammert ins Blaue hinein. 
Europa hat eine gemeinsame kulturelle Geschichte, geschrieben in Strömen von Blut. Letzteres wie überall auf der Welt. Anders als in den USA gibt es aber eine große Zahl von Sprachen und unterschiedlichen Mentalitäten. In diesem Sinne sind zwar in Amerika überall Amerikaner anzutreffen, weil die angelsächsische Kultur und Sprache das Land stark dominiert, aber in Spanien trifft man nicht überall Spanier, sondern auch Basken und Katalanen, die sich von Spaniern merklich unterscheiden. Ähnlich verhält es sich in anderen Ländern, etwa in Italien, wo im Norden und Süden völlig andere Mentalitäten herrschen. Im Verhältnis der europäischen Staaten zueinander gilt Ähnliches. Griechenland und Dänemark unterscheiden sich wie die USA und Mexiko. Die europäischen Nationalkulturen und Mentalitäten sind in Jahrhunderten gewachsen, sie wurzeln tief in den Einzelsprachen. Eine gemeinsame Öffentlichkeit gibt es nicht in Europa wegen der Sprachenvielfalt. Daher besteht Europa aus den verschiedenen Sprach- und Kulturräumen, was sogar für kleine Länder wie die Schweiz zutrifft. Südschweiz, West- und Nordschweiz besitzen ihre Eigenheiten und pflegen sie, aber die Genfer wollen keine Züricher werden und die Luganer keine Berner. Aber man koexistiert nebeneinander und kooperiert, wo es nützt, und sogar die französischen Schweizer wollen nicht mehr zu Frankreich.

Das sind die europäischen Realitäten. Und auch die Deutschen fühlen sich als Deutsche, wenn sie sich nicht sogar als Friesen oder Bayern fühlen. Wenn sie Chinesen treffen, fühlen sie sich ein bißchen als Europäer, aber nicht sehr stark, weil das Europäertum ein Papierbegriff ist, ohne Farbe und Faßlichkeit, höchstens stinkt es etwas nach Brüsselkraten. In deren Dienst agitiert Lammert, ideologisch verblendet oder mit Stellenabsichten in Brüssel, oder beidem.
Die Globalisierung mit ihren Herausforderungen spricht sogar dafür, die regionalen und nationalen Eigenheiten zu pflegen. Das ist nämlich gemütlicher. Das vermittelt Heimatgefühl. Und jedes Land hat genug Eigenes, sich darin einzurichten.
Und genug abzugeben und zu bieten. Calvin konnte sich in Genf vor den katholischen Nachstellungen seiner Franzosen in Sicherheit bringen und die von Luther ausgegangene Reformation weiterentwickeln. Calvin gab auch Impulse für eine demokratische Gemeindeverfassung (vgl. Beintker u.a.), Luther verfaßte “Von der Freiheit eines Christenmenschen”:

Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.
Diese zwei Beschlüsse sind klar: St. Paulus, 1. Kor. 9: «Ich bin frei in allen Dingen und habe mich eines jedermanns Knecht gemacht.» Item Römer 13: «Ihr sollt niemand in etwas verpflichtet sein, außer daß ihr euch untereinander liebet.» Liebe aber, die ist dienstbar und untertan dem, was sie lieb hat; also auch von Christo, Galat. 4: «Gott hat seinen Sohn ausgesandt, von einem Weibe geboren, und dem Gesetz untertan gemacht. ...»

(Daß beide, wie alle Revolutionäre, dann selbst verfolgerisch wurden, als sie fest im Sattel saßen, steht auf einem anderen, anthropologischen Blatt.) 
Voltaire konnte seinerzeit nach Berlin ausweichen, als man seine abweichenden Meinungen in Paris bedrohte. Der calvinistisch beeinflußte, der Aufklärung zugeneigte Friedrich 2. erwarb ihn als Gesprächspartner. Der dritte im Aufklärerbunde war der aus pietistischer Familie mit schottischen Wurzeln stammende Kant, der so ganz anders als Voltaire, eben deutsch, aufklärte. Mit seinem Aufsatz BEANTWORTUNG DER FRAGE: WAS IST AUFKLÄRUNG ? hat er einen bis heute aktuellen Beitrag für Europa und die Welt geleistet:
„ AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.
Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen. ...“
Insgesamt ein unsterblicher Text. Wie Montaignes und Bacons Essays. Europas Länder haben sich gegenseitig ohne EU gut versorgt. Dabei sollte es bleiben. Ohne Zwang und Bürokratie aus Brüssel. Dort schwadroniert ein Kommissar Oettinger, daß Englisch zur allgemeinen europäischen Sprache werden müsse, das nationale Idiom aber nur noch Zweitsprache bleiben dürfe. Er selbst spricht nur unsauberes Hochdeutsch, sein Englisch ist geradezu erbärmlich. Ein politischer Maulheld eben.
Der Wettbewerb sorgt für globalen Austausch. Das reicht. Pflege jeder zunächst seinen Garten. Den nationalen.