Sonntag, 15. Juli 2012

Lebt es oder lebt es nicht?










Adenoviren (Bild: Wiki.)  Sie besitzen keinen eigenen Stoffwechsel und können sich nur in Wirtszellen vermehren.   




“Nur im Okzident gibt es »Wissenschaft« in dem Entwicklungsstadium, welches wir heute als »gültig« anerkennen. Empirische Kenntnisse, Nachdenken über Welt- und Lebensprobleme, philosophische und auch – obwohl die Vollentwicklung einer systematischen Theologie dem hellenistisch beeinflußten Christentum eignet (Ansätze nur im Islam und bei einigen indischen Sekten) – theologische Lebensweisheit tiefster Art, Wissen und Beobachtung von außerordentlicher Sublimierung hat es auch anderwärts, vor allem: in Indien, China, Babylon, Aegypten, gegeben. Aber: der babylonischen und jeder anderen Astronomie fehlte – was ja die Entwicklung namentlich der babylonischen Sternkunde nur um so erstaunlicher macht – die mathematische Fundamentierung, die erst die Hellenen ihr gaben. Der indischen Geometrie fehlte der rationale »Beweis«: wiederum ein Produkt hellenischen Geistes, der auch die Mechanik und Physik zuerst geschaffen hat. Den nach der Seite der Beobachtung überaus entwickelten indischen Naturwissenschaften fehlte das rationale Experiment: nach antiken Ansätzen wesentlich ein Produkt der Renaissance, und das moderne Laboratorium, daher der namentlich in Indien empirisch-technisch hochentwickelten Medizin die biologische und insbesondere biochemische Grundlage. Eine rationale Chemie fehlt allen Kulturgebieten[2] außer dem Okzident. Der hochentwickelten chinesischen Geschichtsschreibung fehlt das thukydideische Pragma. Macchiavelli hat Vorläufer in Indien. Aber aller asiatischen Staatslehre fehlt eine der aristotelischen gleichartigen Systematik und die rationalen Begriffe überhaupt. Für eine rationale Rechtslehre fehlen anderwärts trotz aller Ansätze in Indien (Mimamsa-Schule), trotz umfassender Kodifikationen besonders in Vorderasien und trotz aller indischen und sonstigen Rechtsbücher, die streng juristischen Schemata und Denkformen des römischen und des daran geschulten okzidentalen Rechtes. Ein Gebilde ferner wie das kanonische Recht kennt nur der Okzident. …” 
(Max Weber, Vorbemerkung zu den »Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie«)(Text bei zeno.org) 
Dabei ist es bis heute geblieben. Dort, wo sich außerhalb des Westens ein eigenständiger, rationaler Wissenschaftsbetrieb entwickelte, namentlich in Israel, Japan, Korea und China, wurde das westliche Modell angewandt.  

Spitzenforschung speziell findet sich immer noch besonders im Westen, und es verwundert nicht, daß ein Deutschamerikaner wie der Biochemiker Eckard Wimmer das erste selbstgebastelte Virus 2002 in New York präsentierte. (Vgl. Ein Herz für Viren, FAZ 14.7.12)  
Bemerkenswert ist nicht nur sein wissenschaftliches Interesse an einem Biophänomen zwischen totem Stoff und halbem Leben, dem Virus, sondern auch der Werdegang des Ostberliners.  
Wimmer wurde 1936 geboren und studierte Chemie in Rostock, bevor er aus der roten Diktatur nach Göttingen floh und später nach Amerika ging, weil dort die Biochemie entwickelter war. Damit hatte er nichts Falsches getan, denn in Angst-Deutschland hätte er große Probleme mit seiner Biobastelei bekommen, während die Kritik in den USA wesentlich kleiner ausfiel. Das eben sind die wichtigen Unterscheidungsmerkmale von Wissenschaftsstandorten, bürokratische Kampagnen wie “Exzellenzinitiativen” sind teuer und ineffizient. Merkel und Schavan stehen dem Wissenschaftsbetrieb denkbar fern.  
Wimmer sieht in der Naturwissenschaft eine Art Geleitzug am Werke, einen virtuellen Verbund von Instituten und Kollegen, die miteinander im Wettbewerb stehen: “Es ist ein Grundgesetz der Wissenschaft: Wenn die Zeit für etwas reif ist, dann ist die Frage nur noch, wer es macht.”  
Wimmer war's in diesem Falle.