Samstag, 10. November 2012
Unfromme Gesetze
Jean Bodin (1530-1596) studierte in Paris auch den Petrus Ramus und kam zu dem Schluß, daß die Konfession Privatsache sei. Jedenfalls fast.
“Ausgangspunkt und Ermöglichungsbedingung einer autonomen Moral ist in dieser Rekonstruktion demnach die in der frühen Neuzeit eingeleitete säkulare Begründung des Rechts: Ohne "Leviathan" keine "Kritik der praktischen Vernunft". Diese Genealogie liegt quer zu den üblichen Schilderungen der Entstehung der modernen Ethik, in denen weder den Staatslehren Hobbes' noch Bodins Platz eingeräumt wird. Sie plausibel gemacht zu haben stellt eine bedeutende Leistung dar”, schreibt Michael Pawlik in seiner Rezension von Holger Glinkas "Zur Genese autonomer Moral" (FAZ 8.11.12). In der Tat.
Bodin, der Zeitgenosse der Reformation, gewinnt den Eindruck, daß die Neuerungen Luthers, Calvins und Zwinglis nicht mehr rückgängig zu machen seien und verweist die Frage nach der “wahren” Religion an die Gläubigen selbst. Fürst und Staat sollen sich der Rechtsanbindung an die Religion entledigen. Wie grundlegend diese Entwicklung ist, wird deutlich, wenn dieser Tage ein Gynäkologieprofessor für die Beschneidung von Mädchen aus religiösen Gründen eintritt.
(“Der ägyptische Gynäkologe Mohamed Kandil hat in der medizinischen Fachpublikation F1000 Research das Recht der Eltern auf Beschneidung ihrer Töchter gefordert. Der an der Kairoer Universität lehrende Frauenarzt fordert auch westliche Staaten dazu auf, die Genitalverstümmelung von Mädchen nicht länger unter Strafe zu stellen, weil das bei Muslimen aus religiösen Gründen geboten sei und das Verbot der Genitalverstümmelung den Islam beleidige.” Ulfkotte, Kopp online)
Die Trennung von säkularem Recht und religiösen Vorstellungen macht auch den Weg frei für eine auf die subjektive Prüfung gestellte Ethik, wie sie Kant in der PRAKTISCHEN VERNUNFT vertritt. Bereits in der Reformation angelegt wird der Gewissensentscheid als letzte Instanz inzwischen auch bei den Katholiken anerkannt. (Was aber der Herde nicht laut gesagt wird.) Das unterstreicht die Wirkungsmächtigkeit der Reformation.
Ich habe mich gelegentlich gefragt, wie der katholische Plettenberger und Staatsrechtler Carl Schmitt so weit ins Braune abdriften konnte, denn das katholische Milieu war antinazistisch eingestellt; die braune Bewegung predigte bekanntlich eine Art germanisches Neuheidentum, das den Katholiken nicht gefallen konnte. Dem Antiliberalen Schmitt ging die autonome Ethik mit ihren Folgen zu weit, da war er ganz katholisch, aber er erwartete vom Staat rigide, antiliberale Normsetzungen, die sein Führer dann auch besorgte, allerdings immer mehr gegen Schmitts katholische Kirche.
Die autonome Moral hat es nicht einfach, der kategorische Imperativ stellt höchste Anforderungen an Wissen und Abstraktion. Aber die Selbstlenkungskompetenz des Individuums wurstelt sich durch und kommt gelegentlich zu großen Ergebnissen. Das wollen wir doch nicht missen. Hinter die Subjektivierung durch die Reformation führt im Westen kein Weg zurück.
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