Dienstag, 7. Juli 2015

Wo die meisten an Krebs sterben, da laß dich ruhig nieder






Der amerikanische Arzt Atul Gawande hat ein großartiges Buch geschrieben: “Sterblich sein”. Darin reflektiert er Schicksale aus Familie und Patientenkreis in verschiedenen Sterbehäusern, wobei er den Tod seines Großvaters in einem indischen Dorf zuhause im Kreis der Familie als menschlich angemessen empfindet. Ebenso die Entscheidung seines an Krebs erkrankten Vaters, ebenfalls Arzt, sich nicht operieren zu lassen und dafür ein kürzeres Leben zu akzeptieren. Gawande beklagt, daß er als Medizinstudent wenig, fast gar nichts, über Altern und Sterben gelernt, und daß er in seiner Tätigkeit als Arzt zuviel unnütze Quälerei gesehen habe. Zum Menschen gehöre der Tod, und der müsse in die Ärzteausbildung integriert sein. Dem kann man nur zustimmen. 

Ganz anders kommt der theoretische Physiker Kaku daher:
“Viele Menschen hassen es ..., zum Arzt zu gehen. Aber zukünftig wird Ihre Gesundheit mehrmals am Tag lautlos und problemlos überprüft … Ihre Toilette, Ihr Badezimmerspiegel und Ihre Kleidung werden DNA-Chips enthalten, die feststellen, ob in Ihrem Körper Krebskolonien wachsen ... Durch einfaches Anhauchen eines Spiegels lässt sich ... die DNA für ein mutiertes Protein ...p53 nachweisen, das bei 50% aller häufigen Krebsformen eine Rolle spielt. Das heißt, dass der Begriff Tumor allmählich aus unserer Sprache verschwinden wird …” (Michio Kaku, Unser Leben in 100 Jahren, S. 60f.)(W. Beck, TASK) 
Ob der Mann selbst glaubt, was er da schreibt? Wahrscheinlich nicht, wahrscheinlich will er nur Schaum schlagen. Denn es werden sich zwar Diagnose-Hilfsmittel leichter handhaben lassen, aber an der Multikausalität des Krankheitsgeschehens wird sich nichts ändern. Und am Problem der Genauigkeit der Diagnose und der geeigneten und akzeptierbaren Heilmöglichkeiten. Hier ein interessanter Fall dazu, kein Einzelfall: 

Stephen Jay Gould erkrankte im Juli 1982 an Mesotheliom (obwohl keine Asbestose o. Ä. vorlag). In seiner Kolumne mit dem TitelThe Median isn’t the Message beschrieb er seine Reaktion als er erfuhr, dass die Median-Lebenserwartung von Mesotheliom-Erkrankten 8 Monate beträgt, und was der Median in diesem Zusammenhang für ihn wirklich bedeutet. Wie in dieser Kolumne vorhergesagt, überlebte er den Median um fast 20 Jahre und starb am 20. Mai 2002 in New York an Lungenkrebs, welcher nicht mit seiner früheren Erkrankung zusammenhing.
Zeitlebens setzte sich Gould für eine Betrachtung der gesamten Variationsbreite eines Systems ein: Sei es bei der Analyse seiner Krebserkrankung in den achtziger Jahren (50 % der Betroffenen leben länger als acht Monate; Median-Mortalität von acht Monaten bedeutet nicht, dass der Tod nach acht Monaten eintritt), oder sei es bei der Betrachtung der Geschichte des Lebens (vgl. Evolution und Fortschritt).“ (Wikip.)

Der Ungeist von Physikern der Sorte Hawking und Kaku besteht darin, mit ihrem Geschwätz - auch über Bran-Welten und Stringtheorien - von den drängenden irdischen Problemen abzulenken. 

Würde er gefragt, wo er leben wolle, so der Dortmunder Wirtschaftsstatistiker Walter Krämer, so würde er sich das Land aussuchen, wo die meisten Menschen an Krebs sterben. Das hat seine Logik. Die Menschen in den Wohlstandsländern sterben nämlich in immer größerer Zahl an Alterskrebs, weil sie so alt werden, daß sie immer weniger an banalen Krankheiten sterben wie Kreislauferkrankungen. Der Alterskrebs besteht darin, daß das Immunsystem die Zellkopierfehler - die immer auftreten, schon bei Kindern - nicht mehr bewältigen kann. Weil deren Zahl zu groß ist. Daran läßt sich nichts ändern. Der Mensch bleibt sterblich.