Dienstag, 8. November 2011

"Und als ich die deutsche Sprache vernahm"





Zeitstufen der Ausbreitung der neuhochdeutschen Schriftsprache
Folie: Werner Besch



Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
Da ward mir seltsam zu Mute;
Ich meinte nicht anders, als ob das Herz
Recht angenehm verblute.

So Heinrich Heine eingangs seines DEUTSCHLAND - EIN WINTERMÄRCHEN. Dieses Deutsch von 1844 verstehen auch heute noch die meisten Deutschen. Der Anfang des Grimmelshausen-Romans SIMPLICISSIMUS von 1668 wird aber vielen schon etwas unverständlich sein:

"Es eröffnet sich zu dieser unserer Zeit (von welcher man glaubet, daß es die letzte sei) unter geringen Leuten eine Sucht, in deren die Patienten, wann sie daran krank liegen und so viel zusammengeraspelt und erschachert haben, daß sie neben ein paar Hellern im Beutel ein närrisches Kleid auf die neue Mode mit tausenderlei seidenen Bändern antragen können oder sonst etwan durch Glücksfall mannhaft und bekannt worden, gleich rittermäßige Herren und adlige Personen von uraltem Geschlecht sein wollen …" (vgl. Blog v. 19.10.11)

Reinhard Kaiser übertrug daher den Barocktext für Eichborns "Andere Bibliothek" neu in "zeitgemäßes Deutsch".
Ob denn eine Vollübersetzung nach rund 300 Jahren nötig gewesen sei, fragte Werner Besch in seinem Akademie-Vortrag am 19.10.11 ("Grimmelshausens 'S.' - das zweite Leben eines Klassikers").
Die Frage blieb zur Hälfte offen, aber Besch verdeutlichte, daß Grimmelshausen ein Oberdeutsch schrieb, als das schon Platz machte für das Obersächsische, das sich zur deutschen Hochsprache entwickelte, nicht zuletzt durch das Massenmedium "Luther-Bibel".