Samstag, 24. März 2012
Muttersohn
Walser 1969 in FACIT, dem Organ des DKP-orientierten Kölner SDS
- Walser 85 - Erst mit dem Zweitling HALBZEIT wurde ich näher bekannt mit ihm, seitdem habe ich sein Schreiben mit Sympathie verfolgt, wenn auch mit nachlassendem Interesse. Mir geht es eher umgekehrt wie Walser, der im Zusammenhang mit seinem “Geburtstagsessay” NACH RECHTFERTIGUNG SUCHEND bemerkte, alles, was nicht Literatur sei, langweile ihn.
In HALBZEIT findet sich die schöne ‚Typisch-Deutsch’-Stelle:
“Edmund warf Dieckow vor, es sei typisch deutsch, alles deutsch auszusprechen, Dieckow warf Edmund vor, typisch deutsch sei es, alles ausländisch aussprechen zu wollen, jeder wollte dem anderen nachweisen, er sei typisch deutsch, jeder wehrte sich dagegen, weil typisch deutsch zu sein offensichtlich das Schlimmste war, was einem nachgesagt werden konnte. …”
(Walser, HALBZEIT, 1963, S. 420)
Das Spiel ist inzwischen weitergegangen, viel weiter, in der Geschichte gibt es keine ‚Halbzeiten’, doch die albernen Deutsch-Spielchen der Linken dauern an, die mentale Reife der Bonn-Berliner Republik befindet sich noch immer auf dem Edmund-Dieckow-Niveau.
Darüber hat Walser sich schon damals erhoben, wenn ihm auch noch einige Irrungen und Wirrungen ins Haus standen, etwa seine DKP-Fast-Mitgliedschaft. In der GALLISTL’schen KRANKHEIT hat er darüber reflektiert, einschließlich des Verhältnisses zur DDR:
“Ach diese deutschen Nationen. Conscientious pupils. Jeder auf seiner Seite. Andererseits reicht meine Empfindung tief nach Pommern hinein. Sachsen ist mir vertraut, ohne daß ich je dort war. Wie oft denke ich an Magdeburg! Ich will die DDR nicht erobern. Ich will mir aber nicht verbieten lassen, daß mein Gefühl einreist und ausreist, wie es ihm paßt. Diese Feindseligkeit, diese lächerliche. Das deutsche Wesen macht sich selber Konkurrenz. Selten so gelacht. Das tut direkt weh.”
(DIE GALLISTL’sche KRANKHEIT, 1972, S. 112)
Ja, Gallistl alias Walser leidet, und die Genossen leiden mit ihm, denn so ein verqueres Zeug paßt nicht in ein wissenschaftliches Weltbild und in eine durch die Partei der Arbeiterklasse marxistisch-wissenschaftlich erarbeitete Friedenspolitik.
In Walsers Leben und Werk spiegeln sich die deutschen Zeitläufte, ohne in platte Betrachtungen und flache Willy-Brandt-Literatur zu verfallen. Das macht sie auch nach Jahren noch lesbar, neben seinem Sprachwitz, ja, sogar lesenswert, wenn man gerade Zeit für eine Nebensache wie die Literatur erübrigen will. Die Zeitzeugenschaft ist bei Walser eingebettet in sein großes, empfindsames Ego, dessen Gefühlsleben stets den Vorrang über alles andere hat. Wie im richtigen Leben, könnte man bestätigend sagen, denn die Gefühle beherrschen den Rest. Den linken Autor haben sie vor den schlimmsten linken Platitüden und vor ideologischer Verbohrtheit bewahrt, mir scheint, daß das sogar die interessanteste Erkenntnis ist, die sich aus diesem erfolgreichen Schriftstellerleben ziehen läßt:
Ideologien nie höher zu wichten als die Strebungen des eigenen Ego. Alles könne man verlieren, heißt es bei Goethe, wenn man bliebe, was man ist.
Ganz von außen betrachtet und nach der Wertung von Belletristik fragend, ergibt sich allerdings, daß Literatur weder den Autor vor Torheiten schützt, noch seinen Leser. Das Zwangsgerüst der Erzählung lenkt von gedanklicher, harter Begriffarbeit ab und mindert die Zeit für fleißigen Wissenserwerb.
Von Romanen ist also eher abzuraten. Aber gelegentlich …
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