Wer macht die Politik - die Galionsfiguren oder die Spin-Doktoren im Ministerium? Oder beide?
"Es ist durchaus wahr und eine ... Grundtatsache aller Geschichte, daß das schließliche Resultat politischen Handelns oft: nein, geradezu regelmäßig, in völlig unadäquatem, oft in geradezu paradoxem Verhältnis zu seinem ursprünglichen Sinn steht."
(Max Weber, 'Politik als Beruf', Reclamausg. S. 64f. )
Ganz in diesem Sinne benannte der australische Historiker Christopher Clark seine Monographie zur Entstehung des ersten Weltkriegs “Die Schlafwandler”.
Auf der interdisziplinären Tagung “Inhalte und Grenzen der Planbarkeit”
führte der Kölner Politologe Thomas Jäger als Hauptmotiv der Außenpolitik der Staaten an, ihre Umwelt gestalten zu wollen. So strebten die EU-Mitglieder an, die EU zu formieren und zu einem globalen Akteur gegenüber den USA zu promovieren. In der Überführung von Plänen in außenpolitisches Handeln träten jedoch immer unvorhergesehene Ereignisse und Gegenspieler auf, und dies habe der ehemalige britische Außen- und Premierminister Macmillan, befragt, was die Pläne der Politiker stets an der Ausführung hinderten, auf die lakonische Kürzestformel gebracht: Ereignisse.
Ja, die unvorhergesehenen Ereignisse, und das sind die meisten, sind sehr ärgerlich und planungsresistent. In seiner Einleitung der Tagung hatte Peter Lynen schon in dieser Hinsicht Brecht zitiert:
„Ja, mach nur einen Plan, und sei ein großes Licht,
Und mach noch einen zweiten Plan, gehn tun sie beide nicht.“
Jurist Lynen ficht das aber nicht an, er empfiehlt, noch den Plan C und D zu erarbeiten. Dann müsse es doch klappen.
Mir scheint, dies qualifiziert Lynen für den Stabs- und Ministeriumsdienst. Dort sitzen die Freunde der Pläne. Die Spin-Doktoren, die Strategien und Szenarien erfinden und formulieren. Der Rhein ein Fluß? Nur nebenbei. Tatsächlich sei der Rhein die natürliche Grenze Frankreichs. Diese Rhein-Strategie leitete die französische Außenpolitik von etwa 1650 bis 1950. Dann kommt in der französischen Revolution der Nationalismus auf, und die Spin-Doktoren sind entsprechend tätig, bis man dann den Imperialismus prima findet. Das Empire sei eine Leib- und Magenfrage, befand Cecil Rhodes. Von einzelnen Ideengebern ausgehend, die meist in der philosophischen Fakultät sitzen, verbreiten sich gängige Ideen und ihre Pläne über die Hochschulen und die Medien in Gesellschaft und Politik. Und werden systematisch in den Ministerien bearbeitet.
Wer aber sitzt in den Ministerien? Akademisch gebildete Gedankenmenschen, die die Nähe zur Macht anzieht - Prototyp Carl Schmitt - die nach Gefolgschafts- und Verhaltensregeln im großen Beamtenapparat aufsteigen und dort nach vorgefundener Logik ihre Ideenarbeit verrichten. Nun stehen Beamte in Rivalität zu Kollegen nach der Logik: bevor der Kollege an mir vorbeizieht, muß ich an ihm vorbeiziehen - ohne daß aber eindeutige Erfolgskriterien zur Bewertung ihres Tuns vorhanden wären, wie dies Umsatz- und Gewinnzahlen sind oder aber Produkte, Entdeckungen und Erfindungen. Hier entscheidet dann die Gunst der Vorgesetzten und des Behördenchefs, weswegen Ministerialbeamte stets über eine gewisse Windschnittigkeit verfügen. Füttert man den Chef mit Argumenten, die seine Vorlieben und Ziele untermauern, können sich schnell Bestätigungs- und Verstärkungsschleifen bilden, die eine Pfadabhängigkeit betonieren - die sog. “Alternativlosigkeit”. Dazu tritt Herdentrieb und universitäres Nachplappertum, und schon wird es sehr schwer, eine wohlbegründete, aber falsche Strategie zu ändern, auch wenn schon zahlreiche Fehlerhinweise vorliegen. Oft kommen die Lemminge erst wieder zu Alternativen, wenn der kühle Luftzug des Absturzes anregt.
Im Rückblick auf die Geschichte kann man dann grundsätzlich fragen, ob Beamtenapparate der beste Platz für die Planung von Außenpolitik sind.
Dies auch im Hinblick auf den neuen Konflikt um die Felsen im Ostchinesischen Meer.